Bernhard Rudolf Stempfle (17.4.1882 München - Anfang Juli 1934 KZ Dachau)

Biographies
Verfasst von Elisabeth Kraus

Ordensangehöriger und völkisch-antisemitischer Publizist

Bernhard Stempfle trat als junger Mann in die römisch-katholische Ordensgemeinschaft der Hieronymiten ein und lebte als Pater dieser Gemeinschaft lange Zeit in Rom. Erst im August 1914 kam er in seine Geburtsstadt zurück, in der er seitdem als Schriftsteller und Schriftleiter gemeldet war.

Über seinen wissenschaftlichen Werdegang gibt es in der Literatur zahlreiche Falschinformationen, die vermutlich dadurch zustande kamen, dass Stempfle nach seiner Rückkehr aus Rom seine Briefe, Artikel und Manuskripte als Professor unterschrieb. Dabei sind allerdings weder Studienfach oder -ort noch -abschluss bekannt. Ein Studium hat er, zumindest an der Münchner Universität (LMU), nicht absolviert und wurde dort auch nicht promoviert. Ferner hat er eine Lehrtätigkeit an der LMU nie ausgeübt, geschweige denn das Amt eines Universitätsprofessors.

Stempfle trat unmittelbar nach der Revolution von 1918/1919 als bekennender Antisemit in der völkisch-nationalistischen Szene publizistisch auf. Er veröffentlichte unter den Pseudonymen „Redivivus“ bzw. „Spectator Germaniae“ zahlreiche Artikel im Münchener Beobachter, aus dem wenig später der Völkische Beobachter, das Parteiorgan der NSDAP, entstand, der Oberbayerischen Landeszeitung und anderen Zeitungen. Von Februar 1920 bis Juni 1921 war er Pressereferent der politisch weit rechts stehenden Organisation Kanzler (ORKA), die aus den Einwohnerwehren hervorgegangen war. Von August 1922 bis Ende 1925 fungierte er als Herausgeber und politischer Redakteur des antisemitischen Hetzblattes Miesbacher Anzeiger.

Als Publizist besaß Stempfle im München der frühen 1920er-Jahre verschiedentlich Kontakte zu extrem rechten, völkischen und nationalsozialistischen Gruppierungen und Personen, bei denen er, wahrscheinlich auf Vermittlung des Fotografen Heinrich Hoffmann, auch den jungen Adolf Hitler kennenlernte.

Stempfle gehörte zu den Beobachtern des Hitler-Prozesses und war einer der ersten, die Hitlers Buch Mein Kampf rezensierten. Seine sehr kritische Besprechung erschien in mehreren Teilen ab 29.7.1925 im Miesbacher Anzeiger. Auch deshalb ist die verbreitete Behauptung, Stempfle wäre an der Ausarbeitung von Mein Kampf beteiligt gewesen, unzutreffend. Der NSDAP stand Stempfle ambivalent gegenüber: Während er die nationalistischen und antisemitischen Teile der NS-Ideologie unterstützte, lehnte er andere Auffassungen, wie etwa die Haltung gegenüber Italien und der Südtirol-Frage, nachdrücklich ab. Zudem plädierte er für die Monarchie als bevorzugte Staatsform. Das persönliche Verhältnis zu Hitler war lange Zeit angespannt.

Seit Ende des Jahres 1925 war Stempfle Mitarbeiter in der sogenannten ‚Sammlung Rehse‘, einer zeitgeschichtlichen Dokumenten- und Reliquiensammlung, insbesondere zur Frühgeschichte der NSDAP, die der Fotograf und Kunstverleger F.J.M. Rehse ab 1914 angelegt hatte. Die Sammlung war in der Geschäftsstelle der NSDAP in der Münchner Schellingstraße untergebracht.

Stempfle blieb auch nach deren Erwerb durch die NSDAP im Jahr 1929 Mitarbeiter der ‚Sammlung Rehse‘. Als solcher verfasste er in den folgenden Jahren diverse, meist recht substanzarme Manuskripte von wenigen Seiten zu den unterschiedlichsten Themen wie etwa „Der Journalist und die Guillotine“, „Die Ehe als Lebensversicherungsinstitut“ oder „Der Vorläufer des Zeppelin“.

1932 entstand das mit 23 Seiten wohl längste Manuskript von ihm über „Adolf Hitler als Ausländer“, an dessen Ende er zusammenfassend festhielt: „Man hat die Tore den Fremden geöffnet und den Auslandsdeutschen verschlossen.  (…) In der Praxis behandelt man also den Frontsoldaten Hitler schlechter als den jüdischen Schnorrer (…). Außer der Sozialdemokratie ist es vor allem das Zentrum und seine Presse, die sich mit Händen und Füssen dagegen wehrt, Hitler als deutschen Staatsbürger anzusehen.“

Im Januar 1934 trat Stempfle offiziell in die NSDAP ein. Am Abend des 1.7.1934 wurde er im Rahmen der ‚Röhm-Affäre‘ in seiner Münchner Wohnung, in der er seit 10.7.1933 zur Untermiete wohnte, verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt. Dort wurde er, wie die Bayerische Politische Polizei seiner Schwester auf deren Vermisstenanzeige hin am 19.7.34 mitteilte, im „Zuge der Säuberungsaktion standrechtlich erschossen“. Der genaue Todestag ist nicht überliefert.

Über die Motive für Stempfles Tötung ist sich die Forschung nicht einig: So sei er, lautet eine These, auf Veranlassung Hitlers umgebracht worden, da er zu viel Kompromittierendes über dessen Vergangenheit und Privatleben gewusst habe. Einer anderen zufolge war Stempfle das Opfer eines Missverständnisses, und es habe keinen von Hitler erteilten Mordauftrag gegeben. Eine weitere sieht den Münchner NSDAP-Stadtrat Christian Weber als Verantwortlichen, der die Mordwelle des 30.6.1934 als Gelegenheit genutzt habe, um seine persönliche Rechnung mit Stempfle, der Weber in früheren Jahren wegen dessen ausschweifenden Lebensstils attackiert hatte, zu begleichen.
 

Quellen

StadtA München: PMB (Polizeimeldebogen) S 322; EMK (Einwohnermeldekartei) S 314.
Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Nachlaß Stempfle
<http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/lmu/pverz.html> (zuletzt aufgerufen am 21.10.2023); (Volldigitalisate der 1826-1946 semesterweise im Druck erschienenen Personal- und Studentenverzeichnisse der Universität München)
<http://epub.ub.uni-muenchen.de/view/lmu/refbooks.html>; (Verzeichnisse über Doktoren und Dissertationen der Universität München 1472-1970) (zuletzt aufgerufen am 21.10.2023).
Large, David Clay: Hitlers München. Aufstieg und Fall der Hauptstadt der Bewegung, München 1998.
Plöckinger, Othmar: „Bernhard Stempfle“, in: Ders.: Geschichte eines Buches. Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922–1945, München 2006, S. 133–141.

Empfohlene Zitierweise

Elisabeth Kraus: Stempfle, Bernhard (publiziert am 10.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/stempfle-bernhard-803