Alfred Seidl (30.1.1911 München – 25.11.1993 München)

Biographies
Verfasst von Ulla-Britta Vollhardt

Strafverteidiger in NS-Prozessen, CSU-Politiker, Bayerischer Innenminister

Alfred Seidl, Verteidiger von Hans Frank und Rudolf Heß, vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, undatiert [1945/1946] | National Archives and Records Administration, Photograph Nr. 14466

Der Sohn eines katholischen Bäckermeisters wuchs in München auf und studierte seit 1932 Jura und Nationalökonomie. 1937 wurde er zum Dr. jur. promoviert, 1939 legte er die Große juristische Staatsprüfung ab. Als Schüler und Assistent des regimekonformen Strafrechtlers Edmund Mezger machte er sich die nationalsozialistische Rechtsauffassung zu eigen. 1934 trat er der SA bei, 1935 dem NS-Rechtswahrerbund, 1937 der NSDAP. Seit 1939 arbeitete Seidl in der Kanzlei des bekannten Münchner Anwalts Fritz Sauter. 1940 wurde er zum Wehrdienst einberufen, musste jedoch nicht an die Front und konnte seiner Anwaltstätigkeit weiter nachgehen.

Nach Kriegsende wurden Sauter und Seidl als Verteidiger an den Internationalen Militärgerichtshof nach Nürnberg berufen. Seidl, jüngster Anwalt im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, verteidigte Hans Frank und Rudolf Heß; für die Rehabilitierung von Heß (gest. 1987) setzte er sich bis zu dessen Tod ein. In den Nürnberger Nachfolgeprozessen vertrat er u.a. den Chef des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts Oswald Pohl. Seidl erhielt 1948 nach Einstellung seines Entnazifizierungsverfahrens seine Anwaltszulassung bei deutschen Gerichten zurück. In den folgenden Jahrzehnten wurde er zu einem der prominentesten Anwälte von NS-Tätern in bundesdeutschen Strafverfahren.

Daneben verfolgte er seine politische Karriere innerhalb der CSU: 1958 bis 1986 war Seidl Landtagsabgeordneter, 1970 bis 1974 (stellvertretender) Fraktionsvorsitzender, 1974 bis 1976 Staatssekretär im Bayerischen Justizministerium und 1977/78 Bayerischer Innenminister. Streng antikommunistisch eingestellt, trat Seidl für eine Stärkung der inneren Sicherheit ein und plädierte im Zusammenhang mit der Bekämpfung der RAF für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Seidl wurde mit dem Bayerischen Verdienstorden und dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Nach seinem Tod kamen seine jahrzehntelangen Verbindungen zur äußersten Rechten ans Tageslicht, so zu dem Herausgeber der rechtsextremen National-Zeitung und DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey, den er gemeinsam mit Theodor Maunz juristisch beriet. Auch mit dem britischen Holocaustleugner David Irving stand er in Kontakt.

Quellen

Bachmann, Christoph: Schuld und Sühne? Die Verfolgung von NS-Verbrechen durch oberbayerische Justizbehörden und ihre archivische Aufarbeitung im Staatsarchiv München, in: ZBLG, 68, 2005, S. 1135-1179.
Schöfberger, Rudolf: Alfred Seidl. Die Kontinuität einer Gesinnung. Vom NS-Verteidiger zum Innenminister. Eine Dokumentation, hg. vom Pressedienst Demokratische Initiative, München 1978.
Seidl, Alfred: Der Fall Rudolf Hess 1941–1987. Dokumentation des Verteidigers, München 1988.Seliger Hubert: Politische Anwälte? Die Verteidiger der Nürnberger Prozesse, Baden-Baden 2016.

Empfohlene Zitierweise

Ulla-Britta Vollhardt: Seidl, Alfred (publiziert am 18.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/seidl-alfred-772