Münchener Abkommen 1938

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Verfasst von Peter Longerich

Internationaler Vertrag, in dem Hitler die Abtretung der sudetendeutschen Gebiete durchsetzen konnte

Ehrenwache bei der Münchner Konferenz vor dem ,Führerbau‘ in der Arcisstraße am 29.9.1938 | SZ Photo/Scherl, 00011563

Das Münchener Abkommen wurde in der Nacht zum 30.9.1938 als Ergebnis der Münchener Konferenz, die am Vortag begonnen hatte, durch die Regierungschefs Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und des Deutschen Reichs im sogenannten „Führerbau“ unterzeichnet. Das Abkommen beendete die sogenannte Sudetenkrise, die Hitler im Frühjahr 1938 im Zusammenspiel mit der weitgehend durch NS-Deutschland gesteuerten Sudetendeutschen Partei ausgelöst hatte: Durch immer höher geschraubte, von der Prager Regierung nicht erfüllbare Forderungen nach einer weitgehenden Autonomie für das von den Sudetendeutschen bewohnte Gebiet sollte die mangelnde Verhandlungsbereitschaft der Tschechoslowakischen Republik (CSR) demonstriert werden.

Begleitet von militärischen Drohgebärden und unter dem Trommelfeuer der deutschen Propaganda, die während des gesamten Sommers von Berichten über den angeblichen tschechischen Terror gegen die Sudetendeutschen beherrscht war, wurde die CSR massiv zur Abtretung der Gebiete aufgefordert. Die von Hitler erwartete Nichterfüllung dieser Forderungen sollte den Vorwand zur militärischen Besetzung, Auflösung und Annektierung der CSR abgeben – das eigentliche Ziel, das Hitler mit der Sudetenkrise verfolgte. Der von Hitler spätestens zum 1. Oktober beabsichtigte militärische Einmarsch in die CSR und damit die Gefahr eines Krieges zwischen Deutschland und den Westmächten konnte durch die Beschwichtigungspolitik („Appeasement“) des britischen Premiers Chamberlain verhindert werden: Chamberlain gab bei seinem überraschend vereinbarten Besuch auf dem Obersalzberg am 15. September seine grundsätzliche Bereitschaft zum Übergang der Gebiete an Deutschland zu erkennen. Doch auf der Godesberger Konferenz vom 22. September, auf der Chamberlain die Modalitäten der Gebietsabtretung aushandeln wollte, forderte Hitler überraschend die augenblickliche Räumung des Gebiets durch tschechoslowakische Behörden und drohte mit dem sofortigen Einmarsch der Wehrmacht in die umstrittenen Gebiete.

Der nun unvermeidbar scheinende militärische Konflikt wurde auf der – durch Vermittlung Mussolinis zustande gekommenen – Münchener Konferenz in letzter Minute verhindert. In dem Abkommen einigten sich Chamberlain, Mussolini, Hitler und der französische Premier Daladier auf die Abtretung des Sudetengebietes an das Deutsche Reich. Die CSR war an dieser Einigung nicht beteiligt, sondern wurde lediglich über das Ergebnis der Verhandlungen informiert. Die militärische Besetzung sollte in mehreren Phasen bis zum 10. Oktober stattfinden, die Grenzen sollten zu einem späteren Zeitpunkt durch einen internationalen Ausschuss festgelegt werden.

Die britische und die französische Regierung gingen bei ihrer Unterschrift unter das Münchener Abkommen von der Überlegung aus, dass sie mit ihrer Zustimmung zu der Abtretung der sudetendeutschen Gebiete wenigstens den Bestand des verbliebenen tschechoslowakischen Staates gesichert hätten und damit ihre Nachgiebigkeit gegenüber der aggressiven Politik Hitlers angesichts dieses Gesamtergebnisses gerechtfertigt sei. Tatsächlich hatten Großbritannien und Frankreich in einem Zusatz zum Vertrag eine Garantieerklärung für die CSR abgegeben, die deutsche (wie auch die italienische) Regierung jedoch die Abgabe einer solchen Erklärung lediglich in Aussicht gestellt. Hitler verstand es, sich dieser Zusage zu entziehen, indem er sein ursprüngliches Ziel, die Zerschlagung der CSR, unbeirrt weiterverfolgte: Am 15.3.1939 marschierten deutsche Truppen in der, wie es in der deutschen Propaganda hieß, „Rest-Tschechei“ ein.

Quellen

Čelovský, Boris: Das Münchener Abkommen 1938, Stuttgart 1958. Faber, David: Munich. The appeasement crisis, London 2008.
Hermann, Angela: Der Weg in den Krieg 1938/39. Quellenkritische Studien zu den Tagebüchern von Joseph Goebbels, München 2011.
Zarusky, Jürgen (Hg.): Das Münchener Abkommen von 1938 in europäischer Perspektive, München 2013.

Empfohlene Zitierweise

Peter Longerich: Münchener Abkommen (publiziert am 28.08.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=569&cHash=ee0376b7504252f302c13c90dce2fe20