Alfred Neumeyer (17.2.1867 München – 19.12.1944 Colonia Avigdor / Argentinien)

Biographies
Verfasst von Edith Raim

Staatsanwalt, Richter und Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde München

Alfred Neumeyer | StadtAM

Alfred Neumeyer wuchs in einer gutbürgerlichen jüdischen Familie in der Prannerstraße 24 auf; der Vater betrieb dort eine Manufakturhandlung. Die Familie hing der liberalen Glaubensrichtung an und führte keinen koscheren Haushalt. Über seinen Onkel Hermann, der viele Jahre der Israelitischen Kultusgemeinde München vorstand, wurde Alfred Neumeyer mit den Angelegenheiten der Gemeinde umfassend vertraut.

Alfred Neumeyer besuchte das humanistische Max-Gymnasium in München. Zu den Freund*innen seines zwei Jahre jüngeren Bruders Karl gehörte auch Karl Haushofer, der spätere Professor an der Münchner Universität und Vertreter der Geopolitik. Alfred Neumeyer schrieb sich in München und Berlin als Student der Rechtswissenschaften ein und hörte in Berlin Heinrich von Treitschkes Vorlesungen, wobei ihm dessen preußische und antisemitische Ausrichtung missfiel. 1889 wurde er in Heidelberg „cum laude“ zum Dr. iur. promoviert. Das Referendariat leistete er in Illertissen, München und Miesbach ab. Sein Bruder Karl schlug die wissenschaftliche Laufbahn ein und wurde Professor für Völker- und Verwaltungsrecht an der Universität München.

1893 heiratete Alfred Neumeyer Elise Lebrecht. Dem Ehepaar wurden vier Kinder, Hermann, Hedwig und die Zwillinge Karl und Ernst, geboren. Hermann beging vor dem Abitur Selbstmord, der von seiner Geburt an blinde Sohn Ernst stürzte als elfjähriger von einem Balkon und verletzte sich dabei tödlich, Hedwig starb 1929 nach einer Gallenoperation.

Seit 1893 war Alfred Neumeyer insgesamt über vierzig Jahre lang im bayerischen Justizdienst abwechselnd als Staatsanwalt und Richter tätig. 1902 war er Landgerichtsrat in München, 1910 Staatsanwalt am Oberlandesgericht Augsburg, ab 1919 Oberlandesgerichtsrat und ab 1929 Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht in München. Er trug maßgeblich zur Reform der noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden ‚Judengesetzgebung‘ in Bayern bei. Am 20.4.1920 wurde unter seiner Leitung der Verband der Bayerischen Israelitischen Gemeinden gegründet, dessen Satzung auch von Neumeyer stammte. Seit 1921 war er Vorsitzender des Verbands, ebenso von 1920 bis 1941 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde München. Dem bayerischen Modell eines Landesverbandes folgten später andere Israelitische Kultusgemeinden in anderen deutschen Bundesländern nach.

Durch Übereinkünfte mit den Landesregierungen wurde die Einziehung der Religionssteuern durch den Staat und damit eine administrative Entlastung der Kultusgemeinden erreicht, denen anschließend die Steuereinkünfte aus der Kongregation zur Verfügung gestellt wurden. Zum Freundeskreis des geselligen und umfassend gebildeten Alfred Neumeyer gehörten der Physiker Max Planck, der Neumeyer noch im Januar 1941 in Berlin besuchte, und der BVP-Politiker Wilhelm Merck. Auch war er mit Katja Pringsheim, der späteren Ehefrau von Thomas Mann bekannt. Von 1932 bis 1938 war er im Hauptvorstand des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens; 1933 beteiligte er sich an der Gründung der ‚Reichsvertretung der Juden in Deutschland‘.

Gegen die Verfolgung durch die Nationalsozialisten wehrte er sich als Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde München. So schrieb er in dieser Funktion auch an den Reichskommissar für Bayern, General Franz Xaver Ritter von Epp, am 31.3.1933 einen Brief, in dem er sich gegen die antisemitischen Vorwürfe der Nationalsozialisten verwahrte. Darin hieß es: „Wir können und wollen den Maßnahmen, die sich gegen uns wenden, nicht mit äußeren Mitteln entgegentreten. Aber wir werden sie standhaft ertragen im Bewußtsein, daß uns schweres Unrecht geschieht“ (Lamm, S. 431).

1938 musste er im Sommer den Abbruch der Münchner Hauptsynagoge und im November das Pogrom miterleben. Seine Verbindungen zu wichtigen Persönlichkeiten nutzte er, um auch mit Hilfe der ‚Reichszentrale für jüdische Auswanderung‘ den Weg vieler Gemeindemitglieder in die Emigration zu ebnen. Im Februar 1941 emigrierte er von Berlin aus mit seiner Frau über Frankreich und Spanien nach Argentinien, wo sein Sohn Karl, der schon 1938 ausgewandert war, eine Farm betrieb. Seine dort entstandenen Erinnerungen zählen zu den anschaulichsten Berichten von Verfolgung und Emigration Münchner Juden*Jüdinnen.

Sein Bruder Karl beging zusammen mit seiner Ehefrau am 17.7.1941 Selbstmord, nachdem er 1933 von der Universität zwangspensioniert worden war und dem Ehepaar durch die weiteren antisemitischen Schikanen der Verlust der Wohnung in der Königinstraße 35a und der Bibliothek drohte.

Quellen

Stadtarchiv München (Hg.): Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden 1933-1945, Bd. 2, München 2007.
Lamm, Hans (Hg.): Vergangene Tage. Jüdische Kultur in München, München u.a. 1982.
Menges, Franz: "Neumeyer, Alfred", in: Neue Deutsche Biographie, 19, 1999, S. 171 f. URL: <http://www.deutsche-biographie.de/ppn133450899.html> (zuletzt aufgerufen am 30.1.2024)
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Neumeyer, Alfred/ Neumeyer, Alexander Karl/Noy-Meir, Imanuel: „Wir wollen den Fluch in Segen verwandeln“. Drei Generationen der jüdischen Familie Neumeyer. Eine autobiografische Trilogie, Berlin 2007.

Empfohlene Zitierweise

Edith Raim: Neumeyer, Alfred (publiziert am 14.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/neumeyer-alfred-598