Die Weimarer Verfassung/Weimarer Reichsverfassung (WRV)

Thema
Verfasst von Elisabeth Kraus

Erste demokratische Verfassung Deutschlands, benannt nach dem Tagungsort der verfassunggebenden Nationalversammlung

Nach der sog. Paulskirchenverfassung, die von der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung nach der Revolution von 1848/49 im März 1849 in der Paulskirche in Frankfurt am Main beschlossen worden war, und der Verfassung des Bismarck-Reichs von 1871 war die Weimarer Reichsverfassung (WRV) die dritte Verfassung des Deutschen Reichs. Sie gestaltete die erste deutsche Republik als föderativen Bundesstaat mit einem teils präsidialen, teils parlamentarischen Regierungssystem.

Am 19.1.1919 fanden die Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung statt. Aus ihr war die SPD als stärkste Fraktion hervorgegangen, die mit dem Zentrum und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) die sog. Weimarer Koalition bildete. Am 6.2.1919 trat die Nationalversammlung das erste Mal im Deutschen Nationaltheater in Weimar zusammen, da in der Hauptstadt Berlin aufgrund von Unruhen die Sicherheit der Abgeordneten zu diesem Zeitpunkt nicht gewährleistet war.

An der Schlussabstimmung über den von der Regierung eingebrachten Verfassungsentwurf am 31.7.1919 nahmen 338 von 420 Abgeordneten teil. 262 Abgeordnete (von SPD, Zentrum und DDP) stimmten für die Annahme, 75 Abgeordnete (von DNVP, DVP, Bayerischem Bauernbund und USPD) dagegen. 82 Abgeordnete waren der Abstimmung ferngeblieben, die allermeisten davon aus der Regierungskoalition. Am 11.8.1919, dem später so bezeichneten ‚Verfassungstag‘, unterzeichnete Reichspräsident Friedrich Ebert die Weimarer Verfassung. Sie trat mit ihrer Verkündung am 14.8.1919 in Kraft.

Die Weimarer Verfassung galt formell über den Beginn der NS-Herrschaft am 30.1.1933 hinaus. Sie wurde jedoch durch die ‚Reichstagsbrandverordnung‘ vom 28.2.1933, die alle Mandate der KPD annullierte und durch das ‚Ermächtigungsgesetz‘ vom 23.3.1933, womit die Hitler-Regierung ohne Zustimmung von Reichstag und Reichsrat sowie ohne Gegenzeichnung des Reichspräsidenten Gesetze erlassen konnte, ausgehöhlt und außer Kraft gesetzt. Mit der Übernahme der Regierungsgewalt durch die vier Alliierten am 5.6.1945 in Berlin blieb die Weimarer Verfassung weiterhin außer Funktion. Auch wenn sie nicht explizit aufgelöst wurde, gilt sie doch mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23.5.1949 de facto als aufgehoben.

Die WRV beruhte weitgehend auf dem Entwurf des Berliner Staatsrechtlers und DDP-Politikers Hugo Preuß. Zentrale Verfassungsprinzipien waren die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung und die Grundrechte, darunter erstmals die staatsbürgerliche Gleichstellung der Frauen. Die WRV enthielt Elemente einer repräsentativen Demokratie mit einer dem Parlament verantwortlichen Regierung, einer plebiszitären Demokratie mit Volksabstimmungen und Volksentscheiden sowie einer Präsidialdemokratie mit einem starken, direkt gewählten Präsidenten. Der föderalistische Staatsaufbau blieb grundsätzlich erhalten, allerdings wurden die Kompetenzen des Reichs zu Lasten der Bundesländer erweitert.

Das wichtigste Staatsorgan war der Reichstag. Er wurde alle vier Jahre vom Volk in allgemeiner, gleicher und geheimer Verhältniswahl gewählt. Er übte die Gesetzgebung aus und kontrollierte die Reichsregierung. Diese bestand aus dem Reichskanzler und den von ihm vorgeschlagenen Reichsministern. Sie und der Kanzler wurden hingegen nicht vom Reichstag gewählt, sondern vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.

Der vom Volk auf sieben Jahre direkt gewählte Reichspräsident war auf Betreiben der bürgerlichen Parteien mit einer solchen Machtfülle ausgestattet worden, dass man ihn auch als ‚Ersatzkaiser‘ bezeichnet hat. Er konnte den Reichstag (nach Artikel 25) auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlass. Er vertrat das Reich völkerrechtlich und war Oberbefehlshaber der Reichswehr. Nach Artikel 48 Abs. 1 konnte er – notfalls auch militärisch – gegen ein Bundesland, das die Verfassung oder Reichsgesetze verletzte, vorgehen. Zudem gab ihm Artikel 48 Abs. 2 die Befugnis, „die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen“ zu treffen, dazu „erforderlichenfalls mithilfe der bewaffneten Macht“ einzuschreiten sowie die wichtigsten Grundrechte vorübergehend ganz oder teilweise außer Kraft zu setzen. Allerdings konnte der Reichstag die Aufhebung dieser Maßnahmen nach Artikel 48 Abs. 3 – mit einfacher Mehrheit – verlangen.

Ein Staatsgerichtshof wurde nach Art. 108 beim Reichsgericht in Leipzig errichtet. Er fungierte allerdings nicht als ständiges Gericht, sondern wurde nach Bedarf einberufen. Seine Kompetenzen waren stark zersplittert und eingeschränkt. So war er etwa nicht zuständig für die Klärung von Verfassungsstreitigkeiten auf Reichsebene.

Der zweite Hauptteil der WRV definierte und garantierte die Grundrechte der Deutschen, darunter die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Brief- und Postgeheimnis, Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit. Im Abschnitt über das Wirtschaftsleben wurde die Koalitionsfreiheit und damit das Betätigungsrecht für Gewerkschaften und Unternehmerverbände gewährleistet sowie dem Reich der Auftrag erteilt, „ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender Mitwirkung der Versicherten“ zu schaffen.

Jahrzehntelang wurde in Politik-, Rechts- und Geschichtswissenschaft diskutiert, ob die WRV trotz so mancher struktureller Mängel ein tragfähiges Fundament für einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat hätte bilden können oder ob sie bzw. inwieweit sie aufgrund besagter Mängel zum Untergang der Weimarer Republik und damit der ersten deutschen Demokratie beigetragen hat. An Strukturschwächen wurden neben zu vielen plebiszitären Elementen das Fehlen einer Sperrklausel sowie eines Verbots für verfassungswidrige Parteien genannt. Diese Defizite hätten es ermöglicht, dass zu viele (Splitter-)Parteien in das Parlament gelangten, dieses generell abgelehnt oder handlungsunfähig gemacht hätten. Darüber hinaus wurde die Stellung des Reichspräsidenten als vielleicht entscheidender Strukturmangel charakterisiert. Der Reichspräsident sei mit derart umfassenden Befugnissen, wie Berufung und Entlassung des Kanzlers, Recht zur Reichsexekution und zum Erlass von Notverordnungen, ausgestattet worden, dass er damit die Republik in eine Art Präsidialdiktatur mit sich selbst an der Spitze habe umwandeln können.

In der neueren verfassungshistorischen Diskussion werden allerdings anderen Entwicklungen und Verformungen mehr Beachtung geschenkt und Verantwortung dafür zugesprochen, dass die genannten Konstruktionsfehler der WRV überhaupt erst so zerstörerisch wirken konnten. Hier werden in erster Linie die Uneinigkeit und das abwartende und zu zurückhaltende Auftreten der Demokraten genannt. Damit habe sich die Demokratie gegenüber den erstarkenden politischen Extremen als zu wenig wehrhaft erwiesen. Hinzugekommen sei eine Fülle von in kurzen Abständen ausbrechenden – wirtschaftlichen – Krisen von erheblicher Wucht. Im Endeffekt sei es wohl das „komplexe Beziehungsgeflecht von Institutionen und Personen, (…) von Zwängen und Zufällen, von nationalkulturellen Tiefenströmungen und Themen des Augenblicks“ (Di Fabio, S. 7) gewesen, die zum Untergang der ersten deutschen „Weimarer Republik“ beigetragen habe.

Quellen

Dreier, Horst/ Waldhoff, Christian (Hgg.): Das Wagnis der Demokratie. Eine Anatomie der Weimarer Reichsverfassung, München 2018.
Di Fabio, Udo: Die Weimarer Verfassung. Aufbruch und Scheitern. Eine verfassungshistorische Analyse, München 2018.
Gusy, Christoph: 100 Jahre Weimarer Verfassung, Tübingen 2018.
Kühne, Jörg-Detlev: Die Entstehung der Weimarer Reichsverfassung. Grundlagen und anfängliche Geltung, Düsseldorf 2018.

Empfohlene Zitierweise

Elisabeth Kraus: Weimarer Reichsverfassung (publiziert am 13.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/lexikon/artikel/weimarer-reichsverfassung-879