München war kein Zentrum des Widerstands und auch nicht die „Hauptstadt der Gegenbewegung“. Die meisten Münchner*innen arrangierten sich nach 1933 mit der neuen Zeit. Sie verhielten sich unauffällig und äußerten – zumindest öffentlich – weder Kritik noch abweichende Meinungen. Andere nutzten den politischen Umbruch und stellten sich eifrig in den Dienst der neuen Machthaber. In München gab es unzählige Opportunist*innen, Aufstiegsorientierte und Karrierist*innen, die im Windschatten der NS-Herrschaft von der ‚neuen‘ Konjunktur profitierten.
Aber es gab auch Einzelne und Gruppen, die sich mutig dem Regime entgegenstellten. Getragen wurde dieser Widerstand von der humanitären, religiösen oder politischen Haltung der Beteiligten. Gegner*innen des Nationalsozialismus nahmen hohe Risiken auf sich. Oppositionelles, aber auch nur abweichendes Verhalten wurde vom NS-Regime mit brutaler Gewalt unterdrückt. Dieses Verfolgungsrisiko machte es schwer, dem Anpassungsdruck des Regimes auszuweichen oder durch aktives Gegenhandeln zu widerstehen. Und doch gab es ein ‚anderes München‘, wissen wir von Menschen, die sich dem System verweigerten und mit ganz unterschiedlichen Mitteln und Methoden und aus vielfältigen Motiven Widerstand leisteten.
Unter den Münchner Widerstandsgruppen nimmt die ‚Weiße Rose‘ auch wegen ihrer bis heute gültigen Bedeutung für das kollektive Gedächtnis und die deutsche Erinnerungskultur eine besondere Stellung ein. Mitglieder der ‚Weißen Rose‘ – der Name wurde, so Hans Scholl, willkürlich gewählt – waren Jugendliche und junge Erwachsene aus dem studentischen Milieu der Münchner Universität. Den Kern der Gruppe bildeten Alexander Schmorell und Hans Scholl; beide verfassten die ersten vier Flugblätter der Weißen Rose. Weitere Angehörige der Gruppe waren Willi Graf, Christoph Probst und Sophie Scholl, die jüngere Schwester von Hans Scholl. Später schloss sich der Hochschullehrer Kurt Huber dem engeren Kreis der Widerstandsgruppe an. Alle entstammten sie bildungsbürgerlichen Familien, die dem Nationalsozialismus fern bzw. kritisch gegenüber standen.
Dennoch war der Weg in den Widerstand nicht für alle Akteure der Weißen Rose gleichermaßen vorgezeichnet. Einige pflegten anfänglich sogar ein positives Verhältnis zum Nationalsozialismus. Für eine gewisse Zeit war Hans Scholl in der Hitlerjugend aktiv und führte auch seine Geschwister an nationalsozialistische Jugendorganisationen heran. Dagegen lehnte Willi Graf aufgrund seiner tiefen Verwurzelung im christlichen Glauben den NS-Staat von vornherein ab. Alexander Schmorell und Christoph Probst waren daran interessiert, sich der totalitären Ideologie und Bevormundung durch den Nationalsozialismus so weit wie möglich zu entziehen. Alle einte jedoch die Einsicht in das verbrecherische Handeln des Nationalsozialismus und der Wunsch, dem deutschen Eroberungskrieg und der mörderischen Gewalt gegen die Juden*Jüdinnen Widerstand entgegenzusetzen.
Im Frühsommer 1942 formulierten Hans Scholl und Alexander Schmorell ein erstes von insgesamt sechs Flugblättern. Aus dem Text spricht eine bittere Verzweiflung über die Lethargie und Passivität des deutschen Volkes angesichts der ungeheuerlichen Menschheitsverbrechen des NS-Staates: „Ist es nicht so, dass sich jeder ehrliche Deutsche heute seiner Regierung schämt, und wer von uns ahnt das Ausmaß der Schmach, die über uns und unsere Kinder kommen wird, wenn einst der Schleier von unseren Augen gefallen ist und die grauenvollsten und jegliches Mass unendlich überschreitenden Verbrechen ans Tageslicht treten?“ (Stiefken, S. 22). Beeinflusst von akademischen Lehrern wie etwa Kurt Huber und katholischen Intellektuellen wie Carl Muth und Theodor Haecker entwickelte die Weiße Rose ein eigenständiges geistig-politisches Profil, das in den folgenden Flugblättern immer klarer zum Ausdruck kam: Freiheit des Denkens und hohe moralische Ansprüche galten viel im Wertekanon der jungen Leute um Hans Scholl und Alexander Schmorell. Maßgebliche Impulse erhielt der Widerstand der Weißen Rosen durch den Krieg und die persönliche Erfahrung von Willi Graf, Alexander Schmorell und Hans Scholl. Während einer Feldfamulatur an der Ostfront lernten die Medizinstudenten im Sommer 1942 die Schrecken der von Deutschland entfesselten militärischen Aggression unmittelbar kennen.
Fehlende Vorsicht beim Verteilen von Flugblättern im Hauptgebäude der Universität führte im Februar 1943 zur Verhaftung der Geschwister Hans und Sophie Scholl und zur Zerschlagung der Widerstandsgruppe. Das sechste Flugblatt der Weißen Rose war von Sophie und Hans Scholl am 18.2.1943 in der Münchener Universität ausgelegt und in den Lichthof geworfen worden. Bei dieser Aktion wurden beide entdeckt und von Mitarbeitern der Universitätsverwaltung der Gestapo übergeben. Auf Initiative des Münchner Gauleiters Paul Giesler wurde innerhalb kürzester Zeit ein Schauprozeß gegen die ‚Weiße Rose‘ inszeniert. Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst wurden vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland Freisler im Münchner Justizpalast zum Tode verurteilt und noch am selben Tag im Strafgefängnis Stadelheim hingerichtet. Alexander Schmorell war nach der Festnahme der Geschwister Scholl untergetaucht. Er wurde jedoch schon am 24.2.1943 festgenommen und am 19.4.1943 gemeinsam mit Willi Graf und Kurt Huber vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Am 13.7.1943 wurden Huber und Schmorell, am 12.10.1943 auch Willi Graf im Strafgefängnis München-Stadelheim hingerichtet.
Gedanken und Anspruch der ‚Weißen Rose‘ vermochte der NS-Staat jedoch nicht zu zerstören. Die Erinnerung an die mutigen Student*innen lebte fort, die Flugblätter wurden weiter verbreitet. Noch kurz vor Kriegsende, am 29.1.1945, wurde der Münchner Chemiestudent Hans Leipelt hingerichtet. Er hatte mit Unterstützung seiner Freundin Marie-Luise Jahn das sechste Flugblatt verteilt und für die mittellose Witwe von Karl Huber Geld gesammelt. Auch im Ausland wusste man vom Widerstand der Geschwister Scholl und ihrer Freunde und ihrem tragischen Ende. Der wohl prominenteste deutsche Emigrant, der aus München vertriebene Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, hatte bereits im Juni 1943 Kenntnis von der ‚Weißen Rose‘ und der mörderischen Reaktion des NS-Regimes. In seiner BBC-Sendung an die „Deutschen Hörer“ vom 27.6.1943 sprach Mann von „ihrem Märtyrertod unterm Beil“. Und er erwähnte die “Flugschrift, die sie verteilt hatten, und worin Worte stehen, die vieles gut machen, was in gewissen unseligen Jahren an deutschen Universitäten gegen den Geist deutscher Freiheit gesündigt worden ist. […] Brave, herrliche junge Leute! Ihr sollt nicht umsonst gestorben, sollt nicht vergessen sein“ (Mann, S. 186).