Siemens und Halske AG

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Verfasst von Katja Klee

International führender Elektronik-Konzern; in München mit Fertigungsstätte für Telefonanlagen, bei der Zwangsarbeiter*innen eingesetzt wurden

Die 1847 in einem Berliner Hinterhof durch Werner (ab 1888 von) Siemens und Johann Georg Halske gegründete „Telegraphen-Bauanstalt Siemens & Halske“ erhielt bereits 1848 ihren ersten Großauftrag: die Nachrichtenübertragung zwischen dem preußischen Hof in Berlin und der in Frankfurt am Main tagenden Nationalversammlung mittels des von ihnen neu entwickelten Zeigertelegraphen. Der Betrieb expandierte fortan rasch durch lukrative Aufträge, technische Entdeckungen und Patente. Trotz substanzieller Verluste infolge des Ersten Weltkriegs setzte die Firma unter Leitung von Carl Friedrich von Siemens, dem Sohn des Firmengründers, ihre Entwicklung zum Universalunternehmen fort und zählte Mitte der 1920er-Jahre zu den fünf weltweit führenden Elektrotechnikkonzernen. In München übernahm Siemens 1927/28 die ehemalige Isaria-Zählerwerke AG in der Hofmannstraße 51 und baute sie zur Fertigungsstätte für Telefonanlagen um.

Ab 1933 profitierte Siemens ganz erheblich von staatlichen Rüstungsaufträgen. Die Entwicklung und Herstellung von elektrotechnischen und optischen Geräten sowie Apparaten erfolgten zunehmend für militärische Zwecke. So wurden für die Wehrmacht z. B. Scheinwerfer, Ferngläser, Feldtelefone oder Kommando- und Nachrichtengeräte gefertigt. Auch im Flugmotorenbau für die Luftwaffe engagierte sich Siemens vorübergehend. Im Gegenzug kam die zivile Produktion fast vollständig zum Erliegen. Zwischen 1935/36 und 1940/41 konnte die Firma ihre „kriegswichtige“ Produktion um 81% steigern. Hermann Göring stellte anlässlich des Todes von Carl Friedrich von Siemens 1941 fest, dass dessen Name „mit dem Aufbau der deutschen Rüstung für alle Zeiten verknüpft“ sein werde.  

Um den Arbeitskräftemangel infolge der Ausweitung der Produktion einerseits und der Einberufung der Stammbelegschaft zur Wehrmacht andererseits aufzufangen, wurden während des Zweiten Weltkriegs auch bei Siemens Zehntausende von Zwangsarbeitern eingesetzt. Darunter waren zahlreiche zwangsverpflichtete Zivilarbeiter, ab 1942 auch immer mehr Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Flossenbürg oder Auschwitz. Nicht nur in München unterhielt Siemens eigene Zwangsarbeiterlager. Der vergleichsweise niedrige Anteil von 11,7 % ausländischen Arbeitskräften an der Gesamtbelegschaft im Münchner Siemenswerk im Frühjahr 1944 weist darauf hin, dass hier vor allem elektrotechnische Entwicklungsarbeit von Facharbeitern geleistet wurde, für die ungelernte Kräfte weniger gut geeignet waren. In den großen Münchner Rüstungsbetrieben wie BMW (Flugmotoren) oder Rathgeber (Eisenbahnwaggons) hingegen waren schon zu dieser Zeit annähernd zwei Drittel der Beschäftigten Zwangsarbeitende.

Infolge des Luftkriegs verlagerte der Konzern zahlreiche Betriebsstätten in weniger luftkriegsgefährdete Regionen und errichtete ein dichtes Netz von Fertigungsstätten in direkter Nähe von Konzentrationslagern, etwa bei Groß-Rosen oder Sachsenhausen. In Ravensbrück entstand 1942 ein eigenes Siemenslager direkt auf dem KZ-Gelände, in dem die inhaftierten Frauen und Mädchen Bauteile für Feldtelefone, Messgeräte und U-Boote fertigten. Die Arbeitskraft der Zwangsdeportierten und KZ-Häftlinge ermöglichte dem Konzern, seine Produktion im Krieg nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern bis Sommer 1944 sogar zu steigern.

Als die Firmenleitung von dem Plan der Alliierten zur Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen erfuhr, verlegte sie noch im Februar 1945 ihren Hauptsitz nach München, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Bei Kriegsende hatte Siemens vier Fünftel seines Besitzstands in Folge der Kriegseinwirkungen verloren. Die Produktionsstätten in der Sowjetischen Besatzungszone wurden enteignet, teilweise abgebaut und abtransportiert. In der US-Zone jedoch genehmigte die Militärregierung bereits Ende 1945 wieder eine eingeschränkte Tätigkeit. Die Konzernzentrale von Siemens blieb seitdem in München.

Anfang der 1960er-Jahre konnte die Jewish Claims Conference (JCC) gegenüber Siemens Entschädigungszahlungen in Höhe von ca. 7 Millionen DM für jüdische Zwangsarbeiter*innen, die in KZs interniert gewesen waren, durchsetzen. Weitere Klagen wies das mittlerweile wieder global tätige Unternehmen jahrzehntelang erfolgreich ab. Erst unter dem Druck der Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter*innen auf Schadensersatzzahlungen in den USA Ende der 1990er-Jahre reagierte die Firma: Die Siemens AG richtete 1998 einen firmeneigenen „Humanitären Hilfsfonds für ehemalige Zwangsarbeiter“ ein und wurde Gründungsmitglied der im Jahr 1999 ins Leben gerufenen Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Laut Auskunft von Siemens wurden seit 1962 insgesamt rund 150 Millionen Euro an Entschädigungsleistungen an ehemalige Zwangsarbeiter*innen bezahlt.


Quellen

Feldenkirchen, Wilfried: Siemens 1918-1945, München 1995.
Backmund, Michael: Siemens & Halske AG, in: Nerdinger, Winfried (Hg.): Ort und Erinnerung. Nationalsozialismus in München, München 2006, S. 120.
Siemens Historical Institute (Hrsg.): Die Siemens-Unternehmer 1847-2018, München 2018. 
Heusler, Andreas: Ausländereinsatz. Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939-1945, München 1996.
Lillteicher, Jürgen (Hrsg.): Profiteure des NS-Systems? Deutsche Unternehmen und das „Dritte Reich“, Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Zusammenarbeit mit dem Fonds „Erinnerung und Zukunft“ der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, Berlin 2006.

Empfohlene Zitierweise

Katja Klee: Siemens (publiziert am 31.01.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=780&cHash=8cfa26f0109024e110ef49b87151cb2a