Diskriminierung im Kriegsalltag

Thema
Verfasst von Andreas Heusler

Im Krieg verschärfte das NS-Regime die Trennung gesellschaftlicher Gruppen und die Verfolgung unerwünschter Personenkreise.

Der während der NS-Zeit stereotyp verwendete Begriff der ‚Volksgemeinschaft‘ sorgte zu keinem Zeitpunkt für eine tragfähige soziale Statik. Die deutsche Gesellschaft war von Druck und Drohung, von Angst und Misstrauen geprägt, das NS-System zutiefst korrupt – versprach es doch allen, die bedingungslos loyal waren, materielle Privilegien, soziales Prestige und Aufstiegschancen. Durch die Erfahrungen und Verwerfungen des Krieges verschoben sich gesellschaftliche Wertmaßstäbe und soziale Bezugssysteme. Der Begriff der „inneren Front“ steht als Synonym für den Verteilungskampf um die immer knapper werdenden Ressourcen, die der Zivilbevölkerung zur Verfügung standen. Zwangswirtschaft und Markensystem, Versorgungsnöte und Lebensmittelknappheit, Wohnraummangel und Infrastrukturprobleme waren seit 1939 Teil des Kriegsalltags.

Das Fehlen von Gütern des täglichen Bedarfs und die dadurch erforderliche Mangelverwaltung vergrößerten die Kluft zwischen Privilegierten und Ausgegrenzten. Die Zuteilungen folgten einem System aus Privilegierungen und Diskriminierungen. ‚Gemeinschaftsfremde‘ wie Juden*Jüdinnen oder Zwangsarbeiter*innen erhielten deutlich weniger als diejenigen, die der ‚Volksgemeinschaft‘ zugerechnet wurden. Der Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wurde gesteuert und erfolgte auf Kosten und zu Lasten der diskreditierten Gruppen.

Von der ‚Entmietung‘ jüdischer Haus- und Wohnungsbesitzer und deren Ghettoisierung profitierten ‚arische Volksgenossen‘. Die ‚Arisierung‘ des Vermögens und des Privateigentums der deportierten Juden*Jüdinnen diente auch dem Vorteil ‚deutscher Volksgenossen‘, darunter zahllosen Fliegergeschädigten, die Wohnung und Hausrat verloren hatten. Die Hungerrationen für die zahllosen ausländischen Zwangsarbeiter*innen und die unzureichende Versorgung der außerhalb der ‚Volksgemeinschaft‘ Stehenden sicherten letztendlich jene Kontingente, die an die privilegierte deutsche Bevölkerung verteilt werden konnten. So sorgten die beraubten Juden*Jüdinnen, die zum Teil versklavten Zwangsarbeiter*innen und schließlich auch die von der Wehrmacht besetzten und von deutschen Dienststellen ausgebeuteten Länder Europas für die Wahrung des Lebensstandards der deutschen Zivilbevölkerung während der Kriegsjahre.
Auch die Münchner Gesellschaft der Kriegsjahre war tief und mehrfach gespalten. Die weit überwiegende Mehrheit der Münchner*innen galt als Teil der ideologisch konstruierten ‚Volksgemeinschaft‘. Diese Männer, Frauen und Kinder erfüllten im weitesten Sinne die irrationalen rassistischen Anforderungen sowie die politischen und sozialen Erwartungen des Regimes. Sie verhielten sich angepasst, unauffällig und loyal und konnten im Gegenzug mit den fragwürdigen Segnungen des NS-Staates, etwa sozialen Gefälligkeiten und beruflichem Aufstieg, rechnen.

Anders war dagegen die Lebensrealität jener Menschen, die als ‚Gemeinschaftsfremde‘ diffamiert wurden, denen nicht nur elementare Menschenrechte, sondern auch Rechtssicherheit und ausreichende Grundversorgung verweigert und deren Existenz nur vorübergehend, gewissermaßen auf Widerruf, geduldet wurde. Sie mussten jederzeit mit dem Schlimmsten rechnen; ihnen wurde lediglich ein provisorisches Dasein auf Abruf zugestanden. Hierzu gehörten Münchner Juden*Jüdinnen, die aufgrund ihrer familiären Situation – etwa weil sie mit ‚Nichtjuden‘ verheiratet waren – nicht deportiert worden waren. Jüdische Kinder, darunter auch sogenannte ‚Mischlinge I. Grades‘, wurden vom regulären Schulbesuch ausgeschlossen, ihre Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Die Gesundheitsversorgung und medizinische Betreuung der Münchner Juden*Jüdinnen wurde ebenfalls drastisch reduziert. Krankenhausbehandlungen waren nur in eigens dafür vorgesehenen Einrichtungen möglich.

Auch für Behinderte, Leistungsschwache, sozial Unangepasste sowie für die rassistisch diskriminierten Sinti*zze und Rom*nja war in der deutschen ‚Volksgemeinschaft‘ kein Platz. Sie hatten unter mannigfaltigen Schikanen zu leiden, mussten Benachteiligungen und Demütigungen in Kauf nehmen und hatten stets mit der mörderischen Willkür des unberechenbaren NS-Regimes zu rechnen. 1943 wurden auch die als ‚Zigeuner‘ bezeichneten Münchner*innen in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert.

Quellen

Eiber, Ludwig: „Ich wußte, es wird schlimm“. Die Verfolgung der Sinti und Roma in München 1933-1945, München 1993.
Behrend-Rosenfeld, Else/Rosenfeld, Siegfried: Leben in zwei Welten. Tagebücher eines jüdischen Paares in Deutschland und im Exil. Herausgegeben und kommentiert von Erich Kasberger und Marita Krauss, München 2011.
Heusler, Andreas: Ausländereinsatz. Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939-1945, München 1996.
Selig, Wolfram: Richard Seligmann – Ein jüdisches Schicksal, München 1983.

Empfohlene Zitierweise

Andreas Heusler: Diskriminierung im Kriegsalltag (publiziert am 09.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/diskriminierung-im-kriegsalltag-159