Rudolf von Sebottendorf (9.11.1875 Hoyerswerda – 8./9.5.1945 Istanbul)

Biographies
Verfasst von Sabine Schalm

Okkultist, Gründer der völkisch-antisemitischen Thule-Gesellschaft

Briefkopf der rechtsextremen, von Rudolf von Sebottendorf gegründeten Thule-Gesellschaft, 25.6.1919 | Stadtarchiv München, BUR 1659/1

Rudolf Glauer wurde als Sohn eines Lokomotivführers in Hoyerswerda geboren und kam nach eigenen Angaben im Elternhaus mit antisemitischem Gedankengut in Berührung. Mit 18 Jahren wurde er Vollwaise und soll sich nach einem abgebrochenen Studium am Berliner Polytechnikum im Ausland aufgehalten und dort mit Okkultismus beschäftigt haben. 1902 kam er nach München. Sechs Jahre später wurde er in Berlin wegen Urkundenfälschung verurteilt und tauchte bis 1913 in der Türkei unter, wo er angeblich 1910 von dem deutschen Offizier Baron Heinrich von Sebottendorff adoptiert wurde und die türkische Staatsangehörigkeit annahm. Von deutschen Behörden wurde die Adoption jedoch nicht anerkannt. Seit 1915 sicherte ihm die Heirat mit Bertha Anna Iffland, einer wohlhabenden Berliner Kaufmannstochter, ein materiell unabhängiges Leben.

Seit Frühjahr 1918 agitierte Sebottendorff in München und gründete die antisemitische Thule-Gesellschaft. Er erwarb im Juli 1918 den Münchener Beobachter und baute ihn zum radikal antisemitischen Propagandablatt der Gesellschaft aus. An der Niederschlagung der Münchner Räterepublik beteiligte er sich mit dem von ihm gründeten ‚Kampfbund Thule‘. Als ein Akteur im völkisch-antisemitischen Netzwerk Münchens förderte Rudolf von Sebottendorff 1919 die Gründung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP). Noch im selben Jahr verließ er München nach Streitigkeiten in der Thule-Gesellschaft. Bis zur Machtübernahme 1933 hielt er sich an wechselnden Orten im Ausland auf und publizierte neben astrologischen und esoterischen Texten seine geschönte Autobiographie Der Talisman des Rosenkreuzers (1925) unter den Pseudonym Erwin Torre.

Anfang April 1933 kehrte Sebottendorff nach München zurück und bemühte sich um die Wiederbelebung der bedeutungslos gewordenen Thule-Gesellschaft. Fortan stilisierte er sich und die Thule-Gesellschaft zu „Geburtshelfern der NSDAP“ (Gilbhard, S. 65). Diesen Status räumten die Nationalsozialisten ihm jedoch nicht ein und verhafteten ihn im November 1933 als politischen Hochstapler. Sein Buch Bevor Hitler kam (1933) wurde vorübergehend verboten. Am 10.2.1934 verurteilte ihn das Sondergericht München wegen Verbreitung von Gräuelmärchen zu drei Monaten Gefängnis. Die Vollstreckung der Haft wurde durch Verordnung des bayerischen Justizministers ausgesetzt, nachdem Sebottendorff sich schriftlich zur sofortigen Ausreise aus Deutschland verpflichtet hatte.

Zwei Wochen nach Urteilsverkündung ließ sich Rudolf von Sebottendorff in Österreich nieder und lebte im Juli 1934 in Liechtenstein. Nach weiteren Stationen im Ausland starb Sebottendorff 1945 in Istanbul. Die Umstände seines Todes sind ungeklärt.

Quellen

Gilbhard, Hermann: Die Thule-Gesellschaft. Vom okkulten Mummenschanz zum Hakenkreuz, München 1994, S. 59-68.

Empfohlene Zitierweise

Sabine Schalm: Sebottendorf, Rudolf von (publiziert am 15.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=768&cHash=0c8aaf94a8c3de704d8e14577c9dfdb4