Gustav Stresemann (10.5.1878 Berlin – 3.10.1929 Berlin)

Biografien
Verfasst von Edith Raim

Reichskanzler 1923, Reichsaußenminister, DVP-Vorsitzender

Gustav Stresemann, 1928 | SZ Photo, 00014226

Stresemann absolvierte als einziges von acht Kindern eines Berliner Gastwirts und Bierhändlers das Gymnasium. Noch in der Schule begann er, in der Dresdner Volkszeitung Artikel zu veröffentlichen. Seine schwache Konstitution – zeitlebens litt er an Herzproblemen und einer Stoffwechselkrankheit - verhinderte den Wehrdienst. Ab 1897 studierte Stresemann in Berlin und Leipzig Literatur, Geschichte und Volkswirtschaft. Während seiner Studienzeit war er aktiver Burschenschaftler einer schlagenden Verbindung, sein Gesicht war durch Verletzungen aus Fechtkämpfen mit anderen Studentenverbindungen gezeichnet.

1901 wurde er in Volkswirtschaft über die Entwicklung der Berliner Bierverleger promoviert, um anschließend als Assistent bzw. Geschäftsführer beim Verband deutscher Schokoladenfabrikanten in Dresden zu arbeiten. 1903 heiratete Stresemann in Berlin Käte Kleefeld, 1904 kam Sohn Wolfgang, 1908 Sohn Joachim zur Welt. Die jüdische Abstammung seiner Frau, die zum Protestantismus konvertiert war, wurde in politischen Anfeindungen gegen Stresemann immer wieder thematisiert und von Antisemiten instrumentalisiert.

Stresemann war beruflich zunächst für die Vertretung industrieller Interessen tätig, ehe er 1903 zur Nationalliberalen Partei stieß und 1906 in Dresden zum Stadtrat gewählt wurde. 1907 wurde er im Wahlkreis Annaberg als jüngster Abgeordneter in den Reichstag gewählt. Er setzte sich besonders für die kaiserliche Flotten- und Kolonialpolitik ein. Nach dem Verlust seines Reichstagsmandats 1912 wurde er Mitglied im Präsidium des Bundes der Industrie. 1914 wurde er wieder in den Reichstag gewählt.

Während des Ersten Weltkriegs trat er für die Annexion von Gebieten für das Deutsche Reich, ebenso für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg ein, was ihm in der Weimarer Republik vom linken Parteienspektrum zum Vorwurf gemacht wurde. In der Innenpolitik drang er aber auf Reformen wie ein gerechteres Wahlrecht. Nach dem Ersten Weltkrieg spaltete sich die liberale Bewegung in zwei Parteien: die eher fortschrittliche Deutsche Demokratische Partei (DDP) und die nationalliberale Deutsche Volkspartei (DVP), deren Vorsitzender Stresemann wurde.

Den Vertrag von Versailles lehnte Stresemann zwar ab, wollte aber Revisionen nur auf friedlichem Wege erreichen. Er zählte zu den sogenannten ‚Vernunftrepublikanern‘, die im Kaiserreich geprägt worden waren und der Republik zunächst ablehnend gegenüberstanden, aber die Potenziale der Demokratie anerkannten und zur Mitarbeit im Rahmen der Verfassung bereit waren. Als einziger verbliebener Handlungsspielraum des besiegten Deutschen Reiches erschien Stresemann der Ausbau der Wirtschaftskraft, die er konsequent zu fördern suchte. Bei der Reichstagswahl 1920 errang die DVP 65 Sitze und wurde an der Regierung beteiligt, schied aber im April 1921 wegen des Streits über die Reparationen aus.

Im August 1923 wurde Stresemann Reichskanzler und Außenminister. In seiner kurzen Kanzlerschaft beendete er den passiven Widerstand gegen die Ruhrbesetzung, führte die Rentenmark ein, die die Hyperinflation stoppte und hielt den Herausforderungen radikaler politischer Kräfte stand, die die Republik bedrohten: die separatistische Bewegung im Rheinland, kommunistische Regierungsbeteiligungen in Sachsen und Thüringen und der Putsch Hitlers am 9.11.1923 in München.

Späteren Regierungen gehörte Stresemann als Außenminister an. Er vertrat eine Politik der konsequenten Erfüllung der Bedingungen des Versailler Vertrages, was die Siegermächte ihrerseits zu Zugeständnissen bewegte. So erreichte er im Dawes-Plan von 1924 eine Neuregelung der Reparationszahlungen. Zwar blieben Reichsbank und Reichsbahn unter internationaler Kontrolle, aber Frankreich garantierte den Abzug seiner Truppen aus dem Rheinland innerhalb eines Jahres. Mit dem Vertrag von Locarno sicherten sich Frankreich und Deutschland 1925 zu, die Unversehrtheit der deutschen, französischen und belgischen Grenzen zu achten; Großbritannien und Italien sowie die USA dienten als Garantiemächte. Deutschlands Beitritt zum Völkerbund 1926 wurde so vorbereitet. Im selben Jahr wurde ein Freundschaftsvertrag mit Russland beschlossen, der das Abkommen von Rapallo erweiterte.

Zu Stresemanns bleibenden diplomatischen Leistungen gehört die Annäherung an Frankreich. Er erhielt zusammen mit dem französischen Außenminister Aristide Briand 1926 den Friedensnobelpreis zuerkannt. 1928 wirkte er noch am Briand-Kellogg-Pakt mit. Stresemann, der während seiner Amtszeit als Außenminister durchgehend seit 1923 der bekannteste und am meisten respektierte deutsche Politiker der Weimarer Republik war, starb 1929 nach einem Schlaganfall.

Quellen

Kolb, Eberhard: Gustav Stresemann, München 2003.
Pohl, Karl Heinrich (Hg.): Politiker und Bürger. Gustav Stresemann und seine Zeit, Göttingen 2002.
Pohl, Karl Heinrich: Gustav Stresemann. Biografie eines Grenzgängers, Göttingen 2015.
Wright, Jonathan: Gustav Stresemann 1878–1929. Weimars größter Staatsmann, München 2006.

Empfohlene Zitierweise

Edith Raim: Stresemann, Gustav (publiziert am 17.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/stresemann-gustav-814