Ernst Rüdin (17.4.1874 St. Gallen – 22.10.1952 München) und die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie

Biographies
Verfasst von Michael von Cranach

Leiter der Nervenklinik der Universität München

Ernst Rüdin (1874-1952), Aufnahme um 1930 | Max-Planck Institut für Psychiatrie, Historisches Archiv, Bildersammlung

Die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie (DFA) wurde 1917 von Emil Kraepelin, dem Leiter der Nervenklinik der Universität München und einem der einflussreichsten Psychiater seiner Zeit, in München gegründet. 1924 wurde sie der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Vorgängerorganisation der heutigen Max-Planck-Gesellschaft, angegliedert. Von Anfang an war Ernst Rüdin, ein Schüler von Kraepelin, Leiter der Genealogisch-Demographischen Abteilung und ab 1931 Leiter der gesamten Anstalt.

Rüdin spielte eine zentrale Rolle in der deutschen und internationalen eugenischen Bewegung. Sein Forschungsschwerpunkt war der Nachweis der Erblichkeit psychischer Erkrankungen mit Hilfe der von ihm entwickelten Methode der „empirischen Erbprognose“. Früh war er an der Entwicklung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses beteiligt, das im Juli 1933 verabschiedet wurde. Er war Mitverfasser des Gesetzeskommentars und führte dann an der DFA „erbbiologisch-rassenhygienische Lehrgänge“ für Ärzte durch. Von 1933 an war er in leitender Funktion Mitglied des „Sachverständigenbeirats für Bevölkerungsfragen und Rassenpolitik“, plädierte für eine Erweiterung der Indikationsstellung für die Zwangssterilisation (Einschluss von „moralischen Schwachsinnigen“ und „Psychopathen“). 1935 wurde er zum Vorsitzenden (‚Führer‘) der psychiatrischen Fachgesellschaft ernannt. Durch seine enge Beziehung zu Paul Nitsche, ab 1941 ärztlicher Leiter der ‚Euthanasie‘-Zentrale in Berlin, war er früh über die geplanten Krankenmorde informiert. Ein Zitat aus dem Jahre 1942: „Wir haben [...] kein Interesse an der Erhaltung unheilbarer und ruinenhafter Opfer der Vererbung am Leben“ (Brief Rüdins an den Reichsgesundheitsführer vom 23.10.1942, Max-Planck-Institut für Psychiatrie HA, GDA 129).

Er unterstützte Forschungen an lebenden behinderten Menschen, die im Rahmen der ‚Euthanasie‘-Maßnahmen anschließend getötet wurden, um ihre Gehirne zu untersuchen. In Bayern begutachteten Mitarbeiter*innen der DFA Kinder in Behinderteneinrichtungen im Hinblick auf ihre Einweisung in die Kinderfachabteilungen des „Euthanasie“-Programms. Die DFA unterhielt eine Prosektur (Sektionsabteilung) mit Hans Schleussing als Leiter, die eine große Anzahl der Gehirne der im Rahmen der dezentralen ‚Euthanasie‘-Maßnahmen getöteten Patienten zu Forschungszwecken zugeschickt bekam.

Ernst Rüdin und die DFA waren maßgeblich an der Formulierung und wissenschaftlichen Begründung der nationalsozialistischen Rassenhygiene, der Sterilisationsmaßnahmen und auch der Krankentötungen beteiligt, von denen sie wussten, die sie befürworteten und für Forschungszwecke nutzten.

Ernst Rüdin wurde im Spruchkammerverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg als ‚Mitläufer‘ eingestuft, Anklagen erfolgten nicht. Er starb 1952 in München. Die DFA wurde 1954 in die Max-Planck-Gesellschaft unter dem Namen ‚Max-Plank-Institut für Psychiatrie-Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie‘ aufgenommen.

Quellen

Roelke, Volker: Psychiatrische Wissenschaft im Kontext nationalsozialistischer Politik und „Euthanansie‘ - Zur Rolle von Ernst Rüding und der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie/Kaiser-Wilhelm-Institut, in: Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozioalismus, hg. v. Doris Kaufmann, Göttingen 2000.
Weber, Matthias: Ernst Rüdin. Eine kritische Biographie, Berlin 1993.

Empfohlene Zitierweise

Michael von Cranach: Rüdin, Ernst/Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie (publiziert am 15.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/ruedin-ernstdeutsche-forschungsanstalt-fuer-psychiatrie-194