Heinrich Wicker (30.6.1921 Gausbach bei Gernsbach – wahrscheinlich 29./30.4.1945 Dachau)

Biographies
Verfasst von Andreas Eichmüller

SS-Führer, letzter Kommandant des KZ Dachau

Der Sohn eines Vertreters besuchte in Karlsruhe die Volks- und anschließend zwei Jahre die Handelsschule. 1933 trat er im Alter von zwölf Jahren in die Hitlerjugend ein; 1936 war er Fähnleinführer des Jungvolks, Anfang 1937 Jungenschaftsführer. Im Juni desselben Jahres wurde Wicker Mitglied der SS. Er kam zur 1. SS-Totenkopf-Standarte nach Dachau, die auch zur Bewachung des Konzentrationslagers eingesetzt war. Dort erhielt er eine militärische Ausbildung.

Mit Kriegsbeginn 1939 nahm er als Angehöriger der SS-Totenkopf-Verbände am Angriff auf Polen teil, dann an der Invasion Frankreichs und dem Überfall auf die Sowjetunion. Dort wurde er Anfang 1942 bei der Kesselschlacht von Demjansk schwer verwundet. Genesen, aber nicht mehr für fronttauglich eingestuft, kam er Anfang 1943 zu SS-Ausbildungs-Einheiten für Freiwillige der besetzten Länder nach Graz. Von August bis November 1943 besuchte er die SS-Junkerschule in Bad Tölz. Anschließend wurde er in die Amtsgruppe D „Konzentrationslagerwesen“ des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts versetzt.

Als Angehöriger des Stabes von Amtsgruppenchef Richard Glücks erhielt er im Januar 1944 den Rang eines Untersturmführers. Ab Juli 1944 war Wicker in mehreren Außenlagern des KZ Natzweiler aktiv im nationalsozialistischen KZ-System tätig, zunächst als Führer der Wachkompanie im Außenkommando Cochem, anschließend ab September 1944 als Wachkompanie- und Lager-Führer im Außenlager Mannheim-Sandhofen. Sowohl bei den Häftlingen als auch bei seinen Untergebenen galt Wicker als überkorrekt und besonders streng. Bis zuletzt hielt er an seinen nationalsozialistischen Überzeugungen fest.

Als die alliierten Truppen näher rückten, organisierte Wicker seit März 1945 nacheinander die „Evakuierung“ der Häftlinge der Außenlager Mannheim-Sandhofen, Heppenheim, Neckarelz und Hessental bei Schwäbisch Hall in das KZ Dachau. Da zu wenige Züge zur Verfügung standen und das Schienennetz mitunter unterbrochen war, zwang man die meist ohnehin stark geschwächten Häftlinge, weite Strecken zu Fuß zu gehen. Zahlreiche Teilnehmer dieser Todesmärsche starben unterwegs aufgrund körperlicher Entkräftung oder wurden, wenn sie zu schwach zum Weitergehen waren, von den SS-Wachen oder deren Helfern ermordet. Insbesondere galt dies für den von Wicker verantworteten Todesmarsch von Hessental ins bayerische Nördlingen zwischen 4. und 15.4.1945, der 150 bis 200 der rund 700 auf den Weg gebrachten Häftlinge das Leben kostete. Mitte April 1945 kamen die überlebenden Häftlinge in Dachau oder im Außenlager Allach an.

Wicker bekam den Auftrag, aus den ehemaligen Wachmännern der württembergischen Außenlager in Dachau eine militärische Kampfgruppe für den „Endkampf“ zu bilden. Als die US-Truppen sich Ende April Dachau näherten, wurde ein großer Teil der dortigen Häftlinge auf Todesmärsche Richtung Süden geschickt. Mit ihnen verließ bis 27. April auch das Gros der SS-Wachmannschaft das KZ. Das Kommando über die zurückbleibenden Häftlinge bekam Wicker übertragen. Am 29. April nahmen US-Truppen das Lager ein. Wicker hatte es den US-Soldaten angesichts der Aussichtslosigkeit der Lage kampflos übergeben und war festgenommen worden. Wenig später wurde er aller Wahrscheinlichkeit nach von Häftlingen oder US-Soldaten getötet. Da seine Leiche nicht aufgefunden werden konnte, bleibt bezüglich seines Todes aber eine gewisse Unsicherheit.

Quellen

Koppenhöfer, Peter: Heinrich Wicker – von der Hitlerjugend zum Führer eines Todesmarsches, Schwäbisch Hall 2011. 

Empfohlene Zitierweise

Andreas Eichmüller: Wicker, Heinrich (publiziert am 02.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=884&cHash=d88b1fc2ed061ac929391f833d972da3