Domenico Tinelli (21.5.1923 Noci, Apulien, Italien – 14.10.2015 Santeramo in Colle, Apulien, Italien)

Biographies
Verfasst von Federica Dalla Pria

Italienischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter im Reichsbahnausbesserungswerk Neuaubing

Domenico Tinelli, um 1940 | Privatbesitz

Domenico Tinelli stammte aus einer Bauernfamilie aus Noci in der Provinz Bari. Die Eltern lebten auf einer Masseria, einem kleinen apulischen Bauernhof. Domenico Tinelli besuchte die Schule bis zur fünften Klasse. Er war ein guter Schüler, die Lehrer empfahlen, ihn weiter zur Schule zu schicken. Im Familienbetrieb wurde er jedoch als landwirtschaftliche Arbeitskraft gebraucht. Am 28. August 1943 wurde er zum Wehrdienst einberufen und als Rekrut in Meran und Brixen bei der Infanterie stationiert. Dort nahmen ihn deutsche Soldaten am 9. September 1943 gefangen, drei Tage später wurde er nach Deutschland deportiert.

Zunächst war er, gemeinsam mit seinem Freund Giovanni D'Onghia, in einem Kriegsgefangenenlager „fast an der Grenze zu Russland“ – wie er in einem Brief an seinen Vater geschrieben hatte – inhaftiert, dem Stalag I A in Stablack (Ostpreußen). Anschließend wurde er über das Kriegsgefangenenlager in Moosburg (Stalag VII A) zum Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Neuaubing geschickt.

Im dortigen Zwangsarbeiterlager war der Hunger groß. Domenico Tinelli erzählte seiner Familie, wie er Kartoffelschalen aus dem Müll auflas, röstete und aß – und dabei noch aufpassen musste, nicht erwischt zu werden. Bei der Aufnahme ins Lager hatte er angegeben, Tischler zu sein, in der Hoffnung, bei dem feuchtkalten Klima nicht im Freien arbeiten zu müssen. Er wurde tatsächlich als Tischler eingesetzt und reparierte das Interieur beschädigter Waggons. Aus Vorhängen der Reisewagen nähte er heimlich Hosen und Jacken. Die Arbeit in den zerstörten Waggons war belastend, weil sich darin nicht selten noch Blut oder sogar menschliche Körperteile befanden. Mit seinen Eltern korrespondierte er regelmäßig über Briefe und Postkarten, von denen noch einige erhalten sind. Sein Tagebuch, das er während der Zeit im RAW geführt hatte, hat er bedauerlicherweise vernichtet.


Während eines amerikanischen Bombenangriffes Mitte April 1945 entschlossen sich Domenico Tinelli und seine Kameraden Giovanni D'Onghia und Giovanni Brutti zu fliehen. Mit dem Zug erreichten sie die italienische Grenze und auf Umwegen Rom. Von dort aus fuhren sie weiter nach Bari und nach Noci. Tinelli und D'Onghia waren die ersten Soldaten, die nach Noci heimkehrten. Deswegen erhofften sich alle Dorfbewohner*innen von ihnen Informationen zu ihren ebenfalls nach Deutschland verschleppten Angehörigen. 1959 heiratete Domenico Tinelli Carmela Maria, mit der er eine Landwirtschaft betrieb, Getreide anbaute und Vieh züchtete. Sie hatten zwei Kinder. In den 1960er-Jahren verlor er weitgehend sein Gehör, eine Spätfolge des Luftkriegs in München. Er verstarb 2015 in hohem Alter in seinem Heimatort und nutzte bis zuletzt einige deutsche Wörter, die er in München gelernt hatte.

Quellen

Die Biographie basiert auf einem Interview mit Angehörigen der Familie Tinelli. Alle zitierten Dokumente befinden sich im Besitz der Familie.

Empfohlene Zitierweise

Federica Dalla Pria: Tinelli, Domenico (publiziert am 31.01.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/tinelli-domenico-837