Kurt Eisner und der Freistaat Bayern

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Verfasst von Joachim Schröder

Die Gründung der ersten bayerischen Demokratie durch den USPD-Politiker

Die Revolution vom November 1918 hat vielfältige Ursachen. Das Kaiserreich hatte sich über Jahrzehnte den Forderungen der demokratischen Parteien, der Arbeiterbewegung, der Frauenbewegung und anderer, auf gesellschaftliche Veränderungen und demokratische Reformen drängenden Kräfte entgegengestemmt. Erschüttert wurde die Stellung des monarchischen Systems aber vor allem während des Ersten Weltkriegs durch die wachsende Kriegsmüdigkeit der Soldaten und der Zivilbevölkerung sowie durch die zunehmende Not an der „Heimatfront“. Die Meuterei in der deutschen Hochseeflotte Ende Oktober 1918 löste die revolutionäre Bewegung schließlich maßgeblich aus. Sie verdankte ihre Anfangserfolge vor allem der Tatsache, dass das angeschlagene politische System kaum noch aktive Unterstützung fand.
Nach über vier Jahren Krieg kam in München, noch bevor die Revolution Berlin ergriff, die angestaute Unzufriedenheit der kriegsmüden und unter unzureichender Versorgung leidenden Bevölkerung offen zum Ausbruch. Nach einer gewaltigen Friedensdemonstration auf der Theresienwiese am 7.11.1918, zu der die beiden sozialdemokratischen Parteien, MSPD und USPD, aufgerufen hatten, gelang es den Demonstrierenden unter Führung von Kurt Eisner, die Garnisonen der Stadt für die Revolution zu gewinnen. Der USPD-Politiker Eisner war wenige Wochen zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er wegen seiner Rolle als Organisator des Januarstreiks 1918 in München eine Haftstrafe hatte verbüßen müssen. Noch am Abend des 7.11.1918 konstituierte sich im Mathäserbräu in der Nähe des Stachus ein Arbeiter- und Soldatenrat und wählte Eisner zum Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten. Daneben wurde, bis zur Wahl einer Nationalversammlung, ein Provisorischer Nationalrat gebildet. Dieser bestätigte die erste revolutionäre Regierung, die vor allem aus Angehörigen der MSPD und der USPD bestand, mit Eisner als erstem Ministerpräsidenten des bayerischen „Freistaates“. Der bayerische König, der bereits in der Nacht von 7. auf 8. November aus München geflohen war, entband die auf ihn vereidigten königlichen Beamten am 12.11.1918 von ihrem Eid.

Eisners Regierungsprogramm
Innenpolitisch verfolgte Eisner einen Kurs, der auf die vollständige Überwindung des monarchischen Staates setzte und die konsequente Trennung von Staat und Kirche vorsah. Er strebte eine Synthese von parlamentarischer Demokratie und Rätesystem an. Eisner sah in den revolutionären Räten vor allem ein Instrument, um die öffentliche Verwaltung zu kontrollieren, die Errungenschaften der Revolution zu sichern, die sozialistische Umgestaltung der Wirtschaft voranzutreiben und vor allem die breiten Massen dauerhaft zu demokratisieren. Eine Rätediktatur nach sowjetischem Vorbild lehnte er ab. Was das Verhältnis Bayerns zum Reich anbelangte, so war Eisner Vertreter eines entschieden föderalistischen Staatsaufbaus. Auf der Konferenz der deutschen Ministerpräsidenten vom 22.11.1918 forderte er, belastete Vertreter des alten Systems aus den für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Behörden zu entfernen. Darüber hinaus versuchte Eisner, durch eigenständige außenpolitische Vorstöße neue Akzente zu setzen. Um im Ausland Vertrauen zu schaffen und die tiefgreifende Wandlung des neuen Deutschlands zu beweisen, ließ er Akten der alten Regierung veröffentlichen, mit denen er deren Schuld am Kriegsausbruch dokumentieren wollte. Damit zog Eisner vor allem den Hass der politischen Rechten auf sich. Sie sah in der Veröffentlichung einen Verrat an der Nation.

Eisners Auftritt auf dem ersten internationalen Sozialistenkongress in Bern
Einen viel beachteten Auftritt hatte Eisner auf der ersten internationalen Sozialistenkonferenz, die vom 3. bis 10. Februar 1919 in Bern stattfand. Die Redner der MSPD wurden dort überwiegend mit Misstrauen empfangen; ihnen wurde vorgeworfen, sich mit den Vertretern der „alten Eliten“ gegen die Arbeiterschaft verbündet zu haben. Auch das Bemühen, ihre Unterstützung der kaiserlichen Kriegspolitik zu rechtfertigen, stieß auf Unverständnis. Eisner dagegen rechnete schonungslos mit dem alten System und mit der Burgfriedenspolitik der MSPD ab. Er schlug sogar vor, dass die deutsche Arbeiterschaft sich am Wiederaufbau der zerstörten französischen Gebiete beteiligen solle. Für die meisten Sozialist*innen verkörperte Eisner das „neue Deutschland“, den ernst gemeinten Bruch mit dem allgemein verhassten „preußischen Militarismus“. Er war gewissermaßen der Star der Konferenz. Dem französischen Sozialisten Jean Longuet vertraute Eisner allerdings an, dass er mit dieser Rede sein eigenes Todesurteil unterzeichnet habe (Humanité, 22.2.1919). Mit dieser Prognose sollte er recht behalten.

Eisners Ermordung – Auftakt zur Eskalation der Lage in München
Wenige Tage nach seiner Rückkehr entschloss sich Eisner angesichts seiner vernichtenden Wahlniederlage zur Aufgabe. Auf dem Weg zum Landtag, wo er seinen Rücktritt verkünden wollte, wurde er am 21.2.1919 von Anton Graf von Arco auf Valley, einem monarchistischen und antisemitischen Studenten und Offizier, hinterrücks erschossen. Der Mord an Kurt Eisner wirkte wie ein Fanal und führte zu einer beispiellosen Mobilisierung und Radikalisierung der Münchner Arbeiterschaft. Das Attentat des Grafen Arco erschien gleichsam als Anschlag auf die Revolution insgesamt. Der gemäßigte Sozialdemokrat Erhard Auer wurde dabei von vielen als einer der geistigen Urheber des Attentats verantwortlich gemacht, weshalb ein aufgebrachter, radikaler Eisner-Anhänger in der konstituierenden Sitzung des Landtags auf ihn in schoss. Eisners Beerdigung am 26.2.1919 geriet zu einer gewaltigen Demonstration, an der sich rund hunderttausend Menschen beteiligten. Nach dem Mord an Eisner und der darauf folgenden Schießerei im Landtag flohen dessen Mitglieder zunächst aus der Stadt. Die Entscheidung, welchen Weg Bayern einschlagen sollte, lag nun beim Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte. Dieser konnte sich aber ebenso wenig durchsetzen wie die am 17./18.3.1919 von Johannes Hoffmann (SPD) im Landtag gebildete neue Landesregierung. Der schon länger schwelende Konflikt um die zukünftige Regierungsform – parlamentarische Demokratie oder Räterepublik – spitzte sich immer mehr zu.



Quellen

Ay, Karl-Ludwig: Die Entstehung einer Revolution. Die Volksstimmung in Bayern während des Ersten Weltkrieges, Berlin 1968.
Ay, Karl-Ludwig (Hg.): Appelle einer Revolution. Das Ende der Monarchie, das revolutionäre Interregnum, die Rätezeit. Dokumente aus Bayern zum Jahr 1918/1919, München 1968.
Dorst, Tankred (Hg.), Die Münchner Räterepublik. Zeugnisse und Kommentar, Frankfurt a.M. 1968.
Geyer, Martin H.: Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne. München 1914-1924, Göttingen 1998.
Grau, Bernhard: Kurt Eisner 1867-1919. Eine Biographie, München 2001. Herz, Rudolf/Dirk Halfbrod: Fotografie und Revolution. München 1918/19, Berlin 1988.
Höller, Ralf: Der Anfang, der ein Ende war. Die Revolution in Bayern 1918/19, Berlin 1999.
Mitchell, Allan: Revolution in Bayern 1918/1919. Die Eisner-Regierung und die Räterepublik, München 1967.
Schröder, Joachim: Die französischen Sozialisten und die Revolution in Deutschland (1918-1920), in: Führer, Karl Christian u.a. (Hg.): Revolution und Arbeiterbewegung in Deutschland 1918-1920, Essen 2013, S. 357-373.

Empfohlene Zitierweise

Joachim Schröder: Kurt Eisner und der Freistaat Bayern (publiziert am 16.11.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=474&cHash=7222a8c2898a4b416dda7334756c61d2