Viele der nationalsozialistischen antisemitischen Maßnahmen richteten sich insbesondere gegen den Immobilienbesitz von Juden*Jüdinnen, sei es über den Boykott der Geschäfte im April 1933 oder über die Demolierung von Wohnungen und Läden beim Pogrom im November 1938, sei es über die ‚Arisierung‘ von Grundbesitz, Geschäften und Firmen. Die Übergriffe auf die Privat- und Familiensphäre durch das gewaltsame Eindringen in die Wohnungen oder die kaum verhüllten Beraubungen und Enteignungen waren dabei stets über den materiellen Schaden hinaus dazu angetan, die Opfer zu demütigen und zu verletzen.
Durch die Forcierung der Rüstungsindustrie auf Kosten der Wohnungswirtschaft und durch Maßnahmen zur baulichen Umgestaltung der Städte verursachten die Nationalsozialisten selbst einen enormen Wohnungsmangel, der immer neue Begehrlichkeiten entstehen ließ. Seit 1935 verwehrten Baugenossenschaften und der Reichsbund deutscher Haus- und Grundbesitzer Juden*Jüdinnen die Mitgliedschaft, sie versuchten aber auch, bestehende Mietverträge aufzuheben.
Bereits im Februar 1938 machten städtische Behörden auf jüdische Wohnungen aufmerksam und überlegten, durch ein Zusammendrängen der Juden*Jüdinnen auf engstem Raum Platz für nichtjüdische Bewohner*innen zu schaffen. Die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 26.4.1938 diente der Erfassung jüdischen Immobilienbesitzes zum Zweck der späteren Enteignung, für die dann die „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 3.12.1938 die rechtliche Grundlage lieferte. Schon am 28.12.1938 berief sich Hermann Göring als Generalbevollmächtigter für den Vierjahresplan auf eine Entscheidung Adolf Hitlers über die „Unterbringung von Juden“: Zwar sei der Mieterschutz noch nicht aufgehoben, doch sei es „erwünscht, [...] dass Juden in einem Haus zusammengelegt werden“. Dazu sei es allerdings nicht notwendig, das Haus als solches zu „arisieren“, die „Arisierung des Hausbesitzes“ sei vielmehr erst am Ende der „Gesamtarisierung“ (Göring, zit. nach Benz, S. 632) zu erwarten. Häufig schon unmittelbar nach dem Pogrom wurden Juden*Jüdinnen ihre Wohnungen gekündigt.
Mit dem „Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30.4.1939 und der Durchführungsverordnung vom 4.5.1939 gab es eine Handhabe, um Juden*Jüdinnen aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Die gesetzliche Kündigungsfrist musste von den Vermieter*innen nicht mehr eingehalten werden, wenn eine „anderweitige Unterbringung“ der jüdischen Mieter*innen möglich war. Jüdische Haus- und Wohnungseigentümer*innen und jüdische Mieter*innen wurden durch die Kommunen gezwungen, jüdische Untermieter*innen aufzunehmen. „Jüdische Wohnverhältnisse„ und „jüdischer Wohnraum“ wurden von den Behörden genau registriert und reglementiert.
Kommunale Wohnungsämter, Hausbesitzer, aber auch Maklerfirmen wirkten an der „Entjudung“ „arischer“ Häuser und Wohnungen mit. Allein in München wurden bis Ende 1939 durch diese Zwangsmaßnahme 900 Wohnungen ihren jüdischen Bewohner*innen entzogen, die ‚Arisierungsstelle‘ bot den Wohnraum nun nichtjüdischen Mieter*innen an. Repräsentative Wohnungen wurden mit Vorliebe an NSDAP-Funktionäre, Wehrmachtsoffiziere oder auch an von den Nationalsozialist*innen hofierte Künstler*innen vergeben. Allein vom 1.5.1941 bis 30.4.1942 wurden 337 „Judenwohnungen“ neu belegt. Bis Juni 1943 hatte die ‚Arisierungsstelle‘ in München 1430 ehemals von Juden*Jüdinnen belegte Wohnungen neu vergeben, darunter 330, die sich in jüdischem Besitz befunden hatten.
Die aus den Wohnungen vertriebenen Juden*Jüdinnen wurden in sogenannte ‚Judenhäuser‘ gepfercht. Darunter waren einerseits Häuser und Wohnungen von Juden*Jüdinnen zu verstehen, aber auch Gebäude der jüdischen Gemeinden wie Lehranstalten, Betsäle, Altersheime, Krankenhäuser und selbst Friedhofshallen. Eine Separierung der Juden*Jüdinnen in eigenen jüdischen Wohnvierteln schien den NS-Machthabern angesichts der vergleichsweise kleinen Zahl deutscher Juden*Jüdinnen und der bereits erfolgten Ausgrenzung aus der NS-‚Volksgemeinschaft‘, etwa durch ‚Rassengesetze‘ und die Verpflichtung zur Führung ‚jüdischer‘ Vornamen, nicht nötig. Im Deutschen Reich erfüllten die ‚Judenhäuser‘ die Funktion von Kleinstghettos, die einerseits zwar über das Stadtgebiet verstreut waren, andererseits aber durch Segregation der Juden*Jüdinnen von der NS-‚Volksgemeinschaft‘ und ihre Konzentration auf engstem Raum eine noch leichtere Verfügung über die Menschen ermöglichte. Bis Herbst 1941 wurden etwa 1430 Wohnungen aus jüdischem Besitz geräumt. Teils waren die Menschen innerhalb weniger Stunden gezwungen, die Wohnungen aufzugeben, anschließend wurden ihnen auch noch die Kosten der Renovierungen aufgebürdet. Bis heute geben die damaligen Stadtadressbücher einen bedrückenden Einblick in die Überfüllung der ‚Judenhäuser‘.
Ende April 1941 gab es nach einem Bericht des städtischen Wohnungsreferats nur mehr 45 Wohnungen in Häusern nichtjüdischer Eigentümer*innen, in denen Juden*Jüdinnen lebten; in 264 Wohnungen meist in Häusern (teils schon emigrierter) jüdischer Eigentümer*innen waren dafür zusätzlich Juden*Jüdinnen eingewiesen worden. Ende 1941 existierten vermutlich etwa zwei Dutzend ‚Judenhäuser‘ in München, die insgesamt über 300 Wohnungen umfassten. Oft teilten sich vier oder fünf Familien eine Wohnung. Die Wohnumstände waren entwürdigend: völlig überfüllt, ungenügende Heizmöglichkeiten, fehlende sanitäre Einrichtungen, keinerlei Privatsphäre. Der Verlust der eigenen Behausung, die in den Jahren zuvor oft als letzter Schutzraum vor nazionalsozialistischer Verfolgung gedient hatte, bedeutete einen massiven Angriff auf die jüdische Gemeinschaft. Im August 1941 waren laut Angaben der Israelitischen Kultusgemeinde fast 1500 Juden*Jüdinnen in ‚Judenhäusern‘ wohnhaft. Es handelte sich überwiegend um Frauen, oft alt und seit der nationalsozialistischen Ausplünderung völlig verarmt – denn Männern fiel es aufgrund ihrer Berufe und größeren Finanzkraft deutlich leichter, als Emigranten Aufnahmeländer zu finden.
Münchner ‚Judenhäuser‘ waren beispielsweise die Adressen Franz-Joseph-Straße 15, Galeriestraße 30, Goethestraße 66, Jakob-Klar-Straße 7, Kaiser-Ludwig-Platz 1, Leopoldstraße 42 und 52, Maria-Theresia-Straße 23, Thierschstraße 7, Triftstraße 9 sowie Widenmayerstraße 39 und 41. Eine Gesamtaufstellung aller ‚Judenhäuser‘ in München und eine wissenschaftliche Monografie zu dem Thema fehlen bis heute.
Die Verweildauer in den ‚Judenhäusern‘ war meist nur kurz, da die Menschen vor ihrer endgültigen Verschleppung in Sammellager gebracht wurden. Die Deportation erfolgte entweder aus der ‚Heimanlage für Juden‘ in Berg am Laim im Kloster der Barmherzigen Schwestern mit Raum für ca. 275 Menschen oder der ‚Judensiedlung Milbertshofen‘, wo bis zu 1100 Menschen untergebracht werden konnten. Die ‚Arisierung‘ des Wohnraums seit 1938/39 und die Deportationen seit 1941 führten in München zur ‚Freiwerdung‘ von etwa 3000 Wohnungen.