Der ‚Geiselmord‘ im Luitpoldgymnasium München

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Verfasst von Joachim Schröder

Die Erschießung von Verhafteten durch Truppen der Räterepublik Ende April 1919

Todesanzeige der Thule-Gesellschaft für ihre im Luitpold-Gymnasium erschossenen Mitglieder, Bayerische Staatszeitung vom 8.5.1919 | Bayerische Staatsbibliothek München

Während der Räteherrschaft kam es – entgegen der späteren rechten Propaganda – nur zu wenigen massiven Gewalttaten gegen Personen. Allerdings sorgten die Rechtsunsicherheit, die kursierenden Gerüchte, die Ungewissheit über das Kommende und das drohende Beispiel des russischen Bürgerkriegs für Angst und Verunsicherung, besonders im Bürgertum.

Kurz vor der Einnahme der Stadt durch Regierungstruppen und Freikorps ereignete sich dann ein folgenschwerer, blutiger Übergriff. Im Luitpold-Gymnasium wurden am 30.4.1919 zehn Gefangene ermordet, als Vergeltungsmaßnahme für das brutale Vorgehen der vorrückenden Regierungstruppen. Diese von der politischen Führung nicht angeordnete Erschießung ging als ‚Geiselmord‘ in die Geschichte ein. Tatsächlich waren die Ermordeten aufgrund ihrer politischen, von den Machthabern als ‚gegenrevolutionär‘ eingestuften Tätigkeit festgenommen und inhaftiert worden. Sieben von ihnen gehörten der völkischen Thule-Gesellschaft an.

Die Erschießung und fälschlich behauptete  ‚Verstümmelungen‘ der Opfer dienten den Regierungstruppen als Vorwand für ihr gewaltsames Vorgehen bei der Einnahme der Stadt. Die Verantwortlichen wurden im Oktober 1919 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der ‚Geiselmord‘ wurde zum Sinnbild des ‚Roten Terrors‘ und zum festen Bestandteil der Darstellungen über die Münchner Räterepublik, wobei die Vorgeschichte der Tat und die politische Orientierung der Opfer in den Hintergrund rückten oder unerwähnt blieben.

Quellen

Hillmayr, Heinrich: Roter und Weißer Terror in Bayern nach 1918. Ursachen, Erscheinungsformen und Folgen der Gewalttätigkeiten im Verlauf der revolutionären Ereignisse nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, München 1974.
Schröder, Joachim: Die Entstehung des Mythos vom „jüdischen Bolschewismus“, in: Gudrun Brockhaus (Hg.): Die Attraktion der Nazibewegung, Essen 2014, S. 231-249.

Empfohlene Zitierweise

Joachim Schröder: Geiselmord im Luitpoldgymnasium (publiziert am 18.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel?tx_nsdlexikon_pi3%5Baction%5D=show&tx_nsdlexikon_pi3%5Bcontroller%5D=Entry&tx_nsdlexikon_pi3%5Bentry%5D=925&cHash=8d0b64d477627d45567a75a839493e1f