Julie N. (1895 – 1935 Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar)

Biographies
Verfasst von Annette Eberle

Opfer der Zwangssterilisation in Verbindung mit einem Schwangerschaftsabbruch

Julie N. (Pseudonym) wurde 1895 geboren und arbeitete in München als Hausangestellte. Im Frühjahr 1935 musste sie sich einer Behandlung ihrer psychischen Krankheit im Schwabinger Krankenhaus unterziehen. Von dort wurde sie im März 1935 in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar überstellt, zugleich wurde ein Entmündigungsverfahren eingeleitet. Auch ein Antrag zur Zwangssterilisation war von den Ärzten gestellt worden. Bis zur endgültigen Entscheidung über die Entmündigung übernahm Diakon Wilhelm Dreher von der Inneren Mission München die vorläufige Vormundschaft. Am 28.5.1935 wurde er vor dem Amtsgericht München deswegen als Zeuge geladen. Einen Tag später erhielt er bereits die Nachricht, sein Mündel sei nach einer Operation verstorben.

Julie N. war in Eglfing-Haar trotz ihrer Schwangerschaft im siebten Monat dem vom Erbgesundheitsgericht München angeordneten Eingriff der Zwangsterilisation unterzogen worden. Gleichzeitig hatte der Operateur Dr. Gustav Scholten, ein bekannter Münchner Nationalsozialist und Freund des Reichsärzteführers Gerhard Wagner, einen Schwangerschaftsabbruch vorgenommen. Daraufhin stellte Diakon Dreher am 6.6.1935 bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht München eine Anzeige wegen fahrlässiger Tötung und Kindstötung, da man ihn nicht über den geplanten Eingriff informiert hatte. Zu den Gründen seiner Anzeige schrieb er: „Das Kind […] hat nach Aussage des Arztes mir gegenüber eine halbe Stunde gelebt und ist dann an den Folgen der vorzeitigen Entbindung, ohne Zweifel auch durch die Unterlassung geburtshilflicher Dienstleistungen gegenüber dem Neugeborenen, wie Reinigung der Atmungswege, Nabelbehandlung usw. gestorben. […] Nachdem das Kind im 8. Monat selbstverständlich lebte und auch lebensfähig war konnte das nur durch eine Tötungsabsicht ermöglicht werden“ (Schreiben von Diakon Dreher an die Staatsanwaltschaft München, 6.7.1935). Der Anzeige wurde keine Folge gegeben, Diakon Dreher aber zur Einschüchterung vom 27.7. bis 26.8. in Schutzhaft gesperrt. Julie N. wurde auf dem Friedhof der Heil- und Pflegeanstalt beigesetzt. Als einzige Angehörige war ihre Mutter, die in Primkenau in Niederschlesien lebte, informiert worden.

Quellen

Auszüge aus dem Schriftwechsel zwischen Innerer Mission und der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar wegen der Vormundschaft für [...], in: Aldebert, Heiner (Hg.): Randbemerkungen zur Geschichte der Inneren Mission München im „3. Reich“, unveröffentlichtes Manuskript.

Empfohlene Zitierweise

Annette Eberle: N., Julie (publiziert am 19.12.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/n-julie-584