Dachauer Prozesse

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Verfasst von Edith Raim

Amerikanische Militärgerichtsprozesse zur Aburteilung von insbesondere in Konzentrationslagern begangenen NS-Verbrechen

Blick in den Gerichtssaal während des ersten Dachau-Prozesses gegen das Personal und Funktionshäftlinge des KZ Dachau, 4.12.1945 | National Archives and Records Administration, College Park/United States Holocaust Memorial Museum, 82891

Unter den Dachauer Prozessen versteht man eine Vielzahl von amerikanischen Militärgerichtsverfahren wegen NS-Verbrechen zu höchst unterschiedlichen Straftatbeständen. Die meisten davon sind lediglich durch ihren Verhandlungsort im ehemaligen Konzentrationslager Dachau, das nach der Befreiung als Internierungslager diente, miteinander verbunden.
Insgesamt wurden in den Jahren von 1945 bis 1948 von der amerikanischen Armee 489 Prozesse nach Militärstrafrecht gegen deutsche Täter*innen durchgeführt, denen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt wurden. Die Zahl der Ermittlungen war um ein Vielfaches höher, da nur die Verfahren zur Anklage kamen, bei denen die Beweislage eine Verurteilung wahrscheinlich erscheinen ließ. Angeklagt waren 1672 Personen, von denen mehr als Tausend einschlägige Verbrechen vorgeworfen wurden. Gegen 426 Angeklagte wurden schließlich Todesstrafen verhängt, 268 davon wurden vollstreckt.

Das US-Militär stand zu Beginn der Prozesse noch stark unter dem Eindruck der grauenvollen Umstände in den Konzentrationslagern, die sie bei der Befreiung im Frühjahr 1945 vorgefunden hatten. In Buchenwald und Dachau war es auf Leichenberge ermordeter oder verhungerter Häftlinge gestoßen, entlang der Routen der Todesmärsche fanden sie erschossene Gefangene oder ausgezehrte und todkranke Häftlinge vor.

Das amerikanische War Crimes Program diente vor allem zwei Zwecken: einmal unmittelbar der Ahndung der NS-Verbrechen und längerfristig der Rückkehr der Deutschen zu einem Rechtsstaat. Für die Ermittlung der Verbrechen in den Konzentrationslagern waren die Bedingungen denkbar schlecht: die SS hatte bewusst gegen Kriegsende Spuren verwischt und Dokumente vernichtet. Die SS-Angehörigen waren geflohen, untergetaucht oder hatten sich durch Selbstmord der Verantwortung entzogen, wie etwa der letzte reguläre KZ-Kommandant von Dachau, Eduard Weiter. Die multinationale und heterogene Häftlingsgemeinschaft hatte nur sehr unvollkommene Kenntnisse von den im Lager begangenen Straftaten. Viele für eine Zeugenschaft in Frage kommenden Häftlinge waren von der SS ermordet worden, andere waren erst in der letzten Kriegsphase inhaftiert worden und konnten zu vorher verübten Verbrechen keine Aussagen treffen. Nur einige wenige wie z.B. Eugen Kogon, der in Buchenwald über längere Zeit die Funktion des Lagerschreibers ausgeübt hatte, besaßen eine umfassende Übersicht über das Lager und hatten sich während ihrer Lagerhaft auch nicht mitschuldig gemacht.

Die US-Militärs hielten sich in ihrer Aburteilung der Verbrechen an geltendes Völkerrecht wie die Haager Landkriegsordnung von 1907 und die Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen aus dem Jahr 1929. Sie versuchten zwar, Gesamtzusammenhänge hinsichtlich der Konzentrationslager zu ermitteln, doch fühlten sie sich nicht zuständig für die Verbrechen, die in den jeweiligen Konzentrationslagern vor Kriegsbeginn bzw. vor dem Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg begangen worden waren. Auch galt ihr Hauptaugenmerk den Verbrechen an Bürger*innen der alliierten Staaten. Die in Dachau vor 1939 begangenen Straftaten, etwa an deutschen oder österreichischen Häftlingen, blieben damit außerhalb des Ermittlungsinteresses. Ebenso konzentrierte sich die amerikanische Anklage auf die Straftaten, die die Täter*innen während des festgelegten Zeitraumes in einem bestimmten Lager begangen hatten. Die Männer und wenigen Frauen, die sich an Massenverbrechen in ganz Europa beteiligt hatten, wurden damit im Regelfall nur für einen Teil ihrer tatsächlichen Verbrechen bestraft: Viele waren seit 1933 in der SS und hatten in einem halben Dutzend und mehr Lagern Dienst getan. So wurde Martin Gottfried Weiß, ein früherer Lagerkommandant von Dachau, nicht für seine Straftaten im KZ Lublin-Majdanek zur Rechenschaft gezogen, ebenso wenig Otto Moll, Lagerführer in Kaufering, für seine Morde im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau bestraft.

Die sechs bekanntesten Dachauer Prozesse betreffen Straftaten in den Konzentrationslagern Dachau, Buchenwald, Mauthausen, Mittelbau-Dora, Flossenbürg und dem Dachauer Außenlager Mühldorf. Der erste Dachau-Prozess fand vom 15.11. bis 13.12.1945 statt. Zu den insgesamt 40 Angeklagten zählten der frühere Lagerkommandant Martin Gottfried Weiß, Schutzhaftlagerführer, Lagerärzte, Lagerführer der Außenlager von Allach und Kaufering und Funktionshäftlinge. 36 von ihnen wurden wegen Tötungen und Misshandlungen im Rahmen eines gemeinsamen geplanten Vorgehens zum Tode verurteilt und 28 im Landsberger Kriegsverbrechergefängnis hingerichtet. Nach der Aburteilung dieser Hauptbeschuldigten wurden 123 Nachfolgeprozesse zu Dachau und seinen Außenlagern durchgeführt.

Der größte der Dachauer Prozesse war der Mauthausen-Hauptprozess im Frühjahr 1946, der 61 Angeklagte umfasste und zu 58 Todesurteilen führte, von denen 49 vollstreckt wurden. 45 Personen waren im Flossenbürg-Hauptprozess angeklagt, 15 wurden zum Tod verurteilt, 12 auch hingerichtet. Der Mühldorf-Prozess stellte insofern eine Besonderheit dar, als es sich nicht um ein Hauptlager, sondern einen Außenlagerkomplex handelte. Gegen 14 Angeklagte ergingen 5 Todesurteile, eines wurde vollstreckt. Im Buchenwald-Hauptprozess gab es 31 Angeklagte, 22 Todesurteile und 11 Hinrichten. Im Dora-Mittelbau-Prozess wurden 19 Männer angeklagt, von denen einer zum Tod verurteilt und hingerichtet wurde.

In den General Military Government Courts, die die Verfahren in Dachau aburteilten, waren je 5 Richter tätig, von denen einer ein ausgebildeter Jurist sein musste. Entscheidungen fielen mit Zweidrittelmehrheit. Den Angeklagten waren amerikanische Militärs als Verteidiger zugeordnet, gelegentlich waren deutsche Rechtsanwälte in den Verfahren tätig. Gegen die Urteile war keine Revision möglich, alle Urteile wurden aber auf ihre Rechtsförmigkeit geprüft, Gnadengesuche in Betracht gezogen sowie Begnadigungen ermöglicht.

Weniger bekannt ist, dass auch zahlreiche Verfahren zu den Dachauer Prozessen gehören, die keinen Zusammenhang mit Konzentrationslagern hatten, vor allem „Fliegerprozesse“, die die Lynchjustiz gegen abgeschossene oder notgelandete alliierte Flugzeugbesatzungen betrafen. Im Malmedy-Prozess waren 73 Angehörige der 1. SS-Panzer-Division „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ wegen Mordes an kriegsgefangenen amerikanischen Soldaten und Zivilisten angeklagt. Keines der dort gefällten 43 Todesurteile wurde jedoch vollstreckt.

Durch die konsequente Durchführung der Verfahren machte die amerikanische Besatzungsmacht deutlich, dass die Täter*innen zur Rechenschaft gezogen würden und das Abwälzen der Verantwortung auf Vorgesetzte oder die Machtstrukturen des Dritten Reiches als Verteidigungsstrategien nicht akzeptiert werden würden. Die Dachauer (KZ-)Prozesse sind von bleibender Bedeutung, weil sie der von der SS geplanten Auslöschung der Menschen in den Lagern und der Vernichtung der Dokumente die Befragung der Überlebenden entgegensetzte, die wenigen schriftlichen Dokumente sicherte und der Nachwelt in den Prozessen zur Verfügung stellte.

Quellen

Eiber, Ludwig/Sigel, Robert (Hg.): Dachauer Prozesse – NS-Verbrechen vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau 1945-1948, Göttingen 2007.
Lessing, Holger: Der erste Dachauer Prozess (1945/46), Baden-Baden 1993.
Stiepani, Ute: Die Dachauer Prozesse und ihre Bedeutung im Rahmen der alliierten Strafverfolgung von NS-Verbrechen, in: Gerd Ueberschär (Hg.): Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943-1952, Frankfurt am Main 2000, S. 227-239.
Sigel, Robert: Im Interesse der Gerechtigkeit. Die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse 1945-1948, Frankfurt am Main 1992.
Sigel, Robert: Dachauer Kriegsverbrecherprozesse, publiziert am 07.08.2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dachauer_Kriegsverbrecherprozesse> (28.11.2022)



Empfohlene Zitierweise

Edith Raim: Dachauer Prozesse (publiziert am 06.11.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/dachauer-prozesse-136