Frauenemanzipation in der Weimarer Republik

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Verfasst von Ulrike Haerendel

Traditions- und Entwicklungslinien zwischen Kaiserreich und NS-Zeit

Frauenrechtlerin Anita Augspurg, Aufnahme um 1925 | Münchner Stadtmuseum, FM-87/61/1139.3

Die Frauenbewegung der Weimarer Republik war von unterschiedlichen Traditionen geprägt: Dazu gehörten etwa aus vordemokratischer Zeit die Salons der Aufklärung, die in den bürgerlichen Frauen(bildungs)vereinen des 19. Jahrhunderts ihre Fortsetzung fanden. Eine andere Traditionslinie stellten die Vorkriegskämpfe vor allem des sozialistischen Lagers um politische Anerkennung und das Wahlrecht für Frauen dar. Die Wahlrechtsfrage bildete bis in den Ersten Weltkrieg hinein das zentrale Moment der Frauenbewegung in ganz Europa, denn nur wenige Staaten hatten diese Frage schon vorher zugunsten der Frauen entschieden, so einige skandinavische Länder. Es kennzeichnete die Frauenwahlrechtsbewegung, dass sie von internationaler Gemeinsamkeit geprägt war.

Zwei für ihre Zeit radikalfeministische Frauen aus München, Anita Augspurg und deren Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann, die 1902 in Hamburg den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht ins Leben riefen, waren stark in dieses internationale Engagement eingebunden. Gemeinsam mit Frauen in anderen Ländern versuchten sie im Krieg für internationale Verständigung und Frieden zu werben und beteiligten sich 1919 an der Gründung der heute noch existenten Women's International League for Peace and Freedom. Unter dem Namen Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) wurde diese Organisation in Deutschland von Anita Augspurg geleitet und nahm ihren Sitz im Münchner Leuchtenbergpalais. Vor dieser Institutionalisierung hatte die Frauenfriedensbewegung in München wie überall unter konspirativen und durch viele Behördeninterventionen beeinträchtigten Bedingungen agiert. Aber auch während der Weimarer Republik hatten die Frauen, die für Frieden und Völkerverständigung eintraten, viele Feinde im bürgerlichen Lager und in der ‚besseren Gesellschaft‘, besonders wenn sie dieser selbst entstammten wie die Bogenhausener Nachbarin von Thomas Mann, die Pazifistin Constanze Hallgarten.

Nicht überall ging das Engagement für Frauenrechte allerdings nahtlos in pazifistisches Engagement über. Gerade im Zeichen des ‚Burgfriedens‘ 1914 wollten sich auch Frauen in die große vaterländische Bewegung einreihen und standen vielfach den Männern in emphatischer Begeisterung für den Krieg nicht nach. Ihnen schien es, als könne das „geschlechts- und klassenübergreifende Projekt ‚Krieg‘“ (Frevert, S. 147) zu einer neuen Gesellschaft führen, in der auch sie ihren angemessenen Platz erhalten würden. Bürgerliche Frauenorganisationen, allen voran der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) unter Führung von Gertrud Bäumer, beteiligten sich zunächst an der ‚Mobilmachung‘ der Frauen an der ‚Heimatfront‘, später an der Beschwörung des ‚Durchhaltewillens‘ und der Diffamierung von Friedensbemühungen ihrer Geschlechtsgenossinnen. Einer ähnlichen Illusion unterlagen weite Teile der bürgerlichen Frauenbewegung Anfang der 1930er-Jahre, als sie im aufsteigenden Nationalsozialismus gleichsam eine Erlösungsbewegung für das deutsche Volk zu erkennen glaubten.

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs gab es allerdings im Zeichen der sich abzeichnenden Niederlage und in Erwartung einer politischen Neuordnung Initiativen zum Zusammenschluss des bürgerlichen und des sozialistischen Frauenlagers im Interesse der gemeinsamen Sache. So zeichnete eine breite Koalition von Lida G. Heymann (Deutscher Frauenausschuß für dauernden Frieden) über Marie Juchacz (SPD) bis zu Helene Lange (Fortschrittliche Volkspartei) und Gertrud Bäumer (BDF) einen Aufruf an den neuen Reichskanzler Max von Baden vom 25.10.1918, die politische Gleichberechtigung der Frauen auf die Agenda der Demokratisierung des öffentlichen Lebens zu setzen.

Tatsächlich erhielten Frauen schon durch den Rat der Volksbeauftragten im November 1918 das Wahlrecht, was erhebliche Mobilisierungstendenzen freisetzte. Fast 90 Prozent der Frauen machten bei der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 von ihrem neuen Recht Gebrauch - eine nie wieder erreichte Quote. Der Anteil von weiblichen Abgeordneten lag in der Nationalversammlung bei fast zehn Prozent, nahm aber in den folgenden Reichstagswahlen nicht etwa zu, sondern betrug 1930 nur noch sieben Prozent. Parteipolitisch aktive Frauen blieben in der Weimarer Republik eine kleine Minderheit. Eher engagierten sie sich in Vereinen und in gemeinnütziger Arbeit, wobei dieses Engagement nicht selten politisch konnotiert war. Der BDF zum Beispiel war eng mit der DDP verflochten, während Marie Juchacz und andere sozialdemokratische Frauen 1919 die Arbeiterwohlfahrt gründeten, um auch in dem vor allem von bürgerlicher Seite besetzten Feld ‚mütterlicher Politik‘ Fuß zu fassen. Insofern teilten sie eine vom BDF und von vielen männlichen Zeitgenossen vertretene Auffassung, dass für Wohlfahrtspflege und Erziehung die Frauen eine besondere Eignung mitbrächten.

Die Weimarer Verfassung gewährte nicht nur das allgemeine Wahlrecht für Männer und Frauen, sondern sprach ihnen „grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“ (Art. 109) zu. In Art. 119 wurde explizit festgehalten, dass die Ehe auf „der Gleichberechtigung der Geschlechter“ beruhe. Aber diese Verfassungsartikel formulierten eine Programmatik, die nicht eingelöst und durch die Fortdauer eines patriarchalischen Familienrechts geradezu konterkariert wurde. Das Entscheidungsrecht des Mannes in allen ehelichen Angelegenheiten, seine Befugnis, das Arbeitsverhältnis seiner Frau jederzeit zu kündigen, oder der Vorrang des Vaters in der elterlichen Gewalt - alle diese Bestimmungen des BGB blieben bis zur Gleichberechtigungsgesetzgebung der 1950er-Jahre unangetastet und galten in modifizierter Form zum Teil noch bis in die 1970er-Jahre.

Ebenso unvollständig wie die politisch-rechtliche Emanzipation blieb die neue Selbständigkeit der Frauen in Wirtschaft und Beruf. Der Krieg hatte freilich die Frauenbeschäftigung im Industrie- und Dienstleistungssektor vorangetrieben, und trotz vieler Entlassungen im Zuge der Demobilmachung setzte sich dieser Modernisierungstrend durch. Aber außerhäusliche Erwerbstätigkeit blieb vor allem für junge, ledige Frauen akzeptiert, während sich das Leitbild der Ehefrau und Mutter, die das Haus umsorgte, hartnäckig hielt. Was ein zeitgenössischer Emanzipationsdiskurs als ‚die neue Frau‘ beschrieb und was uns als Klischee bis heute vor Augen steht, war in der sozialen Realität der Weimarer Republik viel seltener anzutreffen als die klassische Hausfrau. Aber für die Zeitgenossen war eben besonders auffällig, dass einzelne Frauen auch äußerlich die Geschlechtergrenzen verwischten, indem sie Bubikopf und Hosen trugen oder sich neue Freiheiten durch legere Kleidung und Rauchen in der Öffentlichkeit gestatteten. Auch künstlerisch, in der Unterhaltungsbranche oder in der Literatur, wagten sich immer mehr Frauen aus der Deckung. Die akademische Karriere (schon vor der Krieg mit der Zulassung zum Studium und danach bis hin zur Habilitation) stand Frauen de jure offen, wenngleich sie de facto als ‚Doppelverdienerinnen‘ oder ‚Volksfeindinnen‘, die männliche Familienernährer um Lohn und Brot brächten, diffamiert wurden und tunlichst vom akademischen Arbeitsmarkt ferngehalten werden sollten. Höherer Akzeptanz erfreuten sich hingegen die neuen ‚Frauenberufe‚ wie Stenotypistin, ‚Fräulein vom Amt‘ oder Verkäuferin.

Die Nationalsozialisten behinderten das Frauenstudium nicht mehr allein auf der informellen Ebene, sondern richteten regelrechte Kampagnen gegen die ‚Doppelverdienerinnen‘. Allerdings begannen sie diesen ideologisch motivierten Antifeminismus bald zugunsten einer von der Rüstungs- und Kriegspolitik nahe gelegten Anwerbung von Frauen für den Arbeitsmarkt und auch für Studienfächer wie Medizin zurückzunehmen. Die Verdrängung von Frauen aus allen politischen Entscheidungsebenen blieb hingegen signifikant für die NS-Diktatur.

Quellen

Boak, Helen: Women in the Weimar Republic, Manchester 2013.
Ferner Elke (Hg.): 90 Jahre Frauenwahlrecht! Eine Dokumentation von Ursula Birsl u.a., Berlin 2008.
Frevert, Ute: Frauen-Geschichte. Zwischen Bürgerlicher Verbesserung und Neuer Weiblichkeit, Frankfurt am Main 1986.
Gerhard, Ute (Hg.): Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997.
Krafft, Sybille (Hg.): Zwischen den Fronten. Münchner Frauen in Krieg und Frieden 1900-1950, München 1995.
Pfeiffer, Zara S.: ThemenGeschichtsPfad. Die Geschichte der Frauenbewegung in München, 3. Aufl., München 2014.

Empfohlene Zitierweise

Ulrike Haerendel: Frauenemanzipation in der Weimarer Republik (publiziert am 11.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=234&cHash=d36e421e426d849e869cdde4aa2a64a4