Die Arbeiterbewegung als Feindbild rechter und nationalistisch-völkischer Kreise

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Verfasst von Friedbert Mühldorfer

Entstehung und Entwicklung im 20. Jahrhundert

Plakat zur Ausstellung ‚Der Bolschewismus‘, 1936 | Münchner Stadtmuseum, P-C14/56, Grafik: Max Eschle

Die NS-Bewegung sah in den Jüdinnen*Juden und in der sozialistischen Arbeiterbewegung ihre beiden wesentlichen Feinde. In ihrer Propaganda stand – abhängig von Zeit und Zielgruppe – zeitweise eines der beiden Feindbilder im Vordergrund oder wurde im Doppelfeindbild des „jüdischen Marxismus“ oder „jüdischen Bolschewismus“ verbunden. Diese Feindbilder dienten der Hasspropaganda nach außen, der inneren Stabilisierung und nach der Machtübernahme 1933 der Begründung wesentlicher innen- und außenpolitischer Maßnahmen.

Die Feindschaft gegen Jüdinnen*Juden hatte jahrhundertelange Tradition und mündete gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einen rassistisch begründeten Antisemitismus. Dagegen erlangten Antisozialismus und Antikommunismus erst mit der Entstehung einer eigenständigen Arbeiterbewegung in der Revolution von 1848 Bedeutung. Die marxistische Arbeiterbewegung wollte durch Aufhebung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln die Ausbeutung der Arbeiterschaft beenden, das allgemeine Wahlrecht und die Demokratie erkämpfen und durch die internationale Solidarität der Proletarier Kriege zwischen den Ländern dauerhaft beseitigen. Das zielte auf die Beseitigung der Herrschaft von Adel und Bürgertum.

Neben die Bekämpfung der sich formierenden Arbeiterbewegung trat gleichzeitig die demagogische Verwendung der Begriffe „Marxismus“ oder „Kommunismus“ zur Diffamierung missliebiger politischer Positionen – eben im Sinne eines Feindbildes. Im „Manifest der kommunistischen Partei“ formulierte Karl Marx 1848 dazu: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet“ (Marx/Engels, Bd. 1, S. 25).

Im „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ (1878-1890) wurden Sozialisten als „Umstürzler“, „Vaterlandsfeinde“ und „Verräter der Nation“ aus Staat und Gesellschaft ausgegrenzt. Die Wirkung dieses Feindbilds blieb prägend für die nächsten Jahrzehnte. Mit dem Wachsen der Arbeiterbewegung an Mitgliedern und Wählern trotz aller staatlichen Gegenmaßnahmen verschärfte sich im Zeitalter zunehmender imperialistischer Politik die Diffamierung durch die Verknüpfung mit dem Antisemitismus: Deutsch-nationale Politiker sahen die internationalistisch orientierte sozialistische Bewegung als von einem „Internationalen Judentum“ gesteuert an. Verfestigt wurde diese Konstruktion dann vor allem durch die Kriegsniederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg und die Erfahrung der beiden Revolutionen in Russland 1917 und in Deutschland 1918. Die gewalttätige Unterdrückung der Opposition durch die Bolschewiki in Russland nach der Revolution erleichterte die Zementierung des alten Feindbilds „Sozialismus“ bzw. „Marxismus“ bzw. „Kommunismus“. Diese Begriffe – bis dahin meist synonym verwendet – wurden seit 1917 um den Begriff „Bolschewismus“ ergänzt, so dass nunmehr zwischen reformorientiertem „Sozialismus“ bzw. “Marxismus“ einerseits und revolutionärem „Kommunismus“ bzw. “Bolschewismus“, der sich an der Sowjetunion orientierte, andererseits unterschieden werden konnte.

In weiten Teilen des Bürgertums und insbesondere in nationalistisch-völkischen Kreisen herrschte die Einschätzung vor, dass die sozialistisch orientierte Arbeiterbewegung durch ihre mangelnde nationale und ihre grundsätzlich kriegsfeindliche Orientierung Mitschuld an der Niederlage im Ersten Weltkrieg und an der Revolution von 1918/19 getragen habe. An dieser Schuldzuweisung änderte auch der Umstand nichts, dass die Mehrheitssozialdemokratie und die Gewerkschaften 1914 einen „Burgfrieden“ mit Staat und Unternehmern geschlossen, die Kriegsanstrengungen des Reichs tatkräftig unterstützt und während der Revolution 1918/19 auch in Bayern die Rätebewegung mit bekämpft hatten. Weil einige führende Persönlichkeiten der revolutionären Bewegung jüdischer Herkunft waren, wurde – gemäß antisemitischer Tradition – ein „Internationales Judentum“ als Verursacher konstruiert und als eigentlicher „Drahtzieher“ bezeichnet. Dieses antisozialistische und antisemitische Feindbild fand im Propagandabegriff „Novemberverbrecher“ seinen sinnfälligsten Ausdruck und in den zahlreichen Morden Rechtsradikaler bereits in den ersten Jahren der Weimarer Republik seine terroristische Praxis. Dabei waren sich die national und völkisch orientierten Kreise einig, dass die Überwindung der aus der Revolution entstandenen verhassten Republik, ein „nationaler Wiederaufstieg“ und schließlich auch eine militärische Revision des Versailler Vertrags nur möglich wären, wenn die sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Arbeiterbewegung ausgeschaltet und die Arbeiterschaft stattdessen eine nationale Orientierung erhalten würde.

So stand auch für die NS-Bewegung der Kampf gegen den „Kommunismus“ bzw. „Bolschewismus“ aus taktischen Gründen oft im Vordergrund, um ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen, da der kommunistische Flügel der Arbeiterbewegung in großen Teilen der gesamten Gesellschaft – einschließlich des sozialdemokratisch orientierten Teils der Arbeiterschaft – auf breite Ablehnung stieß. Hinter der Kampfansage an „Kommunismus“ und „Bolschewismus“ verbarg sich aber oft gleichermaßen das Bestreben, die gesamte Arbeiterbewegung von der KPD über die SPD bis hin zu den freien Gewerkschaften zu bekämpfen. In seinem Buch „Mein Kampf“ hatte Adolf Hitler gefolgert: Genauso wie Demokratie im Bereich der Politik mit allgemeiner Gleichheit und gleichen Wahlen den Wert von Führern und Elite verneine, so zerstöre auch der Marxismus im wirtschaftlichen Bereich durch seine Gleichheitsvorstellung den Gedanken des Führerprinzips im Betrieb. In einem Aufsatz formulierte Hitler 1924 zusammenfassend: „Man kann den falschen Götzen des Marxismus nicht dem Volke nehmen, ohne ihm einen besseren Gott zu geben. […] Dieses am klarsten erkannt und am folgerichtigsten durchgeführt zu haben, ist das weltbedeutende Verdienst Benito Mussolinis, der an Stelle des auszurottenden internationalen Marxismus den national fanatischen Faschismus setzte […] Die nationalsozialistisch-völkische Bewegung kennt daher nur einen Feind; es ist dies allerdings der Todfeind der heutigen Menschheit insgesamt: den Marxismus! […] Diese Rettung des Vaterlandes [...] ist begründet erst in der Stunde, da der letzte Marxist entweder bekehrt oder vernichtet ist. Erst nach diesem inneren Siege wird Deutschland die eiserne Fessel seines äußeren Feindes zerbrechen“ (zit. nach Jäckel, S. 1225).

Dies waren Leitgedanken vom Beginn bis zum Ende der NS-Bewegung, was sich besonders in der Parteipresse zeigte. Je nach den politischen Gegebenheiten wurden aber jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt. Ab Ende der 1920er-Jahre wurde die antisemitische Propaganda nach außen reduziert, um die Akzeptanz der NS-Bewegung in bürgerlich-konservativen Kreisen zu erhöhen. Die im Parteiprogramm von 1920 noch formulierten „sozialistischen“ Programmpunkte wurden aus dem gleichen Grund fallen gelassen zugunsten verschärfter Kampfansagen gegen Kommunismus und Bolschewismus. Diese Konzeption war auch der Hintergrund für die in den letzten Jahren der Weimarer Republik zunehmenden provozierenden Aufmärsche von Nazis in traditionellen Arbeitervierteln und gewalttätigen Übergriffe auf Versammlungen von Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen. Gerade die Auseinandersetzungen mit ihren kommunistischen Gegner*innen dienten in der NS-Presse der propagandistischen Vergrößerung der „roten Gefahr“, aber auch dem Nachweis gegenüber der bürgerlichen Öffentlichkeit und den gesellschaftlichen Eliten, dass allein die Nationalsozialisten sich dieser Gefahr mit allen Mitteln entgegenzustellen vermochten. Während diese Strategie von den bürgerlichen Bevölkerungsgruppen in großem Umfang akzeptiert wurde, war die Wirkung der NS-Propaganda auf die Arbeiterschaft deutlich weniger erfolgreich. Vor allem blieb die Arbeiterbewegung als eigenständiger Machtfaktor erhalten.

Unmittelbar nach der Machtübernahme kündigte deshalb Hitler am 3.2.1933 in einer Besprechung mit Spitzen der Reichswehr die „Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel“ als Voraussetzung für den Wiederaufstieg Deutschlands an. Nach und nach wurden bis zum Juni 1933 die Freien Gewerkschaften, die KPD und die SPD vollständig zerschlagen. Im Zuge des auch schon zuvor praktizierten Massenterrors gegen Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen und Gewerkschaften – als „Kampf gegen den Kommunismus“ vom konservativen Bürgertum toleriert – wurden viele Mitglieder dieser Parteien und Organisationen verfolgt, inhaftiert oder ins Exil getrieben, nicht wenige auch ermordet. Mit massiver Propaganda, geringfügigen sozialen Zugeständnissen und vor allem mit weiterbestehendem Terror konnten die in der Arbeiterschaft bis zum Ende des Krieges immer wieder aufflackernden Widerstandsaktivitäten weitgehend unterdrückt werden. Nachdem der Kampfbegriff „Kommunismus/Bolschewismus“ bis Mitte der 1930er-Jahre seine Funktion nach innen im Wesentlichen erfüllt hatte, wurden Antisemitismus und das Doppelfeindbild „jüdischer Bolschewismus“ seit 1941 zur propagandistischen Begründung des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion benutzt. Angesichts der sich abzeichnenden Kriegsniederlage und der begangenen Massenverbrechen konnte schließlich auch noch die Angst vor der drohenden Rache des „Bolschewismus“ für den Durchhaltekampf bis zum Schluss instrumentalisiert werden.

Nach 1945 wurde der Begriff „Bolschewismus“ kaum mehr verwendet – von rechtsradikalen Kreisen abgesehen, die auch offen oder versteckt am Antisemitismus festhielten, der ansonsten offiziell geächtet war. Mit der Integration von Sozialdemokratie und Gewerkschaften in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik verlor die Ausgrenzung reformorientierter Sozialist*innen zunehmend ihre Grundlage. Im antikommunistischen Klima der 1950er- und 1960er-Jahre wurde der Kommunismus-Vorwurf aber nicht nur zur Kennzeichnung und Auseinandersetzung mit kommunistischer Politik, sondern auch pauschalisierend zur Diffamierung radikaler Kritik an der Politik der Bundesregierung genutzt, so etwa gegenüber Teilen der sozialistischen studentischen Opposition. Seit den 1990er-Jahren tritt neben den Begriff „kommunistisch“ verstärkt die Bezeichnung „linksextremistisch“, womit gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Aktivitäten bezeichnet werden.

Quellen

Hitler, Adolf: „Warum mußte ein 8. November kommen?“. Aufsatz, o.O. April 1924, in: Jäckel, Eberhard: Hitler. Sämtliche Aufzeichnungen 1905-1924, Stuttgart 1980, S. 1216-1226.
Marx, Karl/Engels, Friedrich: Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Bd. 1, Berlin (Ost) 1970.
Bons, Joachim: Nationalsozialismus und Arbeiterfrage. Zu den Motiven, Inhalten und Wirkungsgründen nationalsozialistischer Arbeiterpolitik vor 1933, Pfaffenweiler 1995.
Pyta, Wolfram: Gegen Hitler und für die Republik. Die Auseinandersetzung der deutschen Sozialdemokratie mit der NSDAP in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1989.
Ruck, Michael: Bollwerk gegen Hitler? Arbeiterschaft, Arbeiterbewegung und die Anfänge des Nationalsozialismus, Köln 1988.
Sobich, Frank Oliver: "Schwarze Bestien, rote Gefahr". Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a.M. 2006.
Wippermann, Wolfgang: Heilige Hetzjagd: Eine Ideologiegeschichte des Antikommunismus, Berlin 2012.
Wirsching, Andreas: Antikommunismus als Querschnittsphänomen politischer Kultur 1917-1945, in: Creuzberger, Stefan/ Hoffmann, Dierk: Antikommunismus und politische Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, München 2014, S. 15-28.

Empfohlene Zitierweise

Friedbert Mühldorfer: Feindbild Arbeiterbewegung (publiziert am 27.11.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/feindbild-arbeiterbewegung-209