Julius Spanier (18.4.1880 München – 27.1.1959 München)

Biographies
Verfasst von Ilse Macek

Kinderarzt, Überlebender von Theresienstadt, Remigrant, erster Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde nach 1945

Julius Spanier (1880-1959) | Stadtarchiv München

Julius Spanier, als Sohn des Börsenagenten Joseph Spanier und Gretchen, geborene Weinbach, in München zur Welt gekommen, studierte an der Ludwig-Maximilans-Universität Medizin und absolvierte die Facharztausbildung zum Kinderarzt und Allgemeinmediziner in Berlin; die Promotion folgte 1904, die Niederlassung 1906. 1907 heiratete er die 1886 geborene und aus Krefeld stammende Zipora Knoller.

Im Ersten Weltkrieg leistete er von 1915 bis 1918 Dienst als Sanitätsoffizier. Von 1926 bis 1928 war er Mitglied der Münchner Gesellschaft für Kinderheilkunde und in der Säuglingsfürsorge tätig, die er 1919 mitbegründet hatte. Nebenamtlich arbeitete er als Schularzt und sorgte für die sogenannte ‚Schulspeisung‘ auf seine eigenen Kosten; auch das jüdische Kinderheim in der Antonienstraße wurde von ihm medizinisch betreut.

Die Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz erklärte am 25.7.1938 die Approbation aller jüdischen Ärztinnen und Ärzte zum 30.9.des Jahres für „erloschen“. Nach der Emigration von Dr. Berthold Weiss übernahm Dr. Spanier 1939 die Leitung des Israelitischen Privatklinik e.V. an der Hermann-Schmid-Straße 5-7, wo ihn seine Frau im Pflegedienst unterstützte. Als sogenannter jüdischer ‚Krankenbehandler‘ war er Vertrauensmann in der ‚Heimanlage für Juden‘ in Berg am Laim und im Arbeitslager ‚Flachsröste Lohhof‘.

Am 4.6.1942 wurde das Krankenhaus zwangsgeräumt. Schwestern, Kranke und auch Sterbende wurden dabei in Möbelwagen verladen; im ersten von drei Transporten nach Theresienstadt waren auch der 62-jährige Julius Spanier und seine Frau. Kurz zuvor, von staatlicher Seite ohnehin systematisch in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, hatte man ihm auf Verfügung des Staatsministeriums des Innern sein gesamtes verbliebenes Vermögen zum 30.5.1942 entzogen.

Julius Spanier und seine Frau überlebten Theresienstadt; auch dort war er seiner ärztlichen Tätigkeit nachgegangen. Er wurde für vier Jahre der erste Präsident der am 19.7.1945 in München wiedergegründeten Jüdischen Gemeinde. Von 1947 bis 1953 wurde er auch zum Vorsitzenden des Landesausschusses gewählt, des obersten Organs des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern. Im ersten Jahr nach dem Krieg leitete er zudem den ärztlichen Bezirksverein München und war von Februar bis Juni 1946 als Mitglied im Bayerischen Beratenden Landesausschuss tätig. Von 1946 bis 1955 übernahm er die Leitung der Kinderklinik an der Lachnerstraße. Von 1947 bis 1951 war er Mitglied des Bayerischen Senats. Er machte sich ab 1948 um die christlich-jüdische Zusammenarbeit im Vorstand der gleichnamigen Gesellschaft verdient und starb hoch geehrt und geachtet im Alter von 78 Jahren.

Quellen

Stadtarchiv München, Datenbank zum biographischen Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945.
Drecoll, Axel: Die „Entjudung“ der Münchner Ärzteschaft 1933-1941, in: Angelika Baumann/Andreas Heusler (Hg.): München „arisiert‘. Entrechtung und Enteignung der Juden in der NS-Zeit, München 2004, S. 70-86.
Spies, Gerty: Erinnerungen an Dr. Julius Spanier, in: Hans Lamm (Hg.): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München, München 1958, S. 130-135.

Empfohlene Zitierweise

Ilse Macek: Spanier, Julius (publiziert am 16.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=786&cHash=0922a407e76b903555ea7e45b5cbaec5