Finanzverwaltung

Organizations
Verfasst von Christiane Fritsche

Behörde und Akteur der Verfolgung

Ebenso systematisch wie akribisch trieb die nationalsozialistische Finanzverwaltung die finanzielle Ausplünderung der Juden*Jüdinnen voran, angefangen vom Reichsfinanzministerium an der Spitze über die nachgeordneten 26 Oberfinanzpräsidien bis hin zu den fast 1000 Finanzämtern und 200 Hauptzollämtern. Auch das Oberfinanzpräsidium München und die Münchner Finanzämter waren an dem gigantischen Raubzug gegen die deutschen Juden*Jüdinnen beteiligt. Wesentliche Werkzeuge waren die ‚Reichsfluchtsteuer‘ in Höhe von 25 Prozent des Vermögens und die am 12.11.1938 verhängte ‚Judenvermögensabgabe‘. Allein auf diesem Weg strich der deutsche Fiskus mehr als 2 Mrd. Reichsmark ein.

Daneben baute das NS-Regime die Devisengesetzgebung zu einem Instrument der Ausplünderung aus. So durften Emigrant*innen nicht mehr als zehn Reichsmark in bar mitnehmen, und beim Umtausch von Reichsmark in ausländische Währungen vereinnahmte der deutsche Staat einen immer höheren Anteil. Der einbehaltene Prozentsatz stieg zwischen 1934 und 1936 von 20 auf 81; ab 1939 schließlich behielt das Deutsche Reich 96 Prozent der Transferbeträge ein. Der als Jude verfolgte Victor Klemperer brachte es auf den Punkt: Am 28.11.1938 notierte er in seinem Tagebuch, man werde ihn nur „nackt und bloß“ (Klemperer, S. 437) aus Deutschland herauslassen.
Wie ihre Kolleg*innen überall im Deutschen Reich setzten auch die Beamt*innen in der Münchner Finanzverwaltung Verordnungen zur Ausplünderung der Juden*Jüdinnen minutiös um und nutzten Spielräume in der Regel rigoros zulasten der jüdischen Verfolgten.

Quellen

Klemperer, Victor: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. Tagebücher 1933–1941, hg. von Walter Nowojski, Berlin 1995.
Drecoll, Axel: Der Fiskus als Verfolger. Die steuerliche Diskriminierung der Juden in Bayern 1933-1942, München 2008.
Friedenberger, Martin: Fiskalische Ausplünderung. Die Berliner Steuer- und Finanzverwaltung und die jüdische Bevölkerung 1933-1945, Berlin 2008.
Kuller, Christiane: Finanzverwaltung und Judenverfolgung. Die Entziehung jüdischen Vermögens in Bayern während der NS-Zeit, München 2008.
Kuller, Christiane: Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, München 2013.
Raichle, Christoph: Die Finanzverwaltung in Baden und Württemberg im Nationalsozialismus, Stuttgart 2019.

Empfohlene Zitierweise

Christiane Fritsche: Finanzverwaltung (publiziert am 22.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=220&cHash=5304259a07aae03e122deb4f19fa511b