Sinti*zze und Rom*nja: Verfolgung während der Kriegszeit

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Verfasst von Joachim Schröder/Sarah Grandke

Verfolgung, Deportation und Ermordung einer ethnischen Minderheit durch den NS-Staat im Zweiten Weltkrieg

Zwangsverpflichtete Sinti bei Pflasterarbeiten in München-Giesing mit dem Leiter der "Dienstelle für Zigeunerfragen" August Wutz (Mitte, mit Mantel), 1942 | Privatbesitz

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges bedeutete eine deutliche Verschärfung für alle Menschen, die nicht zur nationalsozialistischen ‚Volksgemeinschaft‘ gehörten, so auch für die Münchner Sinti*zze und Rom*nja. Ihre Rechte und Lebensbedingungen waren bereits in den Jahren zuvor – u.a. durch die sogenannten ‚Nürnberger Rassengesetze‘ und den Erlass zur ‚Bekämpfung der Zigeunerplage‘ (Oktober 1938) – empfindlich eingeschränkt worden. Am 21.9.1939 berief Reinhard Heydrich, der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, dem das Reichskriminalpolizeiamt und die ‚Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens‘ unterstellt waren, eine Konferenz ein. Da die nationalsozialistische Polizei die im Deutschen Reich lebenden Sinti*zze und Rom*nja als ‚Unsicherheitsfaktor‘ einstufte, wurde beschlossen, sie sobald als möglich in das besetzte Polen, das sogenannte ‚Generalgouvernement‘ zu deportieren. Bis dahin durften Sinti*zze und Rom*nja ihren Wohnort nicht mehr verlassen – so schrieb es der am 17.10.1939 ergangene ‚Festsetzungserlass‘ Heinrich Himmlers unter Androhung der Einweisung in ein Konzentrationslager (KZ) vor.

‚Festsetzungserlass‘ und verschärfte Kontrolle
Während vor allem aus den westlichen Grenzregionen des Deutschen Reichs im Mai 1940 etwa 2800 Sinti*zze und Rom*nja familienweise in das Generalgouvernement verschleppt wurden, verzögerte sich im übrigen Reichsgebiet die geplante Deportation. In einer konzertierten Aktion vom 25. bis 27.10.1939 hatten die Beamten der ‚Dienstelle für Zigeunerfragen‘ der Münchner Kriminalpolizei bereits sämtliche in München lebende Sinti*zze und Rom*nja lückenlos erfasst. Wie im ganzen Reichgebiet wurden Personen, die von den Nationalsozialisten als ‚Zigeuner‘ angesehen wurden, wie Kriminelle registriert und erkennungsdienstlich behandelt.

Anders als vom Reichssicherheitshauptamt eigentlich vorgesehen und abweichend von der Praxis in anderen Städten richtete die Kriminalpolizei in München aber kein ‚Zigeunerlager‘ ein. Ein solches „Zusammenfassen“ in einem Lager, so meinte Kriminaldirektor und SS-Sturmbannführer Werner Katto, würde nur dazu führen, dass der „Wandertrieb erneut angeregt wird“. Offensichtlich vermochten die Beamten auch ohne dieses Zwangsmittel die etwa 200 Münchner Sinti*zze und Rom*nja zu überwachen. Sie waren denselben rassistischen Bestimmungen unterworfen wie die Münchner Juden*Jüdinnen, wurden aus der Wehrmacht ausgeschlossen, zur Zwangsarbeit herangezogen, mussten eine Sondersteuer in Höhe von 15 % entrichten und erhielten geringere Lebensmittelrationen als die übrige Bevölkerung. Die Kinder wurden von den allgemeinen Schulen verwiesen oder mussten auf Hilfsschulen gehen; einige Jugendliche wurden in Heimen untergebracht. Bei Verstoß gegen die strengen Meldeauflagen drohte den Sinti*zze und Rom*nja die sofortige Einweisung in ein Konzentrationslager, ebenso wenn sie aufgrund mehrerer Vorstrafen oder angeblicher ‚Arbeitsscheue‘ als Kriminelle oder ‚Asoziale‘ eingestuft wurden. Aus München wurden mindestens sieben Männer, die als ‚Zigeuner‘ verfolgt wurden, v.a. im Laufe des Jahres 1942 aus unterschiedlichen Gründen inhaftiert und u.a. in die KZ Dachau, Flossenbürg und Sachsenhausen verschleppt.

Die Deportation der Sinti*zze und Rom*nja aus München und Umgebung in das ‚Zigeunerlager‘ Auschwitz-Birkenau im Frühjahr 1943
Ende des Jahres 1942 entschied Himmler, alle im Deutschen Reich lebenden ‚Zigeunermischlinge‘ in ein eigens eingerichtetes ‚Zigeunerlager‘ im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zu deportieren. Nach dem am 16.12.1942 ergangenen ‚Auschwitz-Erlass‘ Himmlers und den folgenden Ausführungsbestimmungen des Reichskriminalpolizeiamtes vom 29.1.1943 waren ‚sozial angepasste‘ Sinti*zze und Rom*nja davon ausgenommen, soweit sie bereit waren, sich sterilisieren zu lassen. Daneben sollte sich die Deportation v.a. auf ‚Zigeunermischlinge‘ fokussieren. Dies war auf die von der ‚Rassenbiologischen Forschungsstelle‘ formulierte Theorie zurückzuführen, nach denen im Gegensatz zu den ‚reinrassigen Zigeunern‘ die ‚Zigeunermischlinge‘ besonders zur Kriminalität neigen würden. Einem Schreiben der Kriminalpolizeileitstelle München an die Berliner Reichszentrale vom 7.4.1942 zufolge lagen im Jahr 1942 für ganz Bayern Gutachten der ‚Rassenbiologischen Forschungsstelle‘ über 64 ‚Zigeuner‘ und 484 ‚Zigeunermischlinge‘ vor, weitere 340 Personen waren als ‚Nichtzigeuner‘ eingestuft worden. Nach welchen genauen Kriterien die zuständigen Kriminalbeamten dann tatsächlich auswählten, ist nicht überliefert. Vermutlich spielten die ‚angepasste‘ Lebensweise, die Zustimmung zur ‚freiwilligen‘ Sterilisation oder die Ehe mit einem ‚arischen‘ Lebenspartner eine Rolle, möglicherweise auch Kontakte zur Polizei und NSDAP.

Unterstützt von Beamten der Schutzpolizei verhafteten Kripobeamte in München und Umgebung am 6./7. und 8.3.1943 136 Sinti*zze und Rom*nja. Fast zur Hälfte waren die Verhafteten unter 18 Jahre alt. Sie wurden zunächst einige Tage im Polizeigefängnis an der Ettstraße festgehalten. Der Leiter der Dienststelle, Kriminalobersekretär August Wutz, Kriminalsekretär Josef Zeiser und weitere Beamte begleiteten die in Güterwaggons gepferchten Menschen dann persönlich bis Auschwitz-Birkenau. Bei der Verhaftung wie beim Transport wurden die Menschen misshandelt, wie nach dem Krieg Überlebende im Spruchkammerverfahren gegen Wutz übereinstimmend aussagten. In den folgenden Tagen und Wochen wurden einige weitere Sinti*zze und Rom*nja aus dem Münchner Raum ins ‚Zigeunerlager‘ deportiert. Die Bedingungen während des Transportes sowie im Lager selbst waren verheerend. Krankheiten breiteten sich extrem schnell aus. Neben einer planmäßigen Unterernährung, schwerer Zwangsarbeit, vor allem beim Aufbau des Lagers, und dem Mangel an Trinkwasser litten die Häftlinge unter der Brutalität der Wachmannschaften.

Von über 22.000 in das ‚Zigeunerlager‘ Auschwitz-Birkenau deportierten Sinti*zze und Rom*nja aus dem Deutschen Reich wurden etwa 19.000 ermordet oder kamen aufgrund der katastrophalen Bedingungen im Lager ums Leben. Nicht wenige wurden Opfer von skrupellosen medizinischen Experimenten, die der SS-Arzt Dr. Josef Mengele auch an Kindern und zum Teil ohne Narkose durchführte, wie u.a. Hugo Höllenreiner in seinen Erinnerungen berichtet. Daneben stellte die SS Transporte zusammen, die eigens für solche Experimente in andere Konzentrationslager geschickt wurden.

Im Frühjahr 1944 wurden viele, die als noch ‚arbeitsfähig‘ galten, aus dem ‚Zigeunerlager‘ zur Zwangsarbeit in die KZ Buchenwald, Ravensbrück und Mittelbau-Dora sowie deren Außenlager verschleppt. Im Mai 1944 plante die SS die sogenannte ‚Liquidierung‘ des ‚Zigeunerlager‘. Die im Lager verbliebenen Sinti*zze und Rom*nja sollten in den Gaskammern ermordet werden. Mit Steinen, Werkzeugen und selbstgefertigten Waffen widersetzten sich die Sinti*zze und Rom*nja der SS. Auch Münchner waren an dem Aufruhr im ‚Zigeunerlager‘ beteiligt. Vorerst konnten die Häftlinge die drohende Vernichtung abwenden. In den darauffolgenden Wochen schickte die SS die als noch ‚arbeitsfähig‘ Eingestuften sowie ehemalige Wehrmachtsangehörige mit deren Angehörigen, die ‚privilegiert‘ werden sollten, in andere Konzentrationslager wie Buchenwald, Flossenbürg und Ravensbrück. Zurück blieben fast 3000 Sinti*zze und Rom*nja, die die SS am 2./3.8.1944 in den Gaskammern ermordete.

Im KZ Ravensbrück, wohin auch einige Münchner*innen im Sommer 1944 verschleppt wurden, nahmen SS-Ärzte an Sinti*zze und Rom*nja über zwöf Jahren ‚freiwillige‘ Sterilisationen vor. Die den Sinti*zze und Rom*nja im Gegenzug versprochene Freiheit, erlangten diese jedoch nicht. Die Frauen und Kinder wurden im März 1945 auf einen tagelangen Transport ins KZ Mauthausen geschickt und nach nur wenigen Tagen weiter ins KZ Bergen-Belsen. Die Transporte erfolgten ohne ausreichende Nahrungsmittel und Wasser sowie ohne sanitäre Einrichtungen. Die Männer brachte die SS ins KZ Sachsenhausen. Einige meldeten sich dort ‚freiwillig‘ zum Militärdienst, da ihnen die Freilassung ihrer Angehörigen in Aussicht gestellt wurde. So mussten mindestens drei Münchner in den Reihen der Einheit Dirlewanger kämpfen. Deren Angehörige wurden dennoch nicht aus dem KZ entlassen.
Insgesamt kamen mindestens 99 der 141 im Frühjahr 1943 nach Auschwitz Deportierten aus München und Umgebung in den nationalsozialistischen Lagern ums Leben.

Einzeldeportationen, NS-Justiz
Diejenigen Münchner Sinti*zze und Rom*nja, die nicht nach Auschwitz verschleppt worden waren, mussten oft einer Sterilisation zustimmen. Sie lebten bis Kriegsende unter ständiger Angst vor der Einweisung in ein Konzentrationslager, die bei der geringsten Übertretung der strengen Meldeauflagen erfolgen konnte. Mindestens fünf als ‚Zigeuner‘ verfolgte Personen, die Verhaftung und Deportation hatten entgehen können und untergetaucht waren, lebten zeitweise unter falscher Identität in der Stadt.

Daneben hatten Sinti*zze und Rom*nja auch die NS-Justiz zu fürchten, die sich mit Fortdauer des Krieges extrem radikalisierte. So war beispielsweise im Jahr 1940 der erst 16-jährige Eduard Herzenberger, weil er einem Arbeitskollegen ein Paar Schuhe entwendet hatte, von einem Jugendgericht mit einem Monat Gefängnis bestraft worden. Zwei Jahre später beging Herzenberger, der nach Konflikten mit seinem Vater das elterliche Heim verlassen hatte und vollkommen mittellos war, mehrere Diebstähle. Das Münchner Sondergericht hielt ihn für eine „rassisch minderwertige Persönlichkeit“ und verurteilte den erst 18-Jährigen am 11.11.1942 als „Volksschädling“ und „schweren Gewohnheitsverbrecher“ zum Tode. Die Hinrichtung in Stadelheim erfolgte am 26.3.1943.

Nach Kriegsende
Der Großteil der Sinti*zze und Rom*nja aus dem Münchner Raum wurde in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet oder kam dort aufgrund der Haftbedingungen ums Leben. Die wenigen Überlebenden kehrten zunächst häufig nach München und Umgebung zurück. Die Reintegration fiel vielen jedoch extrem schwer, da ein Großteil der Familien ausgelöscht worden war und auch nach dem Krieg die Diskriminierung nicht endete. Der Besitz der Deportierten war durch die Nationalsozialisten konfisziert worden. Jahrzehnte mussten die Sinti*zze und Rom*nja um eine angemessene Wiedergutmachung kämpfen. Erst 1982 wurden aufgrund der Protestaktionen einer Bürgerrechtsbewegung die nationalsozialistischen Verbrechen an den Sinti*zze und Rom*nja als Völkermord aus Gründen der ‚Rasse‘ durch die Bundesrepublik Deutschland anerkannt. Dies bewirkte grundlegende Änderungen in der Entschädigungspraxis für Personen, die durch die Nationalsozialisten als ‚Zigeuner‘ verfolgt worden waren.

Die Täter hingegen hatten in der Bundesrepublik keine gravierenden Konsequenzen zu fürchten. Alle an der Verfolgung der Sinti*zze und Rom*nja beteiligten Münchner Kriminalbeamten blieben diesbezüglich ohne Strafe.

Quellen

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, LKA 755, PA Josef Zeiser.
Staatsarchiv München, Pol. Dir. 7033, u.a. Bl. 67, Vermerk Dr. Werner Katto, 9.4.1942.
Staatsarchiv München, Spruchkammern K 2021, August Wutz.
Staatsarchiv München, Staatsanwaltschaften 21836.

Eiber, Ludwig: „Ich wußte, es wird schlimm.“ Die Verfolgung der Sinti und Roma in München 1933-1945, München 1993.
Nerdinger Winfried (Hg.): Die Verfolgung der Sinti und Roma in München und Bayern 1933–1945.
Rose, Romani (Hg.): "Den Rauch hatten wir täglich vor Augen". Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma (Katalog zur ständigen Ausstellung im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Heidelberg), Heidelberg 1999.
Schröder, Joachim: Die "Dienststelle für Zigeunerfragen" der Münchner Kriminalpolizei und die Verfolgung der Sinti und Roma, in: Bahr, Matthias/Poth, Peter (Hg.): Hugo Höllenreiner – ein Leben. Das Zeugnis eines überlebenden Sinto und seine Perspektiven für eine bildungssensible Erinnerungskultur, Stuttgart 2014, S. 141-152.
Tuckermann, Anja: "Denk nicht, wir bleiben hier!" Die Lebensgeschichte des Sinto Hugo Höllenreiner, München 2008.
Zimmermann, Michael: Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische "Lösung der Zigeunerfrage", Hamburg 1996.
Zeugenaussage Elisabeth Guttenberger, geb. Schneck am 2.2.1965 im Auschwitz-Prozeß, in: Protokoll, Kommissarische Vernehmung vom 2.2.1965 (Pforzheim), 4 Ks 2/63, Bd. 108, Anlage 2 zum Protokoll vom 11.2.1965, aus: Fritz Bauer Institut; Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hg.): Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente. Berlin 2004, 29.124-29.139.


Empfohlene Zitierweise

Joachim Schröder/Sarah Grandke: Sinti*zze und Rom*nja: Verfolgung während der Kriegszeit (publiziert am 14.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=782&cHash=40274158f31a4d5d3802e47a1c14239a