Justiz und Polizei während des Zweiten Weltkriegs

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Verfasst von Joachim Schröder

Verschärfung von Terror und Verfolgung 1939 bis 1945

Das NS-Regime hatte sich von Anfang an auf einen mit unbeschränkten Befugnissen ausgestatteten Terrorapparat gestützt. Die Gestapo bildete den Kern des Verfolgungsnetzwerks, aber sie wurde von Polizei und Justiz ebenso unterstützt wie von der NSDAP und ihren Untergliederungen sowie von Teilen der Verwaltung. Auch die Denunziationsbereitschaft mancher „Volksgenossen“ war eine wesentliche Grundlage für die Arbeit von Polizei und Gestapo. Mit Kriegsbeginn kam diesem Apparat die Aufgabe zu, die Disziplin an der „Heimatfront“ aufrecht zu erhalten. Nie wieder sollten, wie im Ersten Weltkrieg, innere Unruhen die Kriegsführung beeinträchtigen, ein „November 1918“ sollte sich niemals wiederholen.

Folglich ergriff das Regime schon im September 1939 verschiedene Maßnahmen, die den Terror drastisch verschärften. Nach Reinhard Heydrichs Erlass vom 3.9.1939 über die „Grundsätze der inneren Staatssicherung während des Krieges“ war jede defätistische Äußerung rücksichtslos zu verfolgen. Neue Gesetze und Verordnungen wie die „Kriegswirtschaftsverordnung“ (4.9.1939) oder die „Verordnung gegen Volksschädlinge“ (5.9.1939) wurden eingeführt. Wer der Arbeit fernblieb oder der „Bummelei“ bezichtigt wurde, dem drohte mehrwöchige Haft in einem „Arbeitserziehungslager“.

Radikalisierte Kriegsführung nach dem Überfall auf die Sowjetunion
Eine weitere Steigerung des NS-Terrors war nach dem Überfall auf die Sowjetunion zu beobachten. So wurde der berüchtigte „Kommissarbefehl“ auch auf die in deutschen Lagern befindlichen sowjetischen Kriegsgefangenen angewandt. Wer als besonders gefährlich oder als „untragbar“ galt, wurde ermordet: politische Kommissare, Juden, Kommunisten, Angehörige der Intelligenz oder auch kranke Gefangene. Ein Kommando der Münchner Gestapo sonderte ab September 1941 im Kriegsgefangenenlager Moosburg etwa 480 sowjetische Gefangene als „untragbare Elemente“ aus. Mehr als 300 von ihnen wurden auf dem Schießplatz der SS in der Nähe des KZ Dachau erschossen. Dann verhinderte ein Wehrmachtsoffizier, Hauptmann Karl Meinel, der dieses Vorgehen für ungesetzlich hielt, die Auslieferung weiterer Gefangener an die Gestapo. Erst unter Druck des Höheren SS- und Polizeiführers SS-Obergruppenführer Karl von Eberstein und des Reichssicherheitshauptamtes erfolgte die Auslieferung der meisten ausgesonderten Gefangenen.

Kriegswende 1942 – Eskalation des Terrors

Eine maßgebliche Ursache für die weiter steigende Repression war die aus der Sicht des Regimes drastische Verschlechterung der Kriegslage. Der schnelle Sieg an der Ostfront blieb aus, immer höhere Verluste waren zu beklagen. Nach der Niederlage von Stalingrad Anfang 1943 wurde der Sieg immer unwahrscheinlicher, doch niemand durfte daran öffentlich zweifeln. Gestapo und Polizei gingen gnadenlos gegen jedes Anzeichen von Defätismus vor. Es häuften sich die Anzeigen und Gerichtsurteile wegen „Wehrkraftzersetzung“, „Heimtücke“-Vergehen oder Verstoßes gegen die „Volksschädlingsverordnung“, die vor dem Münchner Sondergericht abgeurteilt wurden. Etwa 6.300 Menschen wurden von 1939 bis Kriegsende angeklagt, 279 zum Tode verurteilt.

Die explosive Dynamik des Terrors ab 1942 lässt sich auch an der Zahl der in der Münchner Haftanstalt Stadelheim Hingerichteten ablesen. Sie stieg von 1940 bis 1944 stark und kontinuierlich an. Von den in der Zeit des Zweiten Weltkiregs in Stadelheim Hingerichteten waren fast die Hälfte Ausländer*innen, darunter knapp 200 Pol*innen. Diese Entwicklung war trotz des Umstandes zu verzeichnen, dass insbesondere polnische und sowjetische Zwangsarbeiter*innen ab November 1942 nicht mehr der normalen Gerichtsbarkeit unterstanden, sondern direkt der Gestapo.


Die Aussonderung von Gefangenen im Gefängnis München-Stadelheim – Terror gegen ausländische Zwangsarbeiter*innen

Die Unterstellung polnischer und sowjetischer Zwangsarbeiter*innen unter Polizeigewalt ging auf eine im September 1942 getroffene Vereinbarung zwischen dem gerade neu ernannten Reichsjustizminister Otto-Georg Thierack und Heinrich Himmler, dem Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, zurück. Die Gerichte sollten entlastet und die osteuropäischen Zwangsarbeiter*innen noch schneller belangt werden können. Thierack war von Hitler zudem ermahnt worden, dass es zu einer Wiederholung der Ereignisse von 1918 kommen könne, wenn man „Strolche“ und „Gauner“ in den Strafanstalten am Leben lasse (Wachsmann, S. 309). Daher beschlossen Himmler und Thierack, dass bestimmte Gruppen von Justizgefangenen dem Reichsführer SS übergeben werden sollten, zur „Vernichtung durch Arbeit“ in einem Konzentrationslager. Betroffen waren u.a. Russ*innen, Ukrainer*innen, Pol*innen, Juden*Jüdinnen, Sinti*zze und Rom*nja und mehrfach bestrafte „Gewohnheitsverbrecher“. In München-Stadelheim wurden die Gefangenen im Januar 1943 ausgesondert und in Konzentrationslager eingewiesen. Jüdische Gefangene wurden nach Auschwitz deportiert und dort umgehend ermordet – die Zahl der Opfer dieser Aktion ist bis heute unbekannt.

Die in immer größerer Zahl in der Stadt lebenden ausländischen Zwangsarbeiter*innen wurden von Gestapo und Polizei als ein politisches und „völkisches“ Sicherheitsrisiko wahrgenommen. Ihre Überwachung und Disziplinierung bestimmte zunehmend den Arbeitsalltag der Gestapobeamten. Aber auch gewöhnliche Polizeibeamte kontrollierten die ausländischen Zwangsarbeiter*innen. Einen weiteren Teil des engmaschigen Überwachungsnetzes bildeten Werkschutzangehörige, in größeren Betrieben „Sicherheitsbeauftragte“, die von Gestapobeamten ausgesucht und geschult wurden, Betriebsführer*innen und Lagerleiter*innen. Hunderte Zwangsarbeiter*innen wurden wegen „Arbeitsbummelei“, „Arbeitsvertragsbruchs“ oder „unerlaubter Entfernung von der Arbeitsstelle“ in die Arbeitserziehungslager Moosach (Männer) und Berg am Laim (Frauen) sowie in das KZ Dachau eingewiesen – auch hier sind genaue Zahlen unbekannt. In schwerwiegenden Fällen, etwa beim Vorwurf der Sabotage oder bei Gewaltdelikten, wurden „fliegende Standgerichte“ der Münchner Gestapo aktiv. Sie exekutierten in den Jahren von 1942 bis 1945 mindestens 55 polnische oder sowjetische Zwangsarbeiter*innen in München und im Umland. Für eine solche „Sonderbehandlung“ war kein Richterspruch erforderlich. Diese wurde von der Münchner Gestapo beim Reichssicherheitshauptamt in Berlin jeweils durch einen bürokratischen Vorgang beantragt.

Mord und Terror bis zum Ende
In den letzten Kriegsmonaten versuchte die Gestapo, das Auseinanderbrechen der von Bombenangriffen und Zerstörungen zermürbten Kriegsgesellschaft durch einen noch weiter gesteigerten Terror aufzuhalten. So wurden etwa im Winter 1944/45 fünf osteuropäische Zwangsarbeiter wegen „Plünderung“ im Hof des bereits schwer beschädigten Wittelsbacher Palais erhängt. Noch am 29.3.1945 überwies die Gestapo nach einem Bombenangriff in Mühldorf einen Bauhilfsarbeiter, der für die Organisation Todt bei Aufräumarbeiten eingesetzt war und ein Hemd und zwei Bettlaken aus den Trümmern gezogen hatte, dem Münchner Sondergericht, das umgehend das Todesurteil fällte. Seit Februar 1945 herrschte in Südbayern das Standrecht. Auch Standgerichte der Wehrmacht beteiligten sich an den Verbrechen der Endphase des Krieges, in der die Anhänger*innen des Regimes um jeden Preis eine Kapitulation verhindern wollen.

Quellen

Staatsarchiv München, Staatsanwaltschaften, Nr. 17439.
Eiber, Ludwig: Liebe und Tod. Frauen und Deserteure, in: Buchholz, Marlis u.a. (Hg.): Nationalsozialismus und Region. Festschrift für Herbert Obenaus zum 65. Geburtstag, Bielefeld 1996, S. 241-257.
Hammermann, Gabriele / Riedle, Andrea (Hg.): Der Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem SS-Schießplatz Hebertshausen, Göttingen 2020.
Heusler, Andreas: Prävention durch Terror. Die Gestapo und die Kontrolle der ausländischen Zwangsarbeiter am Beispiel Münchens, in: Paul, Gerhard/Mallmann, Klaus-Michael (Hg.): Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg. „Heimatfront“ und besetztes Europa, Darmstadt 2000, S. 222-236.
Keller, Sven: Volksgemeinschaft am Ende. Gesellschaft und Gewalt 1944/45, München 2013.
Otto, Reinhard: Wehrmacht, Gestapo und sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Reichsgebiet 1941/42, München 1998.
Ranft, Jenny: Dr. Richard Lebküchner – der „Tyrann der Münchner Gestapo“, in: Krauss, Marita (Hg.): Rechte Karrieren in München. Von der Weimarer Zeit bis in die Nachkriegsjahre, München 2010, S. 262-278.
Schröder, Joachim: Die Münchner Polizei und der Nationalsozialismus, München 2013.
Wachsmann, Nikolaus: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006.

Empfohlene Zitierweise

Joachim Schröder: Justiz und Polizei während des Zweiten Weltkriegs (publiziert am 30.01.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/justiz-und-polizei-waehrend-des-zweiten-weltkriegs-403