Verbrechen der Endphase des Zweiten Weltkriegs

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Verfasst von Veronika Diem

Besondere Kategorie von NS-Verkriebrechen am Ende des Zweiten Weltgs, verdeutlicht am Beispiel der Niederschlagung der Freiheitsaktion Bayern

Die in der wissenschaftlichen Forschung gebräuchliche Bezeichnung ist ‚Verbrechen der Endphase‘. Daneben finden sich auch ‚Endkriegsverbrechen‘ oder ‚Kriegsendeverbrechen‘. Die Verbrechen der Endphase waren vor allem dadurch geprägt, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges und damit der Zusammenbruch des NS-Staates spürbar und in greifbare Nähe gerückt waren.

„Die staatliche Ordnung löste sich auf, bürokratische wie militärische Hierarchien bröckelten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten wurden auf mittlere und untere Entscheidungsebenen verlagert, die Täter handelten autonom. Verbrechen wurden zunehmend als Einzeltaten und außerhalb der etablierten Verfolgungsapparate, begangen. Unterschiedliche persönliche Motive und konkrete individuelle Interessen auch jenseits ideologischer Überzeugungen gewannen für die Anwendung tödlicher Gewalt an Bedeutung. Entscheidungen über Leben und Tod fielen häufig ausschließlich vor Ort, nicht selten spontan oder affektiv.“ (Keller, S. 4).

Definition Endphase
Die Endphase wurde in der Nachkriegszeit seitens des Gesetzgebers (Straffreiheitsgesetz, 17.7.1954) für den Zeitraum von 1.10. 1944 bis 31.7.1945 festgesetzt und konnte sich strafmildernd für Angeklagte auswirken. Der lange Zeitraum erklärt sich durch das Voranrücken der alliierten Truppen auf das Altreich. So ergab sich eine lange Phase des Kriegsendes. Die alliierten Truppen erreichten Ende März 1945 die heutigen Grenzen Bayerns, München aber wurde erst am 30.4.1945 an US-Truppen übergeben. Das Näherrücken des Frontverlaufes war oft von chaotischen Zuständen gekennzeichnet, und Gewalttaten waren der besonderen Gemengelage geschuldet, die mit den Schlagworten: Auflösung, Endzeitstimmung, Hysterie, Panik, Gewaltbereitschaft und Durchhalteterror seitens der NS-Machthaber beschrieben werden können.

Standrecht
Zum Teil wurden die Hinrichtungen nach standrechtlichen Verfahren durchgeführt. Standrecht war ein in verschiedenen Zusammenhängen eingeführtes, aus dem militärischen Bereich stammendes, vereinfachtes juristisches Verfahren. In München erfuhren die Leser*innen des Völkischen Beobachters am 11.4.1945, dass das Standrecht über den Gau München-Oberbayern verhängt wurde. Das Urteil des Standgerichtes unter dem Vorsitz von Gauleiter Paul Giesler und mit zwei Beisitzern (je aus dem Kreis der NSDAP und der Wehrmacht, Polizei oder Waffen-SS) konnte auf Freispruch, Todesstrafe oder Verweis an die ordentliche Gerichtsbarkeit lauten. Oft wurden jedoch nicht einmal diese Verfahrensregeln eingehalten.

Zahl der Opfer
Aufgrund der dürftigen Quellenlage ist eine genaue Ermittlung der Opferzahlen nicht möglich. Insgesamt ist „von 750 bis 1000 Opfern unter der deutschen Zivilbevölkerung“ auszugehen; bei deutschen Soldaten ist die Zahl der Opfer „im hohen vierstelligen, vielleicht auch im fünfstelligen Bereich anzusiedeln“, und bei ausländischen Zwangsarbeiter*innen und Kriegsgefangenen ist die Opferzahl „jedenfalls im deutlich fünfstelligen Bereich zu vermuten“ (Keller, S. 51-53).

Niederschlagung der Freiheitsaktion Bayern (FAB)
In diesen Kontext sind auch die Verbrechen im Gefolge des FAB-Aufstandes einzuordnen. Die FAB hatte in der Nacht vom 27. auf den 28.4.1945 die Rundfunksender Freimann und Ismaning besetzt. Rundfunkaufrufe forderten die Hörer*innen zum Handeln und zur Beseitigung von NS-Funktionären auf. Als sich von München aus SS-Einheiten näherten, verließen die FAB-Mitglieder die Sendeanlagen und versteckten sich in der Umgebung. Der Gauleiter und auch der Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler verbreiteten bereits wenig später ihr Dementi über dieselbe Frequenz. Damit mussten die Hörer*innen realisieren, dass die FAB gescheitert war und kein Machtwechsel stattgefunden hatte.

Schon während der FAB-Übertragungen hatte die Gauleitung mit Hilfe von Volkssturmeinheiten die Verfolgung mutmaßlicher FAB-Anhänger*innen und Sympathisant*innen aufgenommen. Insgesamt 22 Menschen wurden in den Bunker des Zentralministeriums (heute Landwirtschaftsministerium) an der Ludwigstraße gebracht. 15 Menschen kamen wieder frei, sieben Gefangene wurden teils im Hof des Gebäudes und teils im Perlacher Forst getötet, wo man nach dem Krieg noch zwei weitere Leichen fand.

Durch die Aufrufe wurden in München und im südlichen Bayern nach heutigem Wissensstand insgesamt 78 Widerstandsaktionen ausgelöst. Hierbei beteiligten sich etwa 990 Menschen. Ihr Grundmotiv war die Sorge um den Schutz des Stadtviertels oder der Gemeinde vor Kriegshandlungen und Zerstörungen. Die Widerstandshandlungen reichten vom Hissen weißer Flaggen über die Gefangennahme von NS-Funktionären bis hin zur Übergabe der Gemeinde an US-Truppen. 58 dieser Aktionen nahmen ein glimpfliches Ende, doch 20 eskalierten: In vier Situationen bedrohten FAB-Sympathisierende NS-Anhänger. Dabei wurden drei Nationalsozialisten in direkten Konfrontationen erschossen. In 16 weiteren Fällen wurden Menschen, die auf die FAB-Aufrufe reagiert hatten, von NS-Anhängern getötet. Die Gesamtzahl der Todesopfer beläuft sich damit auf 57 Menschen. In den meisten Fällen wurden die Gefangengenommenen ohne Standgerichtsverfahren vor Ort erschossen oder erhängt. Dabei lässt sich ein ähnliches Grundmuster in den Abläufen erkennen: NS-Anhänger informierten Parteidienststellen, die Volkssturm-, Wehrmachts- oder SS-Soldaten herbeiriefen, und halfen bei der Identifizierung und Verfolgung der Aufständischen.

Wie im Zentralministerium waren auch vor diesen Hinrichtungen keine Standgerichtsurteile gefällt worden. Die Exekutionen vollzogen meist Angehörige der von auswärts herbeigerufenen bewaffneten Kräfte. Nach Kriegsende rechtfertigten sie ihre Taten damit, sie hätten lediglich Befehle ausgeführt und seien bei einer Weigerung selbst mit dem Tode bedroht gewesen.

Quellen

Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München, Die Verfolgung von NS-Verbrechen durch westdeutsche Justizbehören. Datenbank aller Strafverfahren und Inventar der Verfahrensakten, bearbeitet von Andreas Eichmüller und Edith Raim, 2015.
Diem, Veronika: Die Freiheitsaktion Bayern. Ein Aufstand in der Endphase des NS-Regimes, Kallmünz 2013.
Keller, Sven: Volksgemeinschaft am Ende. Gesellschaft und Gewalt 1944/45, München 2013.

Empfohlene Zitierweise

Veronika Diem: Verbrechen der Endphase des Zweiten Weltkriegs (publiziert am 19.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=855&cHash=44aee366af6b409c58481817fbc8354c