Tötungsanstalt Grafeneck

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Verfasst von Sibylle von Tiedemann

Zentrale Anstalt zur Ermordung von Kranken und Behinderten in der erste Phase der NS-„Euthanasie“

‚Euthanasie’-Tötungsanstalt Grafeneck | Bildarchiv Gedenkstätte Grafeneck – Dokumentationszentrum

Die Tötungsanstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb wurde in einem beschlagnahmten Heim für Menschen mit Behinderung eingerichtet. In dieser ersten von sechs Tötungsanstalten der „Aktion T4“ begann die Vernichtung von Patient*innen am 18.1.1940, als der erste Transport aus der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar mit 25 Männern eintraf. Ab diesem Zeitpunkt und bis Dezember 1940 wurden etwa 11.000 Menschen in den als Duschräumen getarnten Gaskammern mit Kohlenmonoxidgas ermordet. Grafeneck war Ziel von drei oder vier Transporten aus der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar. Die Tötungen in Grafeneck wurden aus verschiedenen Gründen eingestellt: Die Morde in Grafeneck ließen sich auf Dauer nicht mehr geheim halten. Außerdem waren in Südwestdeutschland bereits 50 % aller Anstaltspatient*innen ermordet und somit die von den NS-Behörden gesteckten Ziele für diese Region erreicht worden.

Bis Mai 1940 leitete der Arzt Horst Schumann die Tötungsanstalt, dann übernahm der Arzt Ernst Baumhardt diese Funktion. In Grafeneck arbeiteten bis zu 100 Männer und Frauen als Ärzte, Polizeibeamte, Büroangestellte, Pflege-und Transport-, Wirtschafts- und Hauspersonal sowie Wachmannschaften und Leichenbrenner. In einem Sonderstandesamt wurden Todesurkunden mit fingierten Angaben zu Datum und Ursache des Todes ausgestellt. Hier wurden auch die sogenannten „Trostbriefe“ für die Angehörigen verfasst.

Von 1941 bis 1945 wurde Grafeneck als Heim für die Kinderlandverschickung genutzt. Nach dem Krieg erhielt die ursprüngliche Besitzerin, eine Samariterstiftung, das Gebäude wieder zurück; sie baute dort erneut eine Behinderteneinrichtung auf. 1965 wurde das Gebäude, in dem die Tötungen stattgefunden hatten, abgerissen und ein erster Gedenkort auf dem Friedhof eingerichtet. Seit 1990 gibt es eine Gedenkstätte.

Quellen

Stöckle, Thomas: Grafeneck 1940. Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, Tübingen 2012.

Empfohlene Zitierweise

Sibylle von Tiedemann: Tötungsanstalt Grafeneck (publiziert am 18.12.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=841&cHash=a5e92d95e692539d442818a949f5f29f