Kinderlandverschickung

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Verfasst von Katja Klee

Evakuierungsprogramm während des Zweiten Weltkriegs

Plakat: „Kinder auf’s Land durch N.S.V.", um 1934 (Propagandaplakat) | StadtAM, Fotosammlung 2960

Die Anfang Oktober 1940 überraschend initiierte Evakuierung von Kindern aus den luftkriegsgefährdeten Städten löste in Teilen der Bevölkerung große Beunruhigung aus. Offiziell wurde die Aktion unter dem Motto ‚Erweiterte Kinderlandverschickung‘ (EKLV) als besondere Fürsorge des Staates für die Jugend dargestellt. Entsprechend knüpften die Verantwortlichen in Struktur und Organisation an die aus der Weimarer Zeit stammende ‚Sommerfrische für Stadtkinder‘ an, die die ‚Nationalsozialistische Volkswohlfahrt‘ (NSV) ab 1933 unter der Bezeichnung ‚Kinderlandverschickung‘ fortgeführt und ausgebaut hatte.
An der EKLV waren nun neben der NSV auch die ‚Hitlerjugend‘ (HJ) und der ‚Nationalsozialistische Lehrerbund‘ (NSLB) beteiligt. Die NSV organisierte die Evakuierung der 6- bis 10-jährigen Kinder in sogenannte Familienpflegestellen, die HJ war für die Evakuierung der 10- bis 14-Jährigen in KLV-Lager zuständig. In den Lagern herrschte militärischer Drill und ideologische Indoktrination, die klassische Schulerziehung und der Religionsunterricht traten dabei in den Hintergrund.

Mit dem Etikett ‚Erweiterte Kinderlandverschickung‘ wurden infolge der sich verschärfenden Luftkriegslage immer neue Formen und Zielgruppen der Evakuierung versehen, die dadurch rasch Dimensionen von mehreren hunderttausend Menschen, auch Erwachsenen, annahm. Bayern war anfangs lediglich als Aufnahmegebiet vorgesehen, die traditionellen Fremdenverkehrsorte boten ideale Bedingungen für die Einrichtung von KLV-Lagern. Als im Juni 1942 die EKLV offiziell für München anlief, war es schwierig, überhaupt noch Quartiere für die Münchner Kinder zu finden. Wenig Erfolg hatten die 1943 und 1944 noch einmal mit Nachdruck vom Stadtschulamt angekündigten Schulverlegungen. Nur knapp ein Drittel der Münchner Kinder wurde für die EKLV angemeldet, sodass der Unterricht auch im Herbst 1944 im Notbetrieb weiterlief.

Schätzungen gehen davon aus, dass im Rahmen der EKLV von Oktober 1940 bis Mai 1945 im gesamten Deutschen Reich insgesamt rund 1,5 Millionen Kinder, teilweise mit ihren Müttern, in Familienpflegestellen und etwa 850.000 Kinder und Jugendliche in KLV-Lagern evakuiert wurden. Ihre Rückkehr zog sich noch weit über das Kriegsende hinaus hin. Im Sommer 1945 wurden die noch bestehenden bayerischen KLV-Lager in die Obhut der Jugendfürsorge übergeben, die die Rückführung der Kinder und Jugendlichen in Zusammenarbeit mit dem Suchdienst des Roten Kreuzes organisierte.

Quellen

Rüther, Martin (Hg.): „Zu Hause könnten sie es nicht schöner haben!“ Kinderlandverschickung aus Köln und Umgebung 1941-1945, Köln 2000.
Kock, Gerhard: „Der Führer sorgt für unsere Kinder ...“ Die Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg, Paderborn 1997.

Empfohlene Zitierweise

Katja Klee: Kinderlandverschickung (publiziert am 14.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=2&cHash=482ac644d195cb557ba7f70ae7ae3128