Münchner Polizei im Auswärtigen Einsatz (1938 – 1945)

Topics
Verfasst von Joachim Schröder

Die Mitwirkung Münchner Polizisten an der Sicherung der NS-Herrschaft und am Holocaust in den besetzten Gebieten

Aufstellung von Polizeieinheiten für den ‚auswärtigen Einsatz‘ in den Hansa-Heimen, Dietlindenstraße 32, hier Bataillon 302 vor dem Abmarsch nach Norwegen, 7.10.1940 | Privatbesitz Daniel Popielas

Mit dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 begann auch für viele Polizeibeamte und Polizeireservisten der sogenannte „Auswärtige Einsatz“. In Österreich gingen Kommandos der Sicherheitspolizei mit Hilfe sorgfältig vorbereiteter Listen gegen tatsächliche oder potentielle politische Gegner*innen vor und nahmen diese in „Schutzhaft“. Analog zu den Polizeistrukturen im Deutschen Reich wurden Dienststellen der Kriminalpolizei und der Geheimen Staatspolizei errichtet und Gegner*innen des Regimes terrorisiert. Dieses Muster wiederholte sich in jedem Land, in das die deutsche Wehrmacht in den folgenden Jahren einmarschierte. Überall wurden Dienststellen der Ordnungs- und Sicherheitspolizei eingerichtet, die die hinter der Front liegenden Gebiete sicherten, die deutsche Besatzungsherrschaft aufrecht hielten, den Widerstand brutal niederschlugen und die rassistische NS-Bevölkerungspolitik umsetzten.

Ordnungspolizei
Mindestens 5000 Polizisten und Polizei-Reservisten aus München und der näheren Umgebung wurden zum „Auswärtigen Einsatz“ in die besetzten Gebiete in ganz Europa abgeordnet. Allein sechs Polizeibataillone mit aktiven Polizisten oder Polizeireservisten stammten aus dem Münchner Raum. Ihre Einsatzgebiete waren die Tschechoslowakei („Protektorat“), Polen, Slowenien, Norwegen und Frankreich. Daneben wurden im Verlauf des Krieges ganze Kompanien und auch kleinere Gruppen zu verschiedenen Polizeibataillonen und -regimentern abgestellt. Hinzu kamen Hunderte Beamte, die in den überall errichteten deutschen Polizeidienststellen im sogenannten „Einzeldienst“ tätig waren. Die Standorte mit den meisten Münchner Polizisten waren Posen (ca. 220 Mann), Lodz (ca. 285), Charkow (mindestens 300) und Simferopol (ca. 220).

Die Ordnungspolizei erledigte in den besetzten Gebieten kaum „normale“ Polizeiarbeit. Sie diente vor allem der Aufrechterhaltung der Besatzungsherrschaft, bewachte deutsche Dienststellen, Gefängnisse und Lager, in Polen und der Sowjetunion auch die dort eingerichteten Ghettos. In welchem Ausmaß die Polizisten und Polizeireservisten am Besatzungsterror in den besetzten Gebieten beteiligt waren, zeigt beispielhaft die Tätigkeit des Münchner Reserve-Polizeibataillons 72 (Schreiner-Bozic, Polen). Schon beim ersten Einsatz im Dezember 1939 in Tschenstochau verübten Bataillonsangehörige Verbrechen, die Eingang in eine Denkschrift des Wehrmacht-Oberbefehlshabers in Polen, Johannes Blaskowitz, fanden, der sich über das brutale Vorgehen von SS und Polizei beschwerte: Bataillonsangehörige hatten die Zivilbevölkerung beraubt, jüdische Gefangene gequält und ermordet.

In Polen und Slowenien führten Angehörige der Ordnungspolizei Umsiedlungen ganzer Bevölkerungsgruppen durch. Vielfach wurden Polizeieinheiten auch als Kampfverbände eingesetzt, besonders in der Sowjetunion, in Jugoslawien und in Griechenland. Unter dem Vorwand der „Partisanenbekämpfung“ gingen Angehörige der Ordnungspolizei vor allem in Osteuropa gegen unbeteiligte Zivilist*innen vor. Auch bei dem Massaker im Juni 1942 in Lidice, einem kleinen Ort im Protektorat Böhmen und Mähren, war eine Kompanie Münchner Polizisten beteiligt: Nach dem Attentat auf „Reichsprotektor“ Reinhard Heydrich und dessen Tod wurden im Rahmen einer „Vergeltungsaktion“ die Einwohner von Lidice ermordet oder verschleppt und das ganze Dorf zerstört.

Auch am Holocaust wirkten Münchner Ordnungspolizisten mit: Der „Polizei-Reiter-Abteilung III“ etwa gehörten auch Münchner Polizei-Reiter an. Die Einheit agierte im Raum Lublin und war an verschiedenen Mordaktionen wie der „Aktion Reinhard“, der „Aktion Erntefest“ und der Niederschlagung des Häftlingsaufstands im Vernichtungslager Sobibor beteiligt. Eine aus München stammende Kompanie des SS-Polizei-Regiments 23 nahm ab Mai 1943 an der „Befriedung“ des Warschauer Ghettoaufstandes teil: Sie spürte Überlebende des Aufstands auf und ermordete sie an Ort und Stelle. In verschiedenen weiteren, an Mordaktionen beteiligten Polizeibataillonen finden wir ebenfalls Münchner Beamte. Fast alle Angehörigen der Ordnungspolizei setzten nach dem Krieg ihren Dienst fort. Über ihre Erlebnisse und Taten im Krieg sprachen sie nicht, schon gar nicht öffentlich. Zur Verantwortung gezogen wurde nach bisherigem Kenntnisstand keiner der Münchner Beteiligten.

Sicherheitspolizei
Auch mehrere Hundert Angehörige der Münchner Gestapo und Kriminalpolizei wurden zum „Auswärtigen Einsatz“ abgeordnet. Sie dienten in „Einsatzkommandos“, bei der Geheimen Feldpolizei oder in lokalen Dienststellen der Sicherheitspolizei (Sipo). Solche Dienststellen wurden in allen größeren Orten eingerichtet und von Befehlshabern (BdS) bzw. Kommandeuren (KdS) geführt, beaufsichtigt von einem „Höheren SS- und Polizeiführer“ als direktem Stellvertreter des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler. Die Befehlshaber und Kommandeure waren durchgehend hohe Gestapobeamte, die Mitarbeiter rekrutierten sich aus den Heimatdienststellen. KdS in Nancy wurde etwa Josef Schmäling, ein langjähriger Münchner Gestapobeamter, KdS in Warschau Josef Meisinger. Leiter der „Abt. IV“, also der Gestapo, wurden Johann Schmer im „Generalgouvernement“ und Franz Straub in Belgien. Joseph Schreieder leitete die Spionageabwehr beim BdS in den Niederlanden. Bei allen Genannten handelte es sich um altgediente Münchner Polizeibeamte.

Die Dienststellen der Sipo waren nach dem Muster des Reichssicherheitshauptamtes strukturiert und umfassten Dienststellen des Sicherheitsdienstes der SS (Abt. III), der Gestapo (Abt. IV) und der Kriminalpolizei (Abt. V). Wenn nötig unterstützt von ihren Kollegen der Ordnungspolizei, unterdrückten Gestapo- und SD-Angehörige jeglichen Widerstand und verbreiteten Terror unter der Bevölkerung. Auch potenzielle Gegner wurden verfolgt. Die Beamten des SD und der Gestapo waren die Organisatoren der „Endlösung“. Sie richteten Sammellager und Ghettos ein, erfassten, deportierten und ermordeten Juden*Jüdinnen sowie Sintizze und Rom*nja. Die Kriminalpolizei bekämpfte rücksichtslos jede „Kriminalität“, auch wenn sie allein auf die mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln und Gütern zurückzuführen war. Als „Krimineller“ wurde auch verfolgt, wer Untergetauchten Schutz bot.

Die schwersten Verbrechen begingen Angehörige der Sicherheitspolizei in den sogenannten Einsatzgruppen bzw. den Einsatz- und Sonderkommandos sowie die lokalen Sipo/SD-Dienststellen in Polen und der Sowjetunion. Diese Einheiten ermordeten systematisch die jüdische Bevölkerung sowie Sinti*zze und Rom*nja. Alle drei Münchner Gestapochefs seit 1937, Lothar Beutel, Erich Isselhorst und Oswald Schaefer, waren entweder vor oder nach ihrer Münchner Dienstzeit Leiter solcher Kommandos und damit für Massenmorde verantwortlich. Zahlreiche Münchner Beamte aus Gestapo und Kriminalpolizei wurden zum „Kriegseinsatz“ in die berüchtigten Einsatzgruppen abgeordnet; wie viele es genau waren, ist bislang unbekannt. Einige wenige, wie Franz Limmer, wehrten sich erfolgreich gegen ihre Abordnung. Wie Münchner Kriminalbeamte nach dem Krieg bezeugten, war den Beamten durchaus bewusst, welche Aufgaben sie bei einem solchen Einsatz zu erledigen hatten.

Quellen

Schreiner-Bozic, Marcus: Dienst zwischen Bewachungsaufgaben, Partisanenbekämpfung und Massenmord. Die Münchner Ordnungspolizei im Auswärtigen Einsatz, in: Joachim Schröder: Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus, hg. vom Polizeipräsidium München und dem Kulturreferat der LH München, München 2013, S. 129-137.
Schreiner-Bozic, Marcus: Polen – Slowenien – Frankreich. Der Weg des Reserve-Polizeibataillons 72, in: ebd., S. 139-147.
Schröder, Joachim: Münchner Sicherheitspolizei in den besetzten Gebieten: Besatzungsterror und Mordaktion, in: ebd., S. 149-157.

Empfohlene Zitierweise

Joachim Schröder: Münchner Polizei im Auswärtigen Einsatz (publiziert am 30.01.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=576&cHash=aadf655b280e893b5c6582a66da9b56b