Barackenlager des Reichsbahnausbesserungswerks Neuaubing (Ehrenbürgstraße)

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Verfasst von Paul-Moritz Rabe

Unterkunftslager für Zwangsarbeiter*innen der Reichsbahn

Planskizze des Reichsbahnlagers Neuaubing, November 1942 | Lokalbaukommission München

In München gab es während des Zweiten Weltkriegs zwischen 400 und 500 Sammelunterkünfte für die schätzungsweise bis zu 150.000 Zwangsarbeiter*innen, die in diesem Zeitraum im Stadtgebiet im Einsatz waren. Vielen von ihnen wurden gewaltsam aus den vom NS-Regime besetzten Gebieten in ganz Europa nach München verschleppt. Das 1939 in Gang gesetzte Programm zum Einsatz ausländischer Arbeitskraft war ein zentrales Instrument der NS-Kriegsmaschinerie. Während des Zweiten Weltkrieges wurden im Gebiet des Großdeutschen Reiches insgesamt mehr als 13 Mio. ausländische Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. Ohne diese Arbeitskräfte wäre die heimische Wirtschaft zusammengebrochen und der Krieg vom NS-Regime nicht so lange zu führen gewesen. Eines der wenigen heute noch erhaltenen Zeugnisse dieses Massenverbrechens ist ein Barackenlager im westlichen Münchner Stadtteil Neuaubing, das einst von der Reichsbahn errichtet und verwaltet wurde. 

Neuaubing, das erst 1942 nach München eingemeindet wurde, entwickelte sich während der NS-Zeit mit seinen beiden Großbetrieben, dem Flugzeugwerk Dornier und dem Reichsbahnausbesserungswerk (RAW), zu einem Zentrum der Rüstungsproduktion und der Zwangsarbeit. Insgesamt waren in den Gemeinden Aubing, Neuaubing und Langwied während des Zweiten Weltkriegs ca. 7000 ausländische Zwangsarbeitskräfte eingesetzt, rund 2000 davon bei den Dornier-Werken in der Produktion von Rümpfen für Kampfflugzeuge sowie etwa 1600 beim RAW. Das RAW war eines von zwei Reparaturwerken der Bahn in München. Es galt im Zweiten Weltkrieg als ‚kriegswichtig‘, da ein funktionierender Zugbetrieb u.a. für Truppen- und Materialtransporte essentiell war. 

Das Lager an der heutigen Ehrenbürgstraße, das in den Quellen unterschiedlichen Bezeichnungen trägt, 
wurde im Jahr 1942 zunächst als Unterkunft für sogenannte  ‚Ostarbeiter‘ , also zivile Zwangsarbeitskräfte aus der Sowjetunion, eröffnet. Als ungefähre zeitliche Fixierung kann der 1. Mai 1942 dienen, der Tag, an dem der Lagerführer Josef Eichhorn seine neues Amt offiziell antrat. Wenig später wurden die ersten 150 Menschen aus der Sowjetunion registriert, die möglicherweise noch dabei helfen mussten, Teile des Barackenlagers zu bauen. 

Laut den damals gültigen Vorschriften musste die Unterbringung von sowjetischen Zivilarbeitern aus rassistischen Gründen nicht nur isoliert von Deutschen, sondern auch von anderen beschäftigen Ausländern erfolgen. Die Zwangsarbeiter*innen aus anderen Ländern, die beim RAW arbeiten mussten, waren daher zunächst an anderen Standorten in und um das Werk untergebracht. Im späteren Kriegsverlauf wurden aus Kapazitätsgründen aber auch andere Gruppen dort untergebracht – nachweislich Italienische Militärinternierte (IMIs) sowie polnische Zwangsarbeiter*innen. Es ist wahrscheinlich, dass das RAW-Lager im letzten Kriegsjahr voll oder gar überbelegt war, nicht zuletzt weil Arbeiter*innen einquartiert werden mussten, die aus anderen Lagern in der Nähe des Frontverlaufs verlegt wurden.

Während ursprünglich die Errichtung von insgesamt elf Baracken in Leichtbauweise mit einer Gesamtkapazität von ca. 620 Betten geplant war - sechs Unterkunftsbaracken, eine Werkstatt-, eine Sanitäts-, eine Wirtschafts-, eine Bade-/Wasch- und eine Wachmannschaftsbaracke -, wurden bis Kriegsende tatsächlich nur fünf Funktionsgebäude und vier Unterkunftsbaracken realisiert. Die letzte Lagerbaracke wurde erst zu Jahresbeginn 1945, baulich stark improvisiert, fertiggestellt. Das Lager befand sich in etwa zehn Minuten fußläufiger Entfernung nördlich des Werkes und der Bahnstrecke nach Herrsching. An drei Seiten war das Gelände von Feldern und einer Schuttablage umgeben. Im Westen schloss es direkt an die Siedlung am Gößweinsteinplatz an, die 1938/1939 als typischen NS-Arbeitersiedlung erbaut worden war.

Die Zwangsarbeiter*innen des Lagers waren im nahe gelegenen Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) für schwere Arbeiten bei der Instandhaltung von Personen- und Güterwagen eingesetzt, aber auch zu Aufräumarbeiten nach alliierten Luftangriffen. Morgens führten bewaffnete Wachen die Kolonnen an ihre Arbeitsplätze und brachten die Zwangsarbeiter*innen abends wieder ins Lager zurück. Das Lagerpersonal wendete Gewalt zur Disziplinierung der Lagerinsassen an. Sterbeurkunden belegen neun Todesfälle im Lager. Das Lagerpersonal wurde aus den Reihen der Belegschaft des Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) Neuaubing rekrutiert. Bislang sind 15 Personen bekannt: ein Lagerführer, dessen Stellvertreter, ein Wachführer, sechs Wachen, ein Dolmetscher, ein Sanitäter, eine Küchenleiterin, ein technischer Leiter, ein Gärtner und eine Bürokraft.

Nach Kriegsende stellte die Bahn die Gebäude kurzzeitig für Flüchtlinge zur Verfügung, später wohnten dort Mitarbeiter der Dutschen Bundesbahn. Seit den 1970er-Jahren wird das Gelände gewerblich genutzt, bald überwiegend von Künstler*innen, Handwerker*innen und Sozialeinrichtungen. Trotz baulicher Veränderungen ist die ursprüngliche Gebäudeverteilung weitgehend erhalten. 

Seit 2017 steht das Gelände inklusive aller noch erhaltener acht Baracken, zweier Splitterschutzbunker und den vorhandenen Zaunresten unter Denkmalschutz. 2014 hat der Münchner Stadtrat das Gelände mit dem Ziel erworben, die soziokulturellen Nutzungen dauerhaft zu erhalten und an die Geschichte der NS-Zwangsarbeit zu erinnern. Zu diesem Zwecke wird eine Dependance des NS-Dokumentationszentrums entstehen. Zwei Baracken sowie Teile des Außengeländes werden zukünftig für einen Ausstellungsbetrieb, Vermittlungsformate und Veranstaltungen genutzt. Bis 2027 soll die denkmalgerechte Sanierung des gesamten Geländes abgeschlossen sein.

Quellen

Nerdinger, Winfried, unter Mitarbeit von Angela Hermann, Paul-Moritz Rabe und Sibylle von Tiedemann (Hg.): Zwangsarbeit in München. Das Lager der Reichsbahn in Neuaubing, Berlin 2018.
Archiv der Lokalbaukommission München, Akte der LBK München, Ehrenbürgstraße 9.
Heusler, Andreas: Ausländereinsatz. Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939-1945, München 1996.

Empfohlene Zitierweise

Paul-Moritz Rabe: Barackenlager RAW Neuaubing (publiziert am 13.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/barackenlager-raw-neuaubing-60