Die Nationalsozialisten erklärten von Anfang an die Unvereinbarkeit ihrer Ideologie mit Homosexualität: „Wer an Mann-männliche oder Weib-weibliche Liebe denkt, ist unser Feind.“ (Grau, S. 53) Heinrich Himmler, dessen Terrorapparat der SS erst die effiziente Verfolgung möglich machte, hetzte am 18.2.1937 bei einer Gruppenführerbesprechung mit den Worten: „Das musste entfernt werden, wie wir Brennesseln ausziehen, auf einen Haufen werfen und verbrennen.“ (Grau, S. 131) Homosexuelle wurden mit der Begründung zu Staatsfeinden erklärt, dass durch sie das Bevölkerungswachstum gemindert würde.
Die Strafgesetznovelle vom 28.6.1935 brachte eine Ausweitung des alten § 175. Die Tatbestandsmerkmale des neuen, jegliche Art von „Unzucht“ umfassenden Paragrafen beschränkten sich jetzt nicht mehr nur auf „beischlafähnliche Handlungen“, sondern umfassten alle intimen Handlungen unter Männern. Mit der Neufassung wurden so genannte qualifizierte Straftatbestände, wie Nötigung, Abhängigkeitsverhältnis, Verführung Minderjähriger unter 21 Jahren und Prostitution eingeführt bzw. verschärft. Das Strafmaß für die qualifizierten Tatbestände wurde auf bis zu zehn Jahren Zuchthaus erhöht. Sie galten damit nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen.
NS-Positionen gegenüber weiblicher Homosexualität
Lesbische Beziehungen von Frauen waren vom Strafgesetz nicht erfasst, der § 175 galt nur für Männer. Eine eigenständige weibliche Sexualität wurde von den Nationalsozialisten nicht anerkannt. Daher wurde eine ‚bevölkerungspolitische Gefahr‘, die von der lesbischen Liebe ausging, als relativ gering eingeschätzt. Der Tendenz des NS-Staates zur Schaffung einer einheitlichen Volksgemeinschaft stand sie jedoch entgegen. Zunächst sahen die Strafrechtskommissionen jedoch noch keinen Handlungsbedarf, zumal sie davon ausgingen, dass weibliche Homosexualität in erster Linie aufgrund des kriegsbedingten Männermangels verbreitet sei. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise auf Inhaftierungen von lesbischen Frauen in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Sie wurden offiziell aus politischen, rassischen oder sozialhygienischen Gründen verfolgt. Entwürfe für eine NS-Strafrechtsreform sahen auch für lesbische Frauen eine verschärfte Verfolgung vor. Beispiele für Lebensgeschichten Münchner homosexueller Frauen im Nationalsozialismus konnten bislang nicht aufgefunden werden.
Die Folgen der Ermordung Ernst Röhms
Die Ermordung des homosexuellen SA-Führers Ernst Röhm war das Fanal für die Homosexuellenverfolgung in München und im gesamten Deutschen Reich. Am 3.7.1934, vier Tage nach der ‚Nacht der langen Messer‘, wurde vom bayerischen Innenministerium die Durchführung einer groß angelegten Razzia angekündigt, bei der „ein schlagartiges Vorgehen in ganz Bayern beabsichtigt“ war. In der Begründung hieß es: „Zur Gesunderhaltung unseres Volkes muß künftig gegen jede Art der Betätigung widernatürlicher Unzucht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eingeschritten werden“ (BayHStA, LRA 151016).
In den folgenden Wochen verstärkte die Polizei „die Feststellung und Erfassung der homosexuellen Personenkreise“. Die Großaktion wurde für den 20.10.1934 anberaumt. Allein in München waren mehr als 50 Polizeibeamte im Einsatz. Die Razzia erstreckte sich auf Parkanlagen, insbesondere den Englischen Garten, auf Bedürfnisanstalten und die Schwulenlokale Schwarzfischer in der Dultstraße und Arndthof am Glockenbach. Diese erste bayernweite Razzia führte zur vorläufigen Festnahme und erkennungsdienstlichen Behandlung von mehreren hundert Personen, davon 145 allein in München. 39 Vorbestrafte wurden „vorläufig in Schutzhaft genommen“ und nach zwei Tagen in das Konzentrationslager Dachau gebracht.
Die bayerische Polizei hatte im Vorfeld der Razzia ihren Bestand von mehr als 5000 Karteikarten aus den ‚Rosa Listen‘ überprüft und startete auf dieser Grundlage in den Morgenstunden des 21.10.1934 Durchsuchungen in den betreffenden Wohnungen. 52 Männer wurden festgenommen. Vom Ergebnis dieser ersten im Deutschen Reich durchgeführten Großrazzia gegen Homosexuelle zeigte sich Gauleiter Adolf Wagner jedoch enttäuscht. Er vermutete den „wirklich schuldigen Kreis“, in dem die Homosexualität besonders verbreitet sei, im bürgerlich-liberalen Milieu. Von der Razzia war jedoch vor allem die soziale Unterschicht betroffen.
Als ‚Gemeinschaftsfremde‘ ins Konzentrationslager
Mehr als 100.000 homosexuelle Männer wurden in der NS-Zeit polizeilich erfasst, und gegen mehr als 50.000 ergingen Urteile nach § 175. Exakte Zahlen von KZ-Einweisungen liegen nicht vor, doch geht die aktuelle Forschung von 10.000 bis 15.000 KZ-Häftlingen mit homosexuellem Verfolgungshintergrund aus. Mehr als die Hälfte von ihnen fand im KZ den Tod.
Von ca. 200.000 Häftlingen des KZ Dachau sind bislang die Namen von 585 Männern mit homosexuellem Verfolgungshintergrund bekannt, darunter 90 aus München. Sie wurden seit 1937 in der Regel mit dem rosa Winkel auf der Kleidung gekennzeichnet, von den übrigen Häftlingen isoliert und in Baracke 1/Stube 1 konzentriert. Als Gewohnheitsverbrecher eingestufte Homosexuelle bekamen den grünen Winkel.
Über die bei der Antihomosexuellen-Razzia im Herbst 1934 Verhafteten wurde verfügt: „Die Schutzhäftlinge werden in Dachau gesondert von allen übrigen Gefangenen in einer Baracke für sich untergebracht. Die Baracke ist auch in der Nacht hell erleuchtet. Ein ausreichender Wachdienst innerhalb der Baracke sorgt dafür, dass die Häftlinge während der Nacht sich einander nicht nähern können, untertags werden sie ganz besonders zu körperlicher Arbeit herangezogen. In der ersten Zeit ist beabsichtigt, sie auch in der Kost etwas kürzer zu halten, sodass ein gewisser Erfolg dieser Erziehungsmaßnahmen zu erwarten ist“ (Knoll, S. 89).
Für aus der Haft Entlassene galt eine strenge, über Monate hinweg bestehende Meldepflicht. Jüngere Häftlinge hatten eine weitaus höhere Überlebenschance als ältere. Diese hing nicht nur vom Alter ab, sondern auch vom Zeitpunkt der Einlieferung in das KZ. Haftzeiten vor 1936 endeten meist mit einer Entlassung nach zwölf bis 24 Monaten. Zwischen 1937 und dem Kriegsausbruch 1939 wurden ‚Rosa-Winkel-Häftlinge‘ nur noch in Ausnahmefällen freigelassen. In der Regel wurde eine Überführung in ein anderes KZ angeordnet, zumeist Mauthausen oder Buchenwald. Ein Viertel der Häftlinge starb in diesen beiden Lagern - mehr als in Dachau. Nach 1939 gab es nur noch selten ein Entrinnen aus dem KZ-System.
Das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und Maßregeln zur Sicherung und Besserung vom 24.11.1933 begründete die zwangsweise Kastration als kriminalprophylaktische Maßnahme. Betroffen waren unter anderem homosexuelle Männer, deren Partner unter 21 Jahre alt waren und so genannte Rückfalltäter. Die im Gesetz ursprünglich geforderte Zustimmung des Betroffenen wurde drei Jahre später von Himmler außer Kraft gesetzt.
Ab 1940 nahmen im KZ Dachau Selektionen und willkürliche Erschießungen erheblich zu, die Todeszahlen stiegen sprunghaft an. Gleichzeitig wurden zahlreiche medizinische Experimente an homosexuellen Häftlingen durchgeführt.
Das Netz der Verfolgung
Aufgrund des immer straffer arbeitenden Informationswegs von der zentralen Verfolgungsbehörde bis zu den unteren Dienststellen erhöhten sich die Verhaftungszahlen gegen Ende der 1930er-Jahre. Im Oktober 1936 wurde im Zuge der Neuorganisation der Kriminalpolizei in Berlin die ‚Reichszentrale zur Bekämpfung von Abtreibung und Homosexualität‘ geschaffen. Deren Aufgabe bestand in der Koordinierung der Bekämpfung der Homosexualität durch die Sammlung von Daten über homosexuelle Männer. Der Leiter war der gefürchtete, aus München stammende SS-Führer Josef Meisinger. Ihm stand 1943 ein Stab von 17 Mitarbeitern zur Verfügung. 1940 waren bereits Daten von reichsweit 41.000 als homosexuell bestraften oder verdächtigten Männern angelegt worden. Die Angaben zu so genannten Strichjungen und ‚Jugendverführern‘ wurden gesondert gekennzeichnet. Weil sie den Vertretern des Regimes als „unverbesserlich“ und „besonders gefährlich“ galten, wurden harte Verfolgungsmaßnahmen angewendet.
Die Anzahl der zwischen 1933 und 1945 wegen Homosexualität verfolgten Münchner Männer bleibt aufgrund der dünnen Aktenlage im Dunkeln.
Ohne die Mitwirkung der Bevölkerung wäre die Verfolgung nicht annähernd so effektiv gewesen. Eine Untersuchung zeigt für Berlin, dass nur 38 % aller Anzeigen von der Polizei und NS-Organisationen erfolgten, 13 % stammten aus dem Arbeitsumfeld, den Jugendämtern und anderen Behörden, weitere 38 % von nichtbeteiligten Privatpersonen und 11 % von Betroffenen oder deren Familienangehörigen. Zahlreiche Männer sind in das Blickfeld der Polizei geraten, weil andere bei Vernehmungen – häufig unter Drohungen oder Folter – ihre Namen preisgegeben hatten.
Kein Ende der Verfolgung
Die Ausgrenzung blieb nach 1945 bestehen. Der § 175 existierte als einziger der von den Nationalsozialisten verschärften Paragrafen des Strafgesetzbuchs bis 1969 weiter, wenn auch das Strafmaß nun geringer ausfiel. Die Verfolgung erreichte in der Bundesrepublik im Jahr 1959 einen neuen Höchststand.
Die bundesdeutschen Entschädigungsgesetze berücksichtigten nur die politische, ‚rassische‘ und religiöse Verfolgung und schlossen homosexuelle Opfer der NS-Herrschaft vom Kreis der Anspruchsberechtigten aus. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte 1957 die Vereinbarkeit der NS-Fassung des § 175 mit dem Grundgesetz, da der Paragraf bereits vor 1933 in Kraft gewesen sei.
Mit der Reform des Strafrechts 1969 wurden Sexualkontakte von Männern über 21 Jahren (ab 1973: 18 Jahre) straffrei. Erst 1994 wurde mit dem 29. Strafrechtsänderungsgesetz der § 175 endgültig abgeschafft. 2002 rehabilitierte der Deutsche Bundestag die in der NS-Zeit verfolgten Homosexuellen, 2017 diejenigen Menschen, die in der DDR und Bundesrepublik wegen ihrer sexuellen Identität verfolgten wurden.