Otto Bradfisch (10.5.1903 Zweibrücken – 22.6.1994 Seeshaupt)

Biographies
Verfasst von Ulla-Britta Vollhardt

Volkswirt und Jurist, SS-Obersturmbannführer, Führer des Einsatzkommandos 8 der Einsatzgruppe B

Otto Bradfisch (vordere Reihe ganz rechts) und vier Mitangeklagte während des Prozesses gegen Angehörige des Einsatzkommandos 8 im Münchner Justizpalast, 3.7.1961 | UPI/SZ Photo, 00309410

Otto Bradfisch, Sohn eines Lebensmittelkaufmanns, legte 1922 am humanistischen Gymnasium in Kaiserslautern das Abitur ab, studierte dann Volkswirtschaft an den Universitäten Freiburg im Breisgau, Leipzig, Heidelberg und Innsbruck und wurde 1926 in Innsbruck zum Dr. rer. pol. promoviert. Es folgte ein Jurastudium in Erlangen und München, das Bradfisch 1935 mit dem zweiten juristischen Staatsexamen abschloss. Bereits 1931 hatte er sich der NSDAP angeschlossen und war stellvertretender Ortsgruppenleiter der NSDAP in München-Freimann. Nach der Übernahme in den Staatsdienst wurde Bradfisch im bayerischen Innenministerium eingesetzt. 1937 wechselte er zur Geheimen Staatspolizei und übernahm die Leitung der Staatspolizeistelle in Neustadt an der Weinstraße.

1938 wurde er in die SS aufgenommen. 1941/42 beteiligte sich der SS-Sturmbannführer als Leiter des Einsatzkommandos 8 (EK 8) der Einsatzgruppe B der Sicherheitspolizei und des SD am Vernichtungskrieg im Osten. Unter seinem Befehl wurden über 60.000 Menschen erschossen. Als Leiter der Staatspolizeistelle Litzmannstadt (Łódź) seit April 1942, Kommandeur der Sicherheitspolizei (SiPo) und des SD sowie kommissarischer Oberbürgermeister der Stadt war er maßgeblich an der Deportation von über 100.000 Jüdinnen*Juden in die Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) und Auschwitz-Birkenau beteiligt. In den letzten Kriegsmonaten diente Bradfisch, inzwischen SS-Obersturmbannführer, als Kommandeur der SiPo und des SD in Potsdam.

Bei Kriegsende verschaffte er sich eine neue Identität und lebte bis 1953 unter dem Namen Karl Evers als Landarbeiter und Bergmann. Nach seinem Auftauchen aus der Illegalität war er Versicherungsangestellter in Kaiserslautern. 1958 wurde er verhaftet und 1961 zusammen mit vier ehemaligen Angehörigen des EK 8 in München vor Gericht gestellt. Bradfisch erhielt wegen Beihilfe zum Mord in 15.000 Fällen zehn Jahre Zuchthaus. 1963 wurde er in einem weiteren Prozess in Hannover wegen der Deportationen aus dem Ghetto Łódź unter Einbeziehung des Münchner Urteils zu einer Gesamtstrafe von 13 Jahren verurteilt. 1965 gwährten ihm die Jusitzbehörden aus gesundheitlichen Gründen eine mehrmals verlängerte Haftunterbrechung. Als diese „Amnestie durch die Hintertür“ durch die Medien skandalisiert wurde, kam Bradfisch Ende 1966 wieder in Haft. 1969 wurde er endgültig aus gesundheitlichen Gründen entlassen.

Quellen

Klein, Peter: „Ein Strafmaß in dieser Höhe war ein Glücksfall". Der Mordgehilfe. Schuld und Sühne des Dr. Otto Bradfisch, in: Mallmann, Klaus-Michael/Angrick, Andrej (Hg.): Die Gestapo nach 1945. Karrieren, Konflikte, Konstruktionen, Darmstadt 2009, S. 221-234.
NS-Verbrecher: Zuchthaus zu Haus, in: Der Spiegel, Nr. 44/1966, S. 65f.

Empfohlene Zitierweise

Ulla-Britta Vollhardt: Bradfisch, Otto (publiziert am 06.11.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/bradfisch-otto-101