Luise Russ (21.6.1887 Lech-Aschau/Österreich – 27.11.1955 Ottobrunn)

Biographies
Verfasst von Christoph Wilker

Zeugin Jehovas, Verbreitung von Protestflugblättern 1936

Luise Russ (rechts) mit Maria Albrecht, ebenfalls Verfolgte des NS-Regimes, um 1934 | Privatbesitz

Die Ehefrau eines Schneidermeisters trat 1926 aus der katholischen Kirche aus und den Bibelforschern bei, die sich ab 1931 Zeugen Jehovas nannten. Für 1935 und 1936 wurde ihr die illegale Beteiligung an Bibelbesprechungen nachgewiesen. Außerdem hatte sie die Zeugen Jehovas mit Geldspenden unterstützt. Am 10.12.1936 erhielt sie 150 Flugblätter „Resolution“ zur Verbreitung. Je 50 Exemplare gab sie an zwei andere Münchner Zeugen Jehovas weiter, 50 verteilte sie selbst. Mit der bei einem Kongress in Luzern/Schweiz verabschiedeten „Resolution“ protestierten die Zeugen Jehovas am 12.12.1936 im ganzen Deutschen Reich gegen ihre Verfolgung durch das NS-Regime. Am 25.1.1937 wurde Luise Russ festgenommen und am 4.5.1937 vom Sondergericht München zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Im Urteil wird sie als „hartnäckige Zeugin Jehovas“ bezeichnet. „Ihre Verfehlungen sind umfangreich und vielseitig. Besonders erschwerend ist auch bei ihr die Beteiligung an der Verteilung der `Resolution´“ (StAM StAnW 8551). Am 19.8.1937 kam sie in das Konzentrationslager Moringen, am 15.12.1937 in das KZ Lichtenburg. 1939 wurde sie in das KZ Ravensbrück überstellt, wo sie bis zur Befreiung im April 1945 inhaftiert blieb. In den Konzentrationslagern wurde sie misshandelt und musste Hunger und harte Arbeit erdulden. Ihr Mann, der kein Zeuge Jehovas war, hatte sich während ihrer Haftzeit von ihr getrennt. So musste Luise Russ 1945 mit 57 Jahren völlig neu in München anfangen. Sie heiratete dann einen Zeugen Jehovas und nannte sich Russ-Schlegel. Später erkrankte sie an Syphilis. Ihre nachträglichen Recherchen ergaben, dass ihr im Konzentrationslager als Versuchsperson toxische Sustanzen injiziert worden waren. An den Spätfolgen der im Lager erlittenen Torturen starb Luise schließlich im Jahr 1955 in Ottobrunn.

Quellen

Staatsarchiv München StAnW 8551, Urteil des Sondergerichts München vom 4.5.1937.
Archiv des Internationalen Suchdienstes, ITS, Arolsen, Überstellung ins KZ Moringen am 19.8.1937.
Archiv der Zeugen Jehovas, Selters/Ts., Verfolgungszettel, ausgefüllt von Luise Russ am 3.11.1945.
Archiv der Zeugen Jehovas, Selters/Ts., Bericht von Wilhelmine Thomas, geb. Albrecht, vom 5.11.1997.

Empfohlene Zitierweise

Christoph Wilker: Russ, Luise (publiziert am 23.10.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/russ-luise-724