Kriegsverbrechen / Wehrmachtsverbrechen

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Verfasst von Edith Raim

Erläuterung des Begriffs und Schilderung deutscher Kriegsverbrechen am Beispiel des Umgangs mit Kriegsgefangenen

Kriegerische Handlungen berührten bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts im Regelfall vor allem die militärischen Kombattanten – die Zivilbevölkerung wurde zwar oft in Mitleidenschaft gezogen, doch betraf dies wegen der begrenzten Mobilität der Heere von einigen Ausnahmefällen abgesehen nur einen Bruchteil der Bevölkerung eines kriegführenden Landes. Das änderte sich mit dem Ersten Weltkrieg, in dem zwischen 1914 und 1918 etwa sieben Millionen Zivilist*innen durch Entbehrungen, Hunger und Krankheiten starben. Im Zweiten Weltkrieg überstieg die Zahl der zivilen Opfer die der militärischen Toten, weil die Ausweitung des Kriegs in ideologischer, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht ungeahnte Dimensionen für Zivilist*innen annahm.

Schon seit der Frühen Neuzeit bemühten sich Staaten um die Einhegung der kriegerischen Gewalt, indem sie das Gewaltmonopol für sich beanspruchten. Die fortschreitende Technisierung und Barbarisierung des Kriegs ließ schon im 19. Jahrhundert Bestrebungen aufkommen, allgemein anerkannte Regeln für die Kriegsführung zu fixieren. Dazu zählten die Einführung des Schutzes von Verwundeten unter dem Symbol des Roten Kreuzes ebenso wie völkerrechtliche Abkommen: 1907 wurden mit der Haager Landkriegsordnung bestimmte Waffen verboten, die Militärbesatzung für eroberte Territorien reglementiert sowie Zivilist*innen und Kriegsgefangene dem Schutz des Gegners empfohlen. Das Genfer Abkommen von 1929 galt erneut dem Schutz der Kriegsgefangenen und wurde von Deutschland 1934 anerkannt. Grundlage des Kriegsvölkerrechts war die Anerkennung gleicher Rechte der kriegsführenden Parteien. Gerade diese Idee der Gleichheit der Menschen lehnte der Nationalsozialismus mit seiner nationalistischen und rassistischen Ideologie und seiner Hierarchisierung der Menschen anhand ihrer Abstammung jedoch vollkommen ab.

Der Terminus des Kriegsverbrechens ist begrifflich unscharf, vielfach werden darunter alle nationalsozialistischen Verbrechen verstanden, also auch diejenigen, die vor Kriegsbeginn oder weit abseits des Kriegsgeschehens begangen wurden, teils auch alle völkerrechtlich strittigen Kriegshandlungen beider Kriegsparteien. Bis heute wird der Begriff auf eine Vielzahl von vergangenen und gegenwärtigen Strafhandlungen im Krieg angewandt. Strittig ist ebenso, welche militärischen Maßnahmen völkerrechtlich erlaubt beziehungsweise verboten sind. Als Kriegsverbrechen gilt vor allem die massenhafte Tötung unbeteiligter Zivilist*innen des Kriegsgegners, ebenso geächtet ist die Tötung Kriegsgefangener.

Das bekannteste Beispiel strittiger Beurteilung von Kriegshandlungen ist die Bombardierung großer Städte mit hunderttausenden zivilen Opfern, die von deutscher Seite 1939 in Polen begonnen wurde. Weitere Beispiele von Städten, die durch deutsche Bomben weitgehend verwüstet wurden, waren Belgrad, Coventry und Rotterdam. Ab 1943 wurden Städte des Reichs Opfer des alliierten Luftkriegs, von denen die Bombardierungen in Hamburg und Dresden die bekanntesten sind. Ebenfalls umstritten waren die Erschießung von Geiseln als Vergeltung oder auch die Torpedierung von Schiffen, die – von der einen Seite als Flüchtlingsschiff deklariert, von der gegnerischen Kriegspartei als Kriegstransporter angesehen – tausenden von Menschen auf offener See das Leben kosteten. Weniger bekannt ist die Belagerung von Städten als Problem des Völkerrechts. So wurde Leningrad von deutschen Truppen von Herbst 1941 bis Frühjahr 1944 belagert und gezielt ausgehungert; über eine Million Einwohner*innen verloren in dieser Zeit durch Hunger, Kälte und Beschuss ihr Leben.

Im Folgenden wird das komplexe Thema beispielhaft im Hinblick auf die regelwidrige Behandlung von Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam näher betrachtet. Schon mit dem ‚Blitzkrieg‘ gegen Polen begannen deutsche Verbrechen an polnischen Kriegsgefangenen. Während des Kriegs wurden vereinzelt polnische Soldaten nicht gefangen genommen, sondern sofort getötet. Auch serbische Kriegsgefangene wurden 1941 völkerrechtswidrig behandelt, Juden sofort ausgesondert und ermordet. Den zahlenmäßig größten Anteil an den Opfern deutscher Kriegsverbrechen hatten die sowjetischen Kriegsgefangenen. Bereits in der Planung des Kriegs gegen die Sowjetunion war der Hungertod weiter Teile der Bevölkerung angelegt und zahlreichen Gruppen wurde ohnehin jedes Lebensrecht abgesprochen. Der so genannte Kommissarbefehl, der am 6.6.1941 vom Oberkommando der Wehrmacht erging, besagte, dass politische Kommissare als Bolschewisten auszusondern und nicht als Kriegsgefangene anzusehen seien. Damit wurde ihnen der völkerrechtliche Schutzstatus für Kriegsgefangene verweigert. Unter so genannten Kommissaren verstand die Wehrmacht die Politoffiziere der Roten Armee, die für die politische Schulung der Soldaten zuständig waren. Gleichzeitig richtete sich dies auch gegen jüdische Menschen, weil in der nationalsozialistischen Ideologie Bolschewismus und Judentum stets untrennbar miteinander verbunden waren. Eine zweifelsfreie Identifizierung der Kommissare war weder möglich noch gewünscht: Die Wehrmacht orientierte sich an Abzeichen (Stern, Hammer und Sichel), die allerdings leicht entfernt werden konnten, beziehungsweise an Augenschein und Vermutungen.

Der Kommissarbefehl des Oberkommandos der Wehrmacht erreichte wohl die meisten deutschen Einheiten, er wurde jedoch nicht von allen Truppeneinheiten vollständig umgesetzt. Schätzungen gehen davon aus, dass 50 bis 60 % aller Einheiten so genannte Kommissare und Juden als ‚untragbar‘ aussonderten und sofort nach der Gefangennahme erschossen. Einige Einheiten legten den Befehl wohl so aus, dass alle Offiziere des Gegners ermordet wurden, in Einzelfällen wurden insbesondere weibliche Angehörige der Roten Armee getötet. Insgesamt wurden mindesten 150.000 jüdische und kommunistische Kriegsgefangene erschossen.

Die meisten sowjetischen Kriegsgefangenen kamen über Armeegefangenensammelstellen und Durchgangslager in Stamm- bzw. Offizierslager. Diese Stamm- und Offizierslager dienten dem dauerhaften Verbleib der Kriegsgefangenen und befanden sich vor allem in den besetzten Gebieten (‚Reichskommissariat Ostland‘, Ukraine, Polen) sowie in Deutschland und Österreich. Bereits auf dem Weg in die Lager, der zu Fuß erfolgte, verloren tausende erschöpfter Kriegsgefangener ihr Leben, Begleitmannschaften erschossen die Entkräfteten. Die Lager selbst waren völlig unzureichend ausgestattet, teils waren die Gefangenen unter freiem Himmel, teils in Erdhöhlen oder Zelten kaum geschützt der Witterung ausgesetzt. Die medizinische Versorgung war außerordentlich mangelhaft. Ab September 1941 verschlechterte sich die Situation, weil die Wehrmacht angesichts der zu erwartenden langen Kriegsdauer die Essensrationen radikal kürzte. Der Generalquartiermeister des Heeres Eduard Wagner ordnete an, nicht arbeitende Kriegsgefangene verhungern zu lassen. Bereits geschwächte Menschen verhungerten daraufhin in bis dahin ungekanntem Ausmaß: Allein bis Frühjahr 1942 starb mehr als die Hälfte der 3,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die bis dahin in deutsche Hand geraten waren, und das Massensterben setzte sich noch bis Frühjahr 1943 fort. Mindestens 2,5 Millionen sowjetische Kriegsgefangene verloren auf diese Weise ihr Leben in deutschen Lagern. Verantwortlich für ihre Behandlung war die Wehrmacht. Selbst diejenigen Kriegsgefangenen, die als arbeitsfähig ins Reich abtransportiert wurden, waren weiter in unmittelbarer Todesgefahr. In den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen wurden Rotarmisten, insbesondere jüdischer Herkunft, zu tausenden teils in eigens zu diesem Zweck konstruierten Genickschussanlagen ermordet. Die Menschen wurden bis zuletzt getäuscht: Zur vorgeblichen Messung ihrer Körpergröße mussten sie sich jeweils einzeln an einer Meßlatte aufstellen, wurden aber dann von hinten erschossen. Andere fielen den elenden Bedingungen in den Lagern oder Exekutionen zum Opfer. Insgesamt starben drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, die in deutsche Gefangenschaft geraten waren.

Nach dem Sturz Benito Mussolinis und der Kapitulation Italiens gegenüber den Westalliierten nahm die deutsche Wehrmacht auch die Soldaten dieses vormals verbündeten Staates in Gefangenschaft. Auch sie kamen nicht unter den Schutz des Völkerrechts und wurden nicht als Kriegsgefangene behandelt. Ein Teil der italienischen Kriegsgefangenen wurde sofort nach ihrer Entwaffnung erschossen. Andere wurden zur Zwangsarbeit ins Reich oder in die besetzten Ostgebiete verschleppt. Die schlechte Behandlung führte zu einer hohen Todesquote: Von etwa 725.000 ‚Italienischen Militärinternierten‘ starben bis 1945 etwa 50.000. Westalliierte Kriegsgefangene wurden im Regelfall besser behandelt, da die Deutschen fürchteten, dass sonst deutsche Kriegsgefangene in britischer oder amerikanischer Gefangenschaft Opfer von Vergeltungsmaßnahmen würden. Dies galt allerdings nicht für ‚farbige‘ Kriegsgefangene, die oft sehr schlecht behandelt wurden beziehungsweise massakriert wurden. Ausschreitungen gab es aber auch gegenüber anderen Soldaten der Westalliierten, insbesondere anlässlich der Landung der Alliierten in der Normandie und anlässlich der deutschen Ardennenoffensive im Dezember 1944 in Malmedy, als SS-Angehörige amerikanische Kriegsgefangene ermordeten. Westalliierte Kriegsgefangene, die aus Lagern ausbrachen, fielen teils ebenfalls Erschießungen zum Opfer wie etwa die Flüchtigen aus dem Lager Sagan. Gegen Kriegsende wurden in Einzelfällen jüdische amerikanische Kriegsgefangene ausgesondert und kamen in Außenlager von Konzentrationslagern. Rassistische Kriterien dominierten bis zuletzt die Behandlung von Kriegsgefangenen.

Quellen

Hartmann, Christian/Hürter, Johannes/Jureit, Johannes (Hg.): Verbrechen der Wehrmacht. Bilanz einer Debatte, München 2005.
Keller, Rolf: Sowjetische Kriegsgefangene im Deutschen Reich 1941/42. Behandlung und Arbeitseinsatz zwischen Vernichtungspolitik und kriegswirtschaftlichen Zwängen, Göttingen 2011.
Pohl, Dieter: Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933-1945, Darmstadt 2003.
Streit, Christian: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, Bonn 1997.
Ueberschär, Gerd: Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003.

Empfohlene Zitierweise

Edith Raim: Kriegsverbrechen / Wehrmachtsverbrechen (publiziert am 13.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/kriegsverbrechen-wehrmachtsverbrechen-465