Ernestine Reinhardt (24.4.1925 Sendling, Gde. Ramerberg – 5.4.2000 Peißenberg)

Biographies
Verfasst von Sarah Grandke

Arbeiterin und verfolgte Sintizza

Ernestine Reinhardt, 1950 | LfF, LEA, EG 15 110

Ernestine Reinhardt lebte in der Nähe von Traunstein. Die Arbeiterin wurde Anfang März 1943 verhaftet, ins Polizeigefängnis München gebracht und kurz darauf ins ‚Zigeunerlager‘ Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie u.a. Straßenbauarbeiten verrichten musste. Im April 1944 erfolgte der Transport über das KZ Ravensbrück in das Außenlager Schlieben, wo Panzerfäuste und Granatmunition hergestellt wurden. Ab Sommer 1944 gehörte das Lager zum KZ-Komplex Buchenwald. Viele der dort Inhaftierten waren als ‚Zigeuner‘ verfolgte Personen. Ohne Schutzkleidung mussten sie extrem gesundheitsgefährdende Arbeiten mit Sprengstoff ausführen. Häufig kam es zu schweren Verletzungen. Im Oktober 1944 ereignete sich eine schwere Explosion, bei der über 100 Häftlinge starben.

Am 13.12.1944 ordnete die mit der Sicherheitspolizei kooperierende Politische Abteilung des KZ Buchenwald die Entlassung Ernestine Reinhardts an – ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Ernestine Reinhardt war die einzige als ‚Zigeunerin‘ Verfolgte, die kurz vor Ende des Krieges aus dem KZ Buchenwald frei kam. Nach der Entlassung musste sie sich sofort zu ihren Eltern nach Bayern begeben und dort Arbeit suchen.

In Nachkriegsdokumenten finden sich verschiedene Hinweise auf mögliche Entlassungsgründe. Zum einen soll ein neues Gutachten der ‚Rassenhygienischen Forschungsstelle‘ ergeben haben, dass Reinhardt nicht mehr als ‚Zigeunerin‘ zu gelten habe. Zum anderen soll sich der ehemalige Arbeitgeber wiederholt um die Entlassung von Ernestine Reinhardt bemüht haben.

Ernestine Reinhardt lebte nach dem Krieg in Oberbayern und gründete mit ihrem Mann Anton eine Familie.

Quellen

Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Fürstenberg/Havel, Anfrage vom 16.5.2013.
Landesamt für Finanzen, Landesentschädigungsamt München, Entschädigungsakte EG 15110.
Arolsen Archives, Korrespondenzakte T/D 93415; Häftlingspersonalkarte Ernestine Reinhardt, Buchenwald, 1.1.5.4/7691447#1-7691454#2/ITS Digital Archive; Entlassung zur Politischen Abteilung, Buchenwald, 1.1.5.1/5343322/ITS Digital Archive.
Seidel, Irmgard: Schlieben (Frauen), in: Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 3, München 2009, S. 560-563.

Empfohlene Zitierweise

Sarah Grandke: Reinhardt, Ernestine (publiziert am 08.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/reinhardt-ernestine-697