Luftschutz als Bestandteil des repressiven Systems

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Verfasst von Andreas Heusler

Schutz vor Luftangriffen gab es nicht für alle Menschen, er war das Privileg der ‚Volksgenoss*innen‘

Einlasskarte für den Luftschutzbunker an der Wilhelm-Tell-Straße, undatiert | Stadtarchiv München, ZS- 226-2-01

Der Krieg verschärfte innergesellschaftliche Verteilungskämpfe um die immer knapper werdenden Güter des täglichen Bedarfs. Die Verwaltung des Mangels beschleunigte die Dynamik von Ausgrenzung, Benachteiligung und Verfolgung. Dazu gehörte auch die Möglichkeit, sich vor den tödlichen Luftangriffen der alliierten Bomberflotten in Sicherheit bringen zu können. Subsistenzsicherung und Luftschutz folgten einem perfiden System aus Privilegierungen und Diskriminierungen. ‚Gemeinschaftsfremde‘ wie Juden*Jüdinnen oder Zwangsarbeiter*innen erhielten deutlich weniger als diejenigen, die der ‚Volksgemeinschaft‘ zugerechnet wurden. Der Zugang zu lebensnotwendigen und lebensrettenden Ressourcen wurde gesteuert und erfolgte auf Kosten und zu Lasten ausgegrenzter Gruppen und Einzelpersonen.

Der von der NS-Propaganda gebetsmühlenhaft geforderte ‚Luftschutz‘ erwies sich in München als Illusion. Während der 1930er-Jahre hatte man den Bau von ausreichenden Schutzräumen für die Münchner Großstadtbevölkerung sträflich vernachlässigt. Bei Kriegsausbruch war von den projektierten Bunkeranlagen nur ein kleiner Teil fertig und nutzbar. Die Münchner*innen spürten von diesen Versäumnissen in den ersten drei Kriegsjahren kaum etwas, denn die alliierten Bomberverbände waren bis 1942/43 nicht in der Lage, die Hauptstadt Bayerns, die auch als ‚Luftschutzkeller der Reiches‘ bezeichnet wurde, anzufliegen und wirkungsvoll zu bombardieren. Eine verbesserte Motorenleistung und Navigationstechnologie rückte seit Ende 1943 aber auch München in die Reichweite der britischen und US-amerikanischen Verbände, die München nun als ein vorrangiges strategisches Ziel definierten. Als Verkehrsknotenpunkt im süddeutschen Raum besaß die Stadt eine wichtige logistische Funktion. Auch die in München befindlichen industriellen Anlagen, die insbesondere für die deutsche Luftrüstung zentrale Bedeutung hatten, machten die Stadt für die Alliierten zu einem Kriegsziel mit hoher Priorität.

Als Geburtsort der NS-Bewegung und als ‚Hauptstadt der Bewegung‘ war München zudem mehr als andere deutsche Städte ein Ort von herausragender Bedeutung für das Selbstverständnis des NS-Regimes und seiner Elite. München zu treffen und hier, wo sich die NSDAP mit wichtigen Verwaltungs- und Repräsentationsbauten großspurig inszenierte, sichtbare und nachhaltige Zerstörungen zu hinterlassen, bedeutete für die alliierten Strategen symbolische Erfolge von beträchtlichem Wert. In einem wütenden Brief an den Reichsstatthalter Franz von Epp kritisierte ein*e anonyme*r Schreiber*in am 22. September 1942 die unzureichende Bereitstellung von Schutzräumen und benannte die damit verbundenen Gefahren für die Zivilbevölkerung: „Empörend und himmelschreiend ist es, wie man uns wehrlos, ohne die mindesten wirklichen Schutzmaßnahmen den Fliegern preisgibt! Da sind Parteibauten und Hitlerjugendheime gebaut worden, die Herren Bonzen haben die schönsten Häuser für sich gebaut, aber wo sind die feuerfesten und bombensicheren Bunker??? Da macht man Kriegspolitik und faselt von Luftschutz seit 1933 und wußte ja auch schon damals ganz genau, dass man den Krieg wollte, obgleich die verlogenen Reden gewisser Leute das Gegenteil behaupten, aber wo ist die genügende Flakabwehr?“ (zit. nach Haerendel, S. 392)

Zu einer lebensbedrohlichen Gefahr wurden die Luftangriffe insbesondere für jene Menschen, die nach Auffassung der NS-Ideologen außerhalb der ‚Volksgemeinschaft‘ standen. Ihnen wurde der Zugang zu den rettenden Schutzräumen und Bunkeranlagen vielfach verweigert, denn deutsche Schutzsuchende genossen Priorität. Zu den sogenannten Gemeinschaftsfremden gehörten vor allem jüdische Münchner*innen, von denen bis Kriegsende noch viele in der Stadt lebten. Sie waren mit eine*m nichtjüdischen Ehepartner*in verheiratet oder stammten aus einer sogenannten ‚Mischehe‘ und waren daher bislang noch nicht deportiert worden. Aber auch die zahllosen ausländischen Zwangsarbeiter*innen hatten meist keine Möglichkeit, bei Fliegeralarm die begehrten und für eine Großstadtbevölkerung viel zu knapp bemessenen Schutzräume aufzusuchen. Dieses Vorrecht blieb deutschen ‚Volksgenossen‘ vorbehalten. Die ausländischen Arbeitskräfte waren in heruntergekommenen Lagern, baufälligen Baracken und Ruinen untergebracht – oft in unmittelbarer Nähe von Industriebetrieben, den bevorzugten Zielen der alliierten Bomber. Sie hausten unter primitivsten Verhältnissen, waren jeder Witterung ausgesetzt. Vielfach ohne ausreichende Versorgung mit dem Notwendigsten waren sie bei der Befriedigung der elementarsten Lebensbedürfnisse auf sich allein gestellt. Abgesehen von provisorischen Splitterschutzgräben blieben sie meist ungeschützt und daher permanent bedroht von feindlichen Bombergeschwadern, die ab 1944 ungehindert auch am hellen Tag die Stadt überquerten und ihre Bomben abwarfen. Die ausländischen Männer, Frauen und Kinder waren die Hauptleidtragenden der alliierten Bombenangriffe. Ihr Anteil an den Luftkriegsopfern war verhältnismäßig hoch. Große Teile der einheimischen Bevölkerung waren dagegen in vergleichsweise sichere Behelfsheime und Privatunterkünfte im oberbayerischen Umland evakuiert worden.

Es waren vor allem Häftlinge aus dem nahegelegenen Konzentrationslager Dachau, die zur Bombenräumung und Blindgängerbeseitigung herangezogen wurden. Diese lebensgefährliche Arbeit, die dem Schutz der Münchner Zivilbevölkerung diente und die Wiederinstandsetzung von Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen erst ermöglichte, forderte zahlreiche Menschenleben. Schutträumung und Möbelbergung wurden zu einem beträchtlichen Teil von ausländischen Arbeitskräften geleistet. Auch diese Arbeiten waren extrem schwierig und riskant.

Quellen

Bauer, Richard: Fliegeralarm. Luftangriffe auf München 1940 – 1945, München 1987.
Haerendel, Ulrike: Das Rathaus unterm Hakenkreuz. Aufstieg und Ende der „Hauptstadt der Bewegung“ 1933 bis 1945, in: Richard Bauer (Hg.): Geschichte der Stadt München, München 1992.
Kramer, Nicole: „Volksgenossinnen“ an der „Heimatfront“. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung, Göttingen 2011.
Richardi, Hans-Günther: Leben auf Abruf. Das Blindgängerbeseitigungs-Kommando aus dem KL Dachau in München 1944/45, Dachau 1989.

Empfohlene Zitierweise

Andreas Heusler: Luftschutz (publiziert am 14.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/luftschutz-521