Ärzteschaft der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar

Biographies
Verfasst von Sibylle von Tiedemann

Täter und Gegner der NS-Euthanasie

Die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar leitete ein ärztlicher Direktor und sein Stellvertreter. In der Zeit des Nationalsozialismus waren Fritz Ast (1928–1938) und Hermann Pfannmüller (1938–1945) die Direktoren. Stellvertreter waren Pius Papst und Moritz Schnidtmann. Zu Beginn der 1930er-Jahre arbeiteten zwölf Abteilungsärzte, ein Fürsorgearzt und vier Medizinalpraktikanten in der Anstalt. Die Ärztekonferenz tagte drei Mal wöchentlich; außerdem gab es zusätzliche Demonstrationsabende, wo Fallgeschichten besprochen wurden, die von allgemeinem Interesse waren. Die Ärzte waren für die klinische Erfassung der einzelnen Patient*innen, für die individuelle Behandlung wie auch für die allgemeine Beschäftigungstherapie verantwortlich. Ziel war eine Besserung des Zustands der Patient*innen, so dass diese bald entlassen werden und Kosten gespart werden konnten. Ein Arzt war meist für mehrere Stationen zuständig und hatte bis zu 200 Patient*innen zu betreuen. Den täglichen Umgang mit diesen übernahm das Pflegepersonal.

An den nationalsozialistischen „Euthanasie“-Maßnahmen waren alle genannten Ärzte in unterschiedlicher Form und verschiedenem Ausmaß beteiligt. Nur einer widersetzte sich, wenn auch nicht konsequent: Friedrich Hölzel weigerte sich, die Leitung der „Kinderfachabteilung“ zu übernehmen. Sein Nachfolger wurde Gustav Eidam, der sich 1945 in amerikanischer Untersuchungshaft erhängte. Der „Erbarzt“ Hermann Nadler erfasste die Patient*innen und ihre Angehörigen in „Sippentafeln“ und überwachte diese „erbbiologische Bestandaufnahme“ aller bayerischer Anstalten. Im Januar 1943 wurden zwei „Hungerhäuser“ für die dezentrale „Euthanasie“ eingerichtet, die von Franz Sendtner und Karl Steichele geleitet wurden. Ersatzweise fungierte auch die Station für die an Tuberkulose erkrankten Patient*innen als Hungerhaus; sie wurde von Hans Gutenäcker geleitetet; er beging im Herbst 1944 aus unbekannten Gründen Suizid. Das therapeutische „Aushängeschild“ der Anstalt, die Insulinstation, wurde von Anton von Braunmühl geführt.

Die Beteiligung an Maßnahmen der NS-“Euthanasie“ bedeutete nach 1945 keinen Karrierebruch. Anton von Braunmühl wurde 1946 Direktor des Nervenkrankenhauses (Eglfing-)Haar, seine Nachfolge übernahm 1956 der ehemalige „Erbarzt“ Hermann Nadler. Friedrich Hölzel erhielt die Leitung des Nervenkrankenhauses Gabersee, und Pius Papst wurde Leiter des Nervenkrankenhauses Lohr am Main.

Quellen

Richarz, Bernhard: Heilen, Pflegen, Töten. Zur Alltagsgeschichte einer Heil- und Pflegeanstalt bis zum Ende des Nationalsozialismus, Göttingen 1987.
 


Empfohlene Zitierweise

Sibylle von Tiedemann: Ärzteschaft der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar (publiziert am 18.12.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/aerzteschaft-der-heil-und-pflegeanstalt-eglfing-haar-38