Ludwig Müller (23.6.1883 Gütersloh – 31.7.1945 Berlin)

Biographies
Verfasst von Thomas Martin Schneider

Evangelischer Militärpfarrer, Gründungsmitglied der nationalsozialistischen Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ (DC), preußischer Landesbischof und Reichsbischof der Deutschen Evangelischen Kirche während der NS-Zeit

Als Sohn eines Eisenbahnbeamten wuchs (Johann Heinrich) Ludwig Müller in Ostwestfalen in einem von der Erweckungsbewegung geprägten nationalprotestantischen Milieu auf. Nach dem Abitur studierte er in Halle an der Saale und Bonn Evangelische Theologie und übernahm 1908 ein Gemeindepfarramt in Rödinghausen (Kreis Herford). Dort heiratete er die Tochter eines wohlhabenden Cuxhavener Kaufmanns, mit der er zwei Kinder hatte. Unmittelbar vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er Marinepfarrer in Wilhelmshaven und war dann an Kriegsschauplätzen in Flandern und in der Türkei eingesetzt.

Nach dem Krieg blieb er Marinepfarrer, zunächst in Cuxhaven und ab 1920 als Marineoberpfarrer wiederum in Wilhelmshaven, wo er die Ortsgruppe des „Stahlhelm“ mitbegründete und die Garnisonkirche zu einer Art Ruhmeshalle für die kaiserliche Marine umgestaltete. 1926 wurde er zum Wehrkreispfarrer in Königsberg befördert. Dort lernte er, wahrscheinlich im Jahre 1927, Adolf Hitler persönlich kennen, der während einer Propagandareise Gast in seinem Hause war, und wurde dessen Anhänger. Erfolgreich warb er unter den ostpreußischen Offizieren für Hitler, u.a. den Wehrkreisbefehlshaber Werner von Blomberg, Hitlers späteren Kriegsminister.

1931 trat Müller der NSDAP bei. 1932 war er Mitbegründer der nationalsozialistischen Kirchenpartei der DC, wurde Mitglied von deren Reichsleitung und ostpreußischer Provinzialleiter. Im April 1933 ernannte Hitler Müller zu seinem persönlichen „Bevollmächtigten für die Angelegenheiten der evangelischen Kirche“. Nachdem sich die Landeskirchenvertreter zunächst gegen Müller und für den angesehenen Leiter der Betheler Anstalten, Friedrich von Bodelschwingh d.J., als Reichsbischof der geplanten einheitlichen evangelischen Reichskirche, der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK), entschieden hatten, gelangte Müller mit massiver Unterstützung des NS-Regimes, das Bodelschwingh zum Rücktritt nötigte und im Juli 1933 allgemeine Kirchenwahlen anordnete, schließlich doch an sein Ziel. Von den DC dominierte Synoden wählten Müller im August 1933 zunächst zum preußischen Landesbischof und im September zum Reichsbischof.

Seine Bemühungen um Gleichschaltung der Kirche, etwa durch Einführung eines kirchlichen „Arierparagrafen“, stießen schon bald auf innerkirchlichen Widerstand, der zur allmählichen Formierung der Bekennenden Kirche führte. Diese erhob seit April 1934 den Anspruch, die „rechtmäßige Evangelische Kirche Deutschlands“ zu sein (Ulmer Erklärung), und verabschiedete auf der ersten Reichsbekenntnissynode im Mai 1934 die Barmer Theologische Erklärung als ihr theologisches Fundament. Radikalen Mitgliedern der DC indes gingen Müllers Anstrengungen um Gleichschaltung nicht weit genug. Müller – eitel und karrierebewusst, mit seinen Leitungsaufgaben aber völlig überfordert und sich geradezu in Krankheiten flüchtend – geriet zwischen die Fronten und sah sich genötigt, nach dem Skandal einer radikalen DC-Kundgebung im Berliner Sportpalast im November 1933 die DC-Schirmherrschaft niederzulegen, wodurch er allerdings zugleich seine Machtbasis einbüßte.

Auch die Unterstützung des NS-Regimes verlor Müller zunehmend, da sich dieses zumindest offiziell auf einen kirchen- und religionspolitischen Neutralitätskurs zurückzog. Müller versuchte seine Stellung durch die Eingliederung der evangelischen Jugendverbände in die Hitlerjugend, die harte Disziplinierung oppositioneller Geistlicher, die Gleichschaltung der Landeskirchen mit der Reichskirche und die Errichtung einer regelrechten Reichsbischofsdiktatur zu retten. Bei einem Kanzlerempfang von DC-Kirchenführern und Vertretern der kirchlichen Opposition im Januar 1934 stärkte Hitler Müller noch einmal den Rücken. Da aber der Streit in der evangelischen Kirche immer weiter eskalierte und im In- und Ausland für Unruhe sorgte, ließ Hitler Müller im Herbst 1934 fallen und sorgte im Sommer 1935 durch die Ernennung Hanns Kerrls zum „Reichskirchenminister“ für dessen faktische Entmachtung. Nominell amtierte der Reichsbischof bis zum Ende des NS-Staates weiter, sogar auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers. Dieser wollte anscheinend nicht offen zugeben, dass er sich in der Wahl Müllers, der seinen Erwartungen in keiner Weise entsprach, geirrt hatte.

Müller unternahm u.a. Vortragsrundreisen, wobei ihm häufig der Zutritt zu kirchlichen Gebäuden verwehrt wurde, und publizierte drei Schriften. 1936 erschien eine „Verdeutschung“ der Bergpredigt in die Sprache der Nationalsozialisten, zwei Jahre später folgte eine Art Glaubens- und Sittenlehre, in der er den rätselhaften Begriff des „positiven Christentums“ aus dem NSDAP-Parteiprogramm von 1920 mit Inhalt zu füllen versuchte, und 1939 veröffentlichte er ein Kriegsbuch mit Durchhalteparolen für die Wehrmacht.

Müller beherrschte die fromme Sprache seiner Heimat ebenso wie die militärische Sprache der Offizierskasinos. Ungeachtet seiner nationalistischen bzw. nationalsozialistischen politischen Gesinnung gab er sich zu Beginn der NS-Herrschaft vergleichsweise moderat und kirchlich, um als Reichsbischof für weite kirchliche Kreise akzeptabel zu sein. Mit dem raschen Verfall seiner Macht ab Ende 1933 radikalisierte er sich immer mehr, schloss sich den radikalen Thüringer DC an, die eine überkonfessionelle deutsche Nationalkirche anstrebten, und suchte auch den Anschluss an die sogenannten weltanschaulichen Distanzierungskräfte um Alfred Rosenberg, die den christlichen Glauben mehr oder weniger durch eine germanische Blut- und Bodenreligion ersetzen wollten. Nationalsozialistische politische und weltanschauliche Überzeugungen verdrängten in seinem Denken zunehmend traditionelle christliche Lehren und theologische Reflexionen. Auch sein schon in jungen Jahren nachweisbarer Antisemitismus wurde immer radikaler. Im Juli 1941 bat er in einem handschriftlichen Brief an Hitler, aus der Kirche austreten zu dürfen, weil er deren Lehre nicht mehr vertreten könne; Hitler ließ ihm mitteilen, dass er diesen Schritt nicht vollziehen solle. Unter nicht ganz geklärten Umständen starb Müller kurz nach Kriegsende in Berlin.

Quellen

Nicolaisen, Carsten: Müller, Ludwig, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 18 (1997), S. 454f. 
Ohst, Martin: Ludwig Müller (1883–1945). Reichsbischof ohne Kirche, in: Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte, Bd. 4: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Teilung Deutschlands, hg. v. Jürgen Kampmann, Frankfurt a.M. 2011, S. 211-237.
Schneider, Thomas Martin: Reichsbischof Ludwig Müller. Eine Untersuchung zu Leben, Werk und Persönlichkeit, Göttingen 1993 (= Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe B, Bd. 19). Schneider, Thomas Martin: Müller, Ludwig, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 6 (1993), Sp. 294-299.

Empfohlene Zitierweise

Thomas Martin Schneider: Müller, Ludwig (publiziert am 29.01.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/mueller-ludwig-566