Die ‚Zigeunerpolizeistelle‘ beim Polizeipräsidium München

Organizations
Verfasst von Andreas Eichmüller

Abteilung der Münchner Polizei, zuständig für die Überwachung von Sinti*zze und Rom*nja sowie die lokale Umsetzung der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen

Das Münchner Polizeipräsidium in der Ettstraße – Sitz der Münchner Kriminalpolizei und ihrer „Zigeunerpolizeistelle“, um 1935 | Stadtarchiv München, Stb-Verwaltung-001

Bayern war seit Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland führend in der Überwachung von ‚fahrendem Volk‘, worunter vor allem Sinti*zze und Rom*nja verstanden wurden. 1899 wurde bei der Polizeidirektion München ein „Nachrichtendienst für die Sicherheitspolizei in Bezug auf die Zigeuner“ für ganz Bayern eingerichtet mit dem Ziel der Erfassung und Kontrolle aller in Frage kommenden Personen. Schon bald entstanden Pläne und Initiativen derartige Maßnahmen länderübergreifenden zu koordinieren. Sie wurden vom Ersten Weltkrieg unterbrochen. 1926 lag dann zwar ein Entwurf zur Schaffung einer Länderzentrale vor, jedoch konnten sich die Länder in der Folge nicht über die konkrete Ausgestaltung verständigen. Da jedoch die meisten Beteiligten bezüglich der grundsätzlichen Notwendigkeit einer solchen Institution übereinstimmten, übernahm die Münchner ‚Zigeunerpolizeistelle‘ ab 1927 bis auf weiteres die Aufgabe einer Nachrichtensammel- und -austauschstelle für das gesamte Deutschland. 1931 beschäftigte die Dienststelle fünf Beamte und eine Aushilfskraft, 60 % der von ihr in diesem Jahr bearbeiteten Sachvorgänge kamen von außerhalb Bayerns.

An dieser Aufgaben- und Organisationsstruktur änderte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zunächst nichts. Allerdings wurde nun die Verreichlichung der Polizei vorangetrieben, insbesondere seit Heinrich Himmler im Juni 1936 zum Chef der Deutschen Polizei ernannt worden war. Das Preußische Landeskriminalpolizeiamt (ab 1937 Reichskriminalpolizeiamt) bekam die Oberaufsicht über die Kriminalpolizeien der Länder. Die Münchner ‚Zigeunerpolizeistelle‘ erhielt die Funktion einer Reichszentrale; ihre Finanzierung wurde vom Reich übernommen. Auch der Schriftverkehr mit der ‚Internationalen Zentralstelle zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens‘ in Wien sollte nun ausschließlich über München abgewickelt werden. Im Oktober 1938 wurden alle zentralen Aufgaben in die beim Reichskriminalpolizeiamt in Berlin geschaffene ‚Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens‘ überführt. Der weitaus größte Teil der umfangreichen Münchner Personenakten zu Sinti*zze und Rom*nja wurden nach Berlin gebracht und Josef Schegg, der damalige Leiter der ‚Zigeunerpolizeistelle‘, sowie sein Mitarbeiter Josef Eichberger dorthin abgeordnet.

Die
nationalsozialistische ‚Zigeunerpolitik‘ wurde nun zentral von Berlin aus gelenkt. Der ‚Zigeunerpolizeistelle‘ München, ab 1939 ‚Dienstelle für Zigeunerfragen‘ der Kriminalpolizeileitstelle München, verblieb die lokale Umsetzung in ihrem Dienstbezirk, der Oberbayern und Schwaben sowie die südlich der Donau gelegenen Teile Niederbayerns umfasste. Sie verfügte dabei aber über nicht unerhebliche Ermessensspielräume. Mit den ab Ende 1938 unter rassenideologischen Prämissen sich immer mehr verschärfenden Verfolgungsmaßnahmen gegen Sinti*zze und Rom*nja nahmen die Aufgaben der Münchner ‚Zigeunerpolizei‘ wieder zu. Nach dem ‚Festsetzungserlass‘ des Reichskriminalpolizeiamts hatte sie ab Oktober 1939 alle Sinti*zze und Rom*nja ihres Dienstbezirks lückenlos zu erfassen, erkennungsdienstlich zu behandeln, darüber zu informieren, dass sie den ihnen zugewiesen Wohnort nicht mehr verlassen durften und die Einhaltung dieser Bestimmung zu überwachen. Bei kleinsten Verstößen konnten die Polizeibeamten Vorbeugehaft oder KZ-Haft verhängen. Sie organisierten ‚rassenbiologische Begutachtungen‘ und Zwangssterilisierungen. Als Ende 1942 in Berlin die Deportation der Sinti*zze und Rom*nja in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau beschlossen wurde, wählten sie die zu deportierenden Personen aus, ließen sie Anfang März 1943 verhaften, sorgten für ihre vorübergehende Inhaftierung im Gefängnis des Polizeipräsidiums und ihren Transport nach Auschwitz. August Wutz und Josef Zeiser, die ausführenden Beamten, begleiteten den Transport bis zur Übergabe der Häftlinge an die SS-Wachmannschaft des Lagers.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestand die ‚Zigeunerpolizeistelle‘ mit einer kurzen Unterbrechung fort und wurde dann in die ‚Landfahrerzentrale‘ beim Bayerischen Landeskriminalamt überführt.

Beschreibung der Aufgaben der „Dienststelle für Zigeunerfragen“ der Münchner Kriminalpolizei, 18. 11. 1940 | Staatsarchiv München, Pol. Dir. 7033

Quellen

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, MInn 72575-72579.
Staatsarchiv München, Pol.Dir. 7033.
Diener, Eveline : Das Bayerische Landeskriminalamt und seine „Zigeunerpolizei“. Kontinuitäten und Diskontinuitäten der bayerischen „Zigeunerermittlung“ im 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2021.
Luchterhandt, Martin: Der Weg nach Birkenau. Entstehung und Verlauf der nationalsozialistischen Verfolgung der „Zigeuner“, Lübeck 2000.
Schröder, Joachim: Die „Dienststelle für Zigeunerfragen“ der Münchner Kriminalpolizei und die Verfolgung der Sinti und Roma, in: Bahr, Matthias/ Poth, Peter (Hg.): Hugo Höllenreiner – ein Leben. Das Zeugnis eines überlebenden Sinto und seine Perspektiven für eine bildungssensible Erinnerungskultur, Stuttgart 2014, S. 141–152.

Empfohlene Zitierweise

Andreas Eichmüller: Zigeunerpolizeistelle München (publiziert am 09.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=913&cHash=187950441105e7e689806c331e411f95