Alfred Rosenberg (12.1.1893 Reval / Tallin - 16.10.1946 Nürnberg)

Biographies
Verfasst von Paul Hoser

Nationalsozialistischer Politiker, ‚Chefideologe‘ der NSDAP

Alfred Rosenberg, Aufnahme von 1920 | Bayerische Staatsbibliothek München, Fotoarchiv Heinrich Hoffmann, hoff-3279

Rosenberg war Baltendeutscher russischer Nationalität. Nach einem Studium in Riga und Moskau erwarb er im Januar 1918 am Moskauer Polytechnikum ein Diplom als Architekt. Danach kehrte er in seine Heimatstadt Reval zurück, die von deutschen Truppen besetzt wurde. Unter dem Eindruck der bolschewistische Revolution und der Kämpfe zwischen ‚Roten‘ und ‚Weißen‘, die auch das Baltikum erfassten, entwickelte er ein dogmatisches, durch und durch antisemitisch bestimmtes Weltbild.

1919 kam er nach München, damals wichtiges Zentrum sowohl der russischen wie der deutschbaltischen Emigration. Rosenberg sah seine Rolle vor allem als Mittelsmann zwischen den Emigrantenkreisen und der in München sich stark entwickelnden rechtsextrem-völkischen Bewegung. Im Herbst 1919 stieß er zur DAP, nicht zuletzt beeindruckt durch Adolf Hitler, der inzwischen seine ersten Reden in DAP-Versammlungen hielt. Rosenberg nahm Kontakt zur rechtsextremen Thule-Gesellschaft auf und lernte Dietrich Eckart kennen, für dessen Zeitschrift Auf gut deutsch er schrieb. Im letzten halben Jahr des im Mai 1921 eingestellten Blatts war er der wichtigste Mitarbeiter und verfasste eine neunteilige Serie über „Das Verbrechen der Freimaurerei“. Eckart erhielt im August 1921 die Leitung des Völkischen Beobachters, Rosenberg wurde sein Stellvertreter. Als Eckart mit Haftbefehl gesucht wurde, weil er den Reichspräsidenten Friedrich Ebert beleidigt hatte, übernahm Rosenberg im März 1923 seinen Posten und behielt ihn.

1920 veröffentlichte er sein erstes Buch Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten. Bereits damals forderte er, den Jusen*Jüdinnen alle Rechte zu nehmen und die Auswanderung nach Palästina zu fördern. 1923 erschien die Schrift Die Protokolle der Weisen von Zion und die Weltpolitik, womit die angebliche jüdische Weltverschwörung bewiesen werden sollte. Aus ihr gingen demnach Kapitalismus, Marxismus und Bolschewismus hervor. Die ‚Protokolle der Weisen von Zion‘ war hingegen schon 1921 als Fälschung entlarvt worden.

Beim Hitlerputsch spielte er eine aktive Rolle. Am 8.11.1923 traf er abends mit Hitler zusammen im Bürgerbräukeller ein. Nachdem Hitler dort den Staatsstreich verkündet hatte, begab sich Rosenberg in die Redaktion des Völkischen Beobachters, um den Leitartikel herauszubringen. Am nächsten Tag nahm er zusammen mit Hitler am Marsch zur Feldherrnhalle teil. Nach der Niederschlagung des Putsches entging er einer Verhaftung. Hitler hatte noch bestimmt, dass er in seiner Abwesenheit die Bewegung führen solle. Rosenberg war kein durchsetzungsfähiger Machtmensch, weshalb er ihn nicht als Rivalen fürchten musste. Am 1.1.1924 meldete Rosenberg als Ersatzorganisation der NSDAP die Großdeutsche Volksgemeinschaft an. Als rivalisierende Organisation bildete sich der Völkische Block. Rosenberg plädierte wie die Vertreter dieser Gruppierung für die Beteiligung an den nächsten Wahlen. Am 7.7.1924 ließ Hitler mitteilen, er ziehe alle von ihm ausgestellten Vollmachten zurück, und am 29.7.1924 übernahmen Streicher und Esser, die gegen die Teilnahme an Wahlen waren, die Führung der Großdeutschen Volksgemeinschaft.

Nach der Neugründung der NSDAP gehörte Rosenberg nicht mehr zum engeren Zirkel um Hitler. Immerhin wurde er wieder Chefredakteur des Völkischen Beobachters. Er sah sich nun vor allem als Vordenker einer nationalsozialistischen Außenpolitik. 1927 kam dies in seiner Schrift Der Zukunftsweg einer deutschen Außenpolitik zum Ausdruck. Frankreich war und blieb in seiner Sicht der Erbfeind. Italien kam als möglicher Bündnispartner in Betracht. Ein weiterer konnte Großbritannien sein. Die Briten sollten für den Schutz der weißen Rasse in ihren Kolonien sorgen, die Italiener das westliche Mittelmeer beherrschen. Russland stand wegen des bolschewistischen Systems nicht zur Debatte. Rosenbergs Vorstellungen deckten sich hier in allen wesentlichen Punkten mit denen Hitlers.

1930 gelangte er auch in den Reichstag, wo er Mitglied des Auswärtigen Ausschusses wurde. Nach dem Reichsparteitag vom August 1927 erhielt er den Auftrag zum Aufbau einer neuen Kulturorganisation. Am 4. Januar wurde die ‚Nationalsozialistische Gesellschaft für deutsche Kultur‘ mit ihm als Vorsitzendem gegründet, die dann in ‚Kampfbund für deutsche Kultur‘ umbenannt wurde. Die Organisation erreichte aber nicht die von ihm intendierte Breitenwirkung. 1930 kam sein Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts heraus, das ihm den Status des ‚Chefideologen‘ des Nationalsozialismus eintrug. Rosenberg zufolge war die abendländische Kultur germanischen Stämmen zu verdanken, während die mit dem Christentum zu Einfluss gelangte römische Priesterkaste gemeinsam mit den Jesuiten, Freimaurern und dem internationalen Judentum ihren Niedergang verursacht habe. Aus dem „Mythus des Blutes“ werde aber wieder die Basis für ein rassereines germanisches Imperium entstehen. Erst nach 1933 wurde das Buch ein Verkaufserfolg. Bis Kriegsende wurde über eine Million Exemplare abgesetzt. Die Kritiker fanden sich hauptsächlich im Lager der beiden Kirchen. Es wurde niemals parteioffiziell, da Hitler sich nicht offen auf einen Kampf gegen die Kirchen festlegen wollte.

Am 1.4.1933 wurde Rosenberg Leiter des Außenpolitischen Amts der NSDAP in Berlin, ab 1.6.1933 mit dem Parteirang eines Reichsleiters. Mit seiner Organisation konkurrierten die einflussreichere Dienststelle Ribbentrop und die Auslandsorganisation der NSDAP. 1934 erhielt er die Funktion als  ‚Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP‘. Im Sinne Hitlers erklärte er die staatspolitische Revolution für beendet. Der Kampf gegen Liberalismus, Marxismus und Pazifismus gehe aber weiter; den ‚Rassenkampf‘ sah er jedoch als eigentliche Grundlage dieser Auseinandersetzung. Das von ihm zu verantwortende Schulungsmaterial sorgte für die weitreichende Verbreitung seiner Vorstellungen. Unter seiner Aufsicht kamen Zeitschriften zu Theater, Kunst, Bücher- und Volkskunde heraus. Konkurrenz machte ihm der Reichsorganisations- und Reichsschulungsleiter Robert Ley, der nicht zuletzt über erhebliche Geldmittel verfügte. Die aus dem Kampfbund sowie aus der nationalsozialistischen Theaterbesucherorganisation Deutsche Bühne gebildete NS-Kulturgemeinde wurde schließlich Leys Organisation Kraft durch Freude angeschlossen und geriet völlig unter dessen Kontrolle.

In den Bereichen Kunst, Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung war Goebbels der mächtigere Rivale. Rosenberg lehnte jede Form der Moderne in Malerei, bildender Kunst, Architektur und Musik als ‚Kulturbolschewismus‘ ab. Kunst musste für ihn Ausdruck der „Rassenseele“ sein und naturnah das Starke und Gesunde germanischen Ursprungs darstellen. In seiner Verfemung des Expressionismus setzte er sich gegen Goebbels durch, der hier mehr Spielraum gewähren wollte. Doch beherrschte der pragmatische Goebbels mit der Reichskulturkammer das wichtigste Instrument der Kulturpolitik. Dem starr dogmatischen Rosenberg ermöglichte er dort keinerlei Einfluss. Aus ideologischen Gründen lehnte Rosenberg nicht nur alle jüdischen Künstler*innen, sondern sogar klassische Künstler*innen wie Händel und Mozart ab - den einen wegen dessen Verwendung von Texten aus dem Alten Testament, den anderen wegen seiner Verbindungen zu den Freimaurern.

1938 gelang es Rosenberg, Hitler von der Idee zu überzeugen, eine nationalsozialistische Eliteuniversität zu errichten. Hitler wollte diese ‚Hohe Schule‘ in einem riesigen Komplex am Chiemsee ansiedeln, die Anlage wurde geplant, jedoch nie gebaut. Zustande kamen nur ein Münchener ‚Institut für arische Geistesgeschichte‘ (seit März 1941 für ‚indogermanische Geistesgeschichte‘), ein weiteres für Religionswissenschaften in Halle sowie das ‚Institut zur Erforschung der Judenfrage‘ in Frankfurt am Main. Im Zusammenhang mit der Hohen Schule stand die Errichtung des ‚Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg‘. Während des Kriegs gegen Frankreich meldete Rosenberg seine Ansprüche an, wissenschaftliche Bibliotheken und Privatsammlungen beschlagnahmen zu lassen. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, sowie Göring unterstützten ihn bei seinen Raubzügen, die dann auch Kunstwerke, wie z. B. das berühmte Bernsteinzimmer, erfassten. In den besetzen Gebieten im Osten musste sich Rosenberg bei diesen Aktionen vor allem des ‚Ahnenerbes‘, einer Forschungs- und Lehreinrichtung der SS, als Konkurrenten erwehren.

Am 20.6.1941 hielt er als Parteibeauftragter für die Ostgebiete vor Vertretern von Staat, Wehrmacht und Partei eine Rede, nach der die nichtrussischen Völker von der Sowjetunion unabhängige Staaten bilden sollten; eine Verpflichtung auch für die Ernährung des russischen Volks zu sorgen, sehe er nicht. Am 17.7.1941 ernannte Hitler Rosenberg offiziell zum Reichsminister für die besetzten Ostgebiete. Dem Ministerium war die dortige Zivilverwaltung mit legislativer Kompetenz unterstellt. Seine Aufgabe war die politische Planung und die Koordination mit den anderen Reichsbehörden in den Ostgebieten. Zusammen mit den Rüstungsinspektionen des Reichsministeriums für Bewaffung und Munition organisierte es die wirtschaftliche Ausbeutung. Das Ministerium war beteiligt an der Ausarbeitung des ‚Generalplans Ost‘, den Himmler als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums anfertigen ließ. Ziel war die Umsiedlung, Versklavung oder Vernichtung unerwünschter Völker des Ostraums, der für die deutsche Besiedlung freigegeben werden sollte. Zeitweise war eine direkte Verbindung durch die 1943 erfolgte Ernennung des Leiters des SS-Hauptamts, Gottlob Berger, zum ‚Leiter des Führungsstabes Politik‘ im Ministerium gegeben.

Die Ernennung von Reichs- und Generalkommissaren behielt sich Hitler selbst vor. Jedem Reichskommissar sollte ein Höherer SS- und Polizeiführer beigeordnet werden, was wiederum Himmlers Einfluss sicherte. Im Gegensatz zu Rosenbergs Wünschen setzte Hitler Erich Koch als Reichskommissar für die Ukraine ein. Dieser war in Hitlers Sinn für eine Politik des brutalen Umgangs mit der Bevölkerung. Die baltischen Staaten und der von den Weißruthenen bewohnte Raum unterstanden als Raum „Ostland“ Hinrich Lohse als Reichskommissar. Auch dort wurde die Bevölkerung hart und rücksichtslos behandelt. Gegenüber den beiden war Rosenberg weitgehend machtlos, obwohl er ihnen pro forma Weisungen erteilen konnte.

Der unzulängliche organisatorische Aufbau des Ministeriums trug zu seiner mangelnden Effizienz bei, ein Umstand, den Rosenberg insbesondere durch eine radikale ‚Judenpolitik‘ kompensieren wollte. Auf einem Presseempfang anlässlich der offiiellen Bekanntgabe seiner Ernennung zum Minister sprach Rosenberg am 18.11.1941 unverhüllt die Absicht zur Ausrottung der Juden*Jüdinnen im Osten aus. In die Vernichtung der Juden*Jüdinnen war das Ministerium auch direkt einbezogen. Es erstellte Richtlinien darüber, wer in den Ostgebieten als Jude*Jüdin angesehen wurde; es war infolgedessen auch durch zwei Spitzenbeamte auf der Wannsee-Konferenz vom 20.1.1942 vertreten. Die dort durch den Chef des Reichssicherheitshauptamtes Heydrich zusammengerufenen Repräsentanten verschiedener Ministerien und SS-Organisationen berieten darüber, wer als Jude*Jüdin gelten und von dem systematischen Massenmord, der bereits in vollem Gang war, erfasst werden sollte. Himmler fühlte sich bei seinem weiteren Vorgehen dann allerdings nicht an Richtlinien des Ostministeriums gebunden und beanspruchte die Zuständigkeit bei der Durchführung der ‚Endlösung‘ für sich.

Mit dem laufenden Rückzug im Osten verlor das Ministerium ab 1943 dann alle Bedeutung: Es wurde zu einem Territorialministerium ohne Territorien. Unter anderem durch die Entwicklung von Plänen für eine Taktik der verbrannten Erde versuchte man vergeblich, noch politischen Einfluß zu behalten. Am 22.4.1945 traf Rosenberg bei der geschäftsführenden Reichsregierung in Flensburg ein. Dort wurde er am 25. Mai verhaftet und schließlich am 12. August nach Nürnberg verbracht. Der Internationalen Gerichtshof verurteilte ihn am 1.10.1946 zum Tod. Zwei Wochen später wurde er hingerichtet.

Quellen

Koop, Volker: Alfred Rosenberg. Der Wegbereiter des Holocaust. Eine Biographie, Köln/Weimar/Wien 2016.
Löhr, Hanns Christian: Kunst als Waffe. Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg. Ideologie und Kunstraub im „Dritten Reich“, Berlin 2018.
Piper, Ernst: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München 2005.
Seraphim, Hans-Günther (Hg.): Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35 und 1939/40, Göttingen 1956.

Empfohlene Zitierweise

Paul Hoser: Rosenberg, Alfred (publiziert am 12.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/rosenberg-alfred-714