Fememorde in der Weimarer Republik

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Verfasst von Joachim Schröder

(1920-1923)

Zwischen 1920 und 1923 wurden in Bayern mindestens sechs sogenannte ‚Fememorde‘ verübt. Der Begriff ‚Feme‘ stammt aus dem Mittelalter und bezeichnet eine im Geheimen vollzogenen Selbstjustiz. Die Täter entstammten, soweit bekannt geworden, meist dem nationalistischen, rechtsradikalen Milieu der bayerischen Einwohnerwehren. Einer der Morde ging mutmaßlich auf das Konto der von ihrer Münchner Zentrale aus reichsweit operierenden, rechtsterroristischen ‚Organisation Consul‘ (OC), einem Freikorps der ‚Brigade Ehrhardt‘. Opfer der Mordanschläge waren solche Personen, die in den Augen der Mörder national „unzuverlässig“ waren oder sich gegen die vom Staat unterstützte Politik der heimlichen Aufrüstung gewandt hatten. Die Täter brauchten sich in der ‚Ordnungszelle Bayern‘ vor der Staatsmacht nicht zu fürchten. Insbesondere die Münchner Polizei unter ihrem Präsidenten Ernst Pöhner ließ einen Willen zur Aufklärung der Morde weitgehend vermissen oder deckte sogar Tatverdächtige. Kam es doch einmal zu einem Prozess, vereitelte die Justiz die Ahndung der Verbrechen.

Einwohnerwehren, geheime Aufrüstung und Selbstjustiz
Der Versailler Friedensvertrag legte dem Deutschen Reich die Verpflichtung auf, seine Armee und seine Bewaffnung drastisch zu reduzieren. Diese erzwungene Abrüstung suchten alle deutschen Regierungen der Weimarer Republik von Anfang an zu unterlaufen. Ein Mittel hierzu war die Unterstützung und Ausrüstung nichtstaatlicher Wehrvereine und Kampfbünde, die besonders in Bayern in großer Zahl nach der Revolution entstanden waren und zum Teil über einen beachtlichen Massenanhang verfügten. Ihr erster Zweck war die Abwehr von eventuell wieder aufbrechenden revolutionären Unruhen in den Reihen der Arbeiterschaft, weswegen sie auch von den Alliierten gebilligt wurden. Zugleich dienten sie aber gewissermaßen als ein Ersatzheer und somit der – illegalen – geheimen Aufrüstung. Für die Regierung war die Geheimhaltung von zentralem „vaterländischem“ Interesse. Strafrechtlich verfolgen konnte sie diejenigen, die die illegale Aufrüstung anprangerten oder ein geheimes Waffenlager aufdeckten, aber nicht. Hier griffen die Einwohnerwehren zur Selbstjustiz.

Das erste Mordopfer war das Dienstmädchen Maria Sandmayr, das am 6.10.1920 erdrosselt im Forstenrieder Park aufgefunden worden war. Sie hatte zufällig ein illegales Waffenlager der Einwohnerwehr entdeckt und dies den Behörden melden wollen, die Information aber unwissentlich ausgerechnet einem Mitglied der Einwohnerwehr mitgeteilt. Kurz darauf wurde die ‚Feme-Organisation‘ der Einwohnerwehr aktiv. Die Kriminalpolizei hatte in dem ehemaligen Freikorps-Angehörigen Hans Schweighart rasch einen Tatverdächtigen ermittelt. Doch kurz vor der Festnahme konnte Schweighart mithilfe eines von der Münchner Polizeidirektion ausgestellten Passes nach Österreich entkommen. Dies war auf Antrag der Politischen Abteilung der Polizeidirektion erfolgt, die zu dieser Zeit von Wilhelm Frick, dem späteren Reichsinnenminister des NS-Regimes, geleitet wurde. Zum Netzwerk der Fluchthelfer gehörte auch der Jurist Franz Mayr, wie Schweighart ehemals Angehöriger des Freikorps Epp, er sollte während der NS-Herrschaft Münchner Polizeipräsident werden.

Wenige Tage später wurde auf den ehemaligen Reichswehrsoldaten Hans Dobner ein Mordanschlag verübt, auch er hatte ein Waffenlager der Einwohnerwehr verraten wollen. Er entging dem Anschlag nur knapp und unterrichtete hierüber den bayerischen Landtagsabgeordneten Karl Gareis (USPD). Gemeinsam mit dem MSPD-Fraktionschef Johannes Timm und den Rechtsanwälten Max Hirschberg und Philipp Löwenfeld gelang es Gareis, die Verbindung zwischen der Feme-Organisation der Einwohnerwehr und der Münchener Politischen Polizei aufzudecken. Dies führte zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im bayerischen Landtag, der freilich ohne Ergebnis blieb. Kurz darauf, am 9.6.1921, wurde Gareis vor seiner Haustür in Schwabing erschossen. Der Täter wurde nie ermittelt. Möglicherweise handelte es sich hier aber um die erste Mordtat der berüchtigten OC (Sabrow, Organisation Consul).

München als Zentrale der ‚Organisation Consul‘
Im Wissen um die allgemeine politische Einstellung der bayerischen Landesregierung, der Justizbehörden und der Polizei in der ‚Ordnungszelle‘ diente Bayern als Ausgangspunkt und Rückzugsgebiet für manchen Fememörder und politischen Attentäter. So wurde der Mordanschlag auf Matthias Erzberger am 26.8.1921, begangen von Angehörigen der OC, von München aus geplant. Die OC war eine nationalistische, antisemitische Geheimorganisation, die nach dem gescheiterten Kapp-Lüttwitz-Putsch von Offizieren der ehemaligen ‚Marine-Brigade Ehrhardt‘ gebildet worden war. Ihr Ziel war die Wiederbewaffnung Deutschlands und die Errichtung einer nationalen Diktatur. Die Republik suchte sie durch Attentate auf führende Repräsentant*innen des Staates zu destabilisieren.

Die Zentrale der OC firmierte, getarnt als ‚Bayerische Holzverwertungsgesellschaft‘, in der Trautenwolfstraße 8 in Schwabing. Die beiden Erzberger-Mörder, Heinrich Tillesen und Heinrich Schulz, ehemals Angehörige der ‚Brigade Ehrhardt‘, kehrten nach dem Mordanschlag umgehend nach München zurück. Sie wurden reichsweit steckbrieflich gesucht, fanden aber Aufnahme bei bayerischen Kameraden. Unterstützt wurden sie von Manfred von Killinger, ihrem ehemaligen Kompaniechef bei der ‚Brigade-Ehrhardt‘, der jetzt militärischer Leiter der OC war. Auch der Kopf der Gesamt-Organisation, Hermann Ehrhardt, lebte unbehelligt und mit Wissen der Polizei in München, obwohl auch er wegen seiner führenden Beteiligung am Kapp-Putsch steckbrieflich gesucht wurde. Und nicht nur dies: Auch Ehrhardt verfügte über einen falschen Pass, der mutmaßlich aus der Münchner Polizeidirektion stammte. Der Mord an Walther Rathenau im Juni 1922 sowie der gescheiterte Mordanschlag auf Philipp Scheidemann wurden ebenfalls von Angehörigen der OC ausgeführt. Die OC war zwar nach dem Mord an Erzberger ausgehoben und verboten worden, hatte sich aber im Untergrund zunächst rasch reorganisieren können.

Aufgrund zweier Republikschutzverordnungen und des Republikschutzgesetzes wurde die OC im Juli 1922 verboten. Eine lückenlose Aufklärung ihrer terroristischen Aktivitäten durch den zum Schutz der Republik neu eingerichteten Staatsgerichtshof in Leipzig unterblieb aber in der Folge. Dies galt auch für die meisten anderen, von rechtsradikalen Tätern verübten Morde in den frühen 1920er-Jahren. Öffentliche Kritik an der stillschweigenden Duldung dieser Straftaten durch eine politisch einseitige Justiz wurde vor allem von den linken Oppositionsparteien geübt – und von mutigen, demokratisch gesinnten Publizist*innen wie dem Münchner Pazifisten Emil Julius Gumbel, der in verschiedenen Schriften die Mordpolitik der Geheimorganisationen und die politische Justiz, vor allem in Bayern, anprangerte.

Quellen

Gumbel, Emil J.: Verschwörer. Beiträge zur Geschichte und Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde seit 1918, Wien 1924.
Hirschberg, Max: Jude und Demokrat. Erinnerungen eines Münchener Rechtsanwalts, 1883 bis 1939, München 1998.
Hofmann, Ulrike Claudia: "Verräter verfallen der Feme!" Fememorde in Bayern in den zwanziger Jahren, Köln 2000.
Nickmann, Walter: Die Auswüchse des „Pöhner-Systems“. Polizei und Fememorde, in: Schröder, Joachim: Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus, hg. vom Polizeipräsidium München und dem Kulturreferat der LH München, München 2013, S. 25-29.
Sabrow, Martin: Der Rathenaumord. Rekonstruktion einer Verschwörung gegen die Republik von Weimar, München 1994.
Sabrow, Martin: Organisation Consul (O.C.), 1920-1922, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Organisation_Consul_(O.C.),_1920-1922>
(zuletzt aufgerufen am 4.10.2023).

Empfohlene Zitierweise

Joachim Schröder: Fememorde in der Weimarer Republik (publiziert am 13.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/fememorde-in-der-weimarer-republik-215