Hans F. K. Günther (16.2.1891 Freiburg im Breisgau – 25.9.1968 ebenda)

Biographies
Verfasst von Elisabeth Kraus

Philologe, Anthropologe und führender Rassentheoretiker in der NS-Zeit

Hans Friedrich Karl Günther war der Sohn eines Musikers. Er studierte ab 1910 vergleichende Sprachwissenschaft und Germanistik, Anthropologie und Soziologie in Paris und Freiburg, wo er 1914 promoviert wurde. Nach Kriegsbeginn meldete er sich freiwillig zum Heer, wurde aber wenig später bereits wegen gesundheitlicher Probleme entlassen. Bis Kriegsende arbeitete er als freiwilliger Krankenpfleger beim Roten Kreuz. 1919 legte er die Kriegsteilnehmerprüfung für das höhere Lehramt in Karlsruhe ab. Er arbeitete danach an Gymnasien in Freiburg und Dresden, gab aber 1920 den Schuldienst auf. 1922 studierte Günther am Anthropologischen Institut der Universität Wien und bei dem Anthropologen Theodor Mollison in Breslau. Im Auftrag von Julius Friedrich Lehmann, Inhaber des führenden Verlags der extremen Rechten in München, verfasste Günther die Schrift Rassenkunde des deutschen Volkes, die 1922 erschien und fortan hohe Auflagen erzielte.

Von 1922 bis 1928 lebte er in Norwegen und Schweden und bearbeitete Aufträge von Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem schwedischen Staatsinstitut für Rassenbiologie. In Norwegen hatte Günther Kontakt zum Führer der norwegischen Faschisten Vidkun Quisling und über den völkischen Schriftsteller Paul Schultze-Naumburg zu den späteren NS-Funktionären Richard Walter Darré und Baldur von Schirach. In diesen Jahren veröffentlichte Günther zahlreiche Abhandlungen zur sog. ‚Rassenkunde‘. 1928 übersiedelte er nach Dresden, wo er als Hilfslehrer an einem Gymnasium tätig war.

Am 16.5.1930 berief Wilhelm Frick, Staatsminister für Inneres und Volksbildung in Thüringen und somit der erste Minister der NSDAP in der Zeit der Weimarer Republik, den nichthabilitierten Philologen Günther auf einen neu geschaffenen Lehrstuhl für Sozialanthropologie der Universität Jena – entgegen den ausdrücklichen und einstimmigen Protesten von Rektor und Senat. Die Berufung Günthers als ordentlicher Professor ist das früheste Fallbeispiel für die Berufungspolitik der Nationalsozialisten, die in der Regel politisch-ideologische Zuverlässigkeit der fachlichen Qualifikation vorzogen. Am 15.11.1930 hielt Günther seine Antrittsvorlesung „Über die Ursachen des Rassenwandels der Bevölkerung Deutschlands seit der Völkerwanderungszeit“ in Anwesenheit von Frick, Göring und Hitler. Seit 1932 war Günther Mitglied der NSDAP, seit 1933 Mitglied im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik beim Reichsinnenminister, seit 1935 Mitglied im Beirat des ‚Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands‘.

Im April 1935 wurde er ordentlicher Professor für ‚Rassenkunde, Völkerbiologie und ländliche Soziologie‘ an der Universität Berlin. 1939 erhielt er einen Ruf an die Universität Freiburg und wurde dort Leiter des ‚Instituts für Rassenkunde und Bauerntumsforschung‘. Günther, der stark beeinflusst war von den Anschauungen etwa Houston Stewart Chamberlains von der kulturellen Überlegenheit der ‚nordischen Rasse‘ und der Abträglichkeit der ‚Rassenmischung‘, erhielt in der Zeit des Nationalsozialismus zahlreiche Ehrungen: 1935 als erster den Preis der NSDAP für Wissenschaften, 1941 die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft, im gleichen Jahr auch das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP.

Jeder der von ihm beschriebenen Rassetypen, wie etwa der „nordischen“, der „westischen“, der „ostischen“ oder der „dinarischen“ Rasse, wies Günther bestimmte seelische Eigenschaften zu, die gemeinsam mit den äußerlichen Rassemerkmalen vererbt würden. Dabei entwickelte er im Laufe seiner nationalsozialistischen Karriere eine „Wertigkeitsskala“ der unterschiedlichen ‚Rassen‘. Für ihn war die „nordische“ Rasse die höchstentwickelte, deren Bestand er auch am meisten gefährdet sah. Seine Theorien wurden zeitweise zur maßgeblichen ideologischen Grundlage der nationalsozialistischen Rassenpolitik, die nicht nur zum Holocaust an den Juden*Jüdinnen und den Völkermord an den als ‚Zigeuner‘ Verfolgten, sondern auch zur Ermordung zahlloser Angehöriger der als ‚minderwertig‘ bezeichneten slawischen Völker führte.

Nach der Zerstörung des Freiburger Instituts und seiner Wohnung 1944 übersiedelte Günther nach Weimar, kehrte jedoch im Sommer 1945 nach Freiburg zurück. Im September 1945 wurde er durch die französische Besatzungsmacht aus der Universität entlassen und verbrachte die Jahre bis 1948 in Gefängnis- und Internierungshaft. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er zunächst als ‚Minderbelasteter‘ eingruppiert, 1951 zum ‚Mitläufer‘ herabgestuft. Im November 1951 versetzte ihn die Badische Regierung in den Ruhestand.

In den Folgejahren nahm Günther seine publizistische Tätigkeit wieder auf und verfasste in seinen Wohnorten im Breisgau einige Schriften, in denen er z.B. vor der Heirat mit „Zuckerkranken, Frauenrechtlerinnen und Gewohnheitstrinkern“ warnte oder einen „Begabungsschwund“ in Europa konstatierte, weil sich die „sittlich Haltlosen“ unkontrolliert, die Begabten jedoch viel zu selten fortpflanzten. Bis an sein Lebensende verharmloste er die nationalsozialistischen Verbrechen, nahm nichts von seinen Rasse-Theorien zurück und zeigte keinerlei Reue angesichts der durch seine intellektuelle Mittäterschaft verursachten zahllosen Opfer.

Quellen

Grüttner, Michael: Biographisches Lexikon zur nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik, Heidelberg 2004, S. 66.
Horst, Ferdinand: Hans Friedrich Karl Günther, in: Baden-Württembergische Biographien 2, S. 176-180; https://www.leo-bw.de/detail/-/Detail/details/PERSON/kgl_biographien/118698923/G%C3%BCnther+Hans+Fri... (zuletzt abgerufen am 30.1.2024).
Hoßfeld, Uwe: Von der Rassenkunde, Rassenhygiene und biologischen Erbstatistik zur Synthetischen Theorie der Evolution: Eine Skizze der Biowissenschaften, in: „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, hg. v. Uwe Hoßfeld u.a., Köln 2003, S. 519-574.

Empfohlene Zitierweise

Elisabeth Kraus: Günther, Hans (publiziert am 09.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/guenther-hans-296