Martino Rivolta (1.6.1924 Cerano d'Intelvi, Lombardei, Italien – 21.5.2015 Cerano d'Intelvi)

Biographies
Verfasst von Federica Dalla Pria

Italienischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter im Reichsbahnausbesserungswerk Neuaubing

Martino Rivolta, 1944 in München für den Beschäftigungsausweis angefertigtes Foto | Privatbesitz

Martino Rivolta wurde 1924 als Sohn eines Maurers und einer Bäuerin in Cerano d'Intelvi (Provinz Como) geboren. Er machte eine Ausbildung als Tischler und arbeitete in einer Zimmerei. Am 28. August 1943 wurde er zum Militärdienst im Bataillon „Morbegno“ des 5. Alpini-Regiments eingezogen. Einen Tag nach der Verkündung des italienischen Waffenstillstands wurde er am 9. September 1943 gemeinsam mit seinen Kameraden von einer deutschen Einheit in Meran festgenommen. Sie mussten zu Fuß nach Bozen marschieren, wurden dort in Viehwaggons verladen und auf eine viertägige Reise nach Stablack in Ostpreußen (Stalag I A) geschickt. Dort war er zunächst zur Betreuung, Desinfektion und Rasur ankommender Kriegsgefangener und später zum Gütertransport zum Be- und Entladen eingeteilt.

Nach wenigen Wochen wurde Martino Rivolta, so erzählte er es seiner Familie, auf eine einwöchige Zugfahrt nach München geschickt und gemeinsam mit 160 anderen italienischen Kriegsgefangenen am 3. Dezember 1943 im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Neuaubing aufgenommen. Dort arbeitete er in seinem erlernten Beruf als Tischler. Er litt sehr unter der unzureichenden Verpflegung in Neuaubing, was er seiner Familie in Briefen mitteilte. Um die Zensur zu umgehen, benutzte er auf seinen Postkarten bewusst Dialektwörter, wie das lombardische „sgagnósa“ für Hunger. Er war nach eigenen Aussagen trotz aller Not ein zu Scherzen aufgelegter Mensch, der seine Kameraden in der Baracke unterhielt.

Im Frühjahr 1945, während eines Luftangriffs auf München, beschloss er gemeinsam mit seinem Freund Bruno Ortelli zu fliehen. Dies gelang, teils als blinder Passagiere auf einem Zug, teils zu Fuß. Unterwegs ernährten sie sich nach eigener Aussage von Gras, Schnecken und Kartoffeln. Nach zwölf Tagen erreichten sie Brescia, wo sie zunächst von Partisanen verhört und schließlich zur Behandlung ihrer geschundenen Füße in ein Krankenhaus gebracht wurden. Über Como und Valle d'Intelvi gelangte er nach Hause, verpasste aber den Vater, der aufgebrochen war, um seinen Sohn nach Hause zu bringen.

1952 heiratete Martino Rivolta seine Freundin Sara, mit der er sieben Kinder bekam. Die meiste Zeit seines Lebens arbeitete er
als Tischler in der Schweiz und pendelte am Wochenende nach Hause. Die Ablehnung seines Entschädigungsantrags enttäuschte ihn sehr. Erst in seinen letzten Lebensjahren wurde er in seiner Heimat für das Erlittene geehrt. Bei seiner Beerdigung im Mai 2015 las der Pfarrer aus Martino Rivoltas Erinnerungen an seine Zeit in München.

Quellen

Die Biographie basiert auf einem Interview mit Angehörigen der Familie Rivolta. Alle zitierten Dokumente befinden sich im Besitz der Familie.

Empfohlene Zitierweise

Federica Dalla Pria: Rivolta, Martino (publiziert am 31.01.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/rivolta-martino-706