Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN)

Organizations
Verfasst von Friedbert Mühldorfer

Zusammenschluss ehemaliger NS-Verfolgter

Demonstration der VVN am 10.9.1950 | Archiv der VVN

Aus den nach Kriegsende und Befreiung 1945 entstandenen örtlichen ‚Betreuungsstellen‘ für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte entwickelten sich in allen Besatzungszonen überparteiliche Vereinigungen der Verfolgten des Naziregimes, denen anfangs insgesamt bis zu 200.000 Personen angehörten.

Im Anschluß an die Gründung der VVN München am 26.1.1947 in der Münchner Schauburg entstanden Ortsgruppen in fast allen bayerischen Städten. Die Zulassung auf Landesebene erfolgte am 7.3. Drei Ziele standen im Vordergrund:

1. Vertretung der materiellen Interessen, da sich viele Verfolgte nach oft langjähriger Haft in schwieriger sozialer Lage befanden oder Hinterbliebene nicht selten völlig mittellos waren: Durch öffentlichen Druck auf Behörden und durch Beratung Anspruchsberechtigter konnte häufig eine Beschleunigung der meist jahrelang sich hinziehenden Entschädigungsanträge erreicht werden.

2. Erinnerung an die NS-Verbrechen und das Gedenken an die Opfer. Das gesellschaftliche Echo auf dieses Anliegen der Verfolgten war nur gering. Immerhin ist es wesentlich auch bayerischen VVN-Mitgliedern wie Otto Kohlhofer, Hugo und Ruth Jakusch oder Alfred Haag zu verdanken, dass die KZ-Gedenkstätte Dachau errichtet werden konnte.

3. Durchsetzung des Anspruchs, als Verfolgte mitzuwirken bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Neuaufbaus, der ohne ehemalige Nationalsozialist*innen erfolgen sollte. Auch wenn sich NS-Verfolgte in und außerhalb der VVN in Gewerkschaften, Parteien und Parlamenten entsprechend bemühten und gerade in Länderverfassungen wichtige politische Anliegen verankert wurden, so konnte – von Einzelfällen abgesehen – nicht verhindert werden, dass ehemalige Nationalsozialist*innen bald wieder wichtige Positionen in Gesellschaft und Politik erlangten.

Die parteipolitische Polarisierung im Kalten Krieg führte in der VVN bald zu Auseinandersetzungen und im Gefolge zur Gründung konkurrierender Verfolgtenverbände. Die NS-Verfolgten hatten es dadurch noch schwerer, in der Öffentlichkeit Gehör zu finden. Der Umstand, dass in der VVN mehrheitlich ehemals verfolgte Kommunist*innen verblieben, führte im antikommunistischen Klima der 1950er-Jahre zu einer weitgehenden politischen Ausgrenzung der VVN, die sich vor allem in der lange andauernden Einstufung als ‚verfassungsfeindlich‘ durch die Verfassungsschutzbehörden widerspiegelte (im Bund bis 2006, in Bayern noch bis 2020). 1971 erweiterte sich die Organisation zum Bund der Antifaschisten (VVN-BdA), um auch Nichtverfolgten die Mitgliedschaft zu ermöglichen.

Quellen

Reuter, Elke/Hansel, Detlef: Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953: Die Geschichte der Verfolgten des Nazi-Regimes in der SBZ und DDR, Berlin 1997.
Ruhland, Katharina (Hg.): „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung“. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und ihre Rolle bei den frühen antifaschistischen Protesten nach 1945, in: Zara Pfeiffer: Proteste in München seit 1945, München 2011, S. 52-60.
Schneider, Ulrich (Hg.): Zukunftsentwurf Antifaschismus. 50 Jahre Wirken der VVN für "eine neue Welt des Friedens und der Freiheit", Bonn 1997.

Empfohlene Zitierweise

Friedbert Mühldorfer: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (publiziert am 16.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/vereinigung-der-verfolgten-des-naziregimes-856