Quellen
Conze, Eckart: Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt. Frankfurt 2018.
Kolb,
Eberhard: Der Frieden von Versailles, München 2011.
Niedhart,
Gottfried: Die Außenpolitik der Weimarer Republik, München 2012.
Admission free
Friedenvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Siegern des Ersten Weltkriegs
Der am 28.6.1919 in Versailles unterzeichnete Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Siegern des Ersten Weltkrieges ordnete das Verhältnis unter den europäischen Großmächten neu und ist der bedeutendste der sog. Pariser Vorortverträge. Die historische Forschung diskutiert seit Jahrzehnten intensiv die Bewertung seiner politischen und wirtschaftlichen Folgen. Mit Blick auf das Deutsche Reich wurde der Friede schon früh wegen seiner inhaltlichen Bestimmungen als ernste Hypothek für die Weimarer Republik eingestuft. So etwa wog die Ausbildung eines regelrechten „Revisionssyndroms“ (Michael Salewski) für die neu entstandene Demokratie sehr schwer: Der rasch ausgerufene „Kampf gegen Versailles“ eröffnete auch den Anhänger*innen des Nationalsozialismus die Möglichkeit, die Vertreter*innen des neuen Staates als ehrlose „Erfüllungspolitiker“ und Mitschuldige an der Situation zu diffamieren.
Entstehungsgeschichte
Nach dem Scheitern der letzten deutschen Frühjahrsoffensive stand die Niederlage der Mittelmächte des Ersten Weltkriegs unmittelbar bevor. Im Herbst 1918 musste auch die Militärführung die Aussichtslosigkeit der Lage feststellen und drängte deshalb die kaiserliche Regierung, die Westalliierten unter Verweis auf das Friedensprogramm von US-Präsident Wilson um die Einstellung der Kampfhandlungen zu bitten. Die nach der Novemberrevolution gebildeten Kabinette erbten somit die Verhandlungsposition einer besiegten Kriegspartei. Da sie jedoch die sog. 14 Punkte Wilsons viel zu pauschal als Angebot zum Verständigungsfrieden einstuften, schürte man trotz harter Waffenstillstandsbedingungen die Hoffnung auf relativ milde Forderungen.
Erst die Übergabe des fertigen Vertragsentwurfs am 7.5.1919 markierte das abrupte Ende dieser Illusion: Die überraschte deutsche Öffentlichkeit reagierte nun mit fast einhelliger Empörung, während die Politik mit den Worten Scheidemanns von einem „unannehmbaren“ Friedensdiktat sprach. Die Alliierten verweigerten indes jede direkte Verhandlung und machten auf die schriftlich eingereichten Gegenvorschläge kaum Zugeständnisse - danach forderten sie die bedingungslose Annahme der Vorlage und drohten mit militärischer Besetzung. Vor diese Alternative gestellt, stimmte die Nationalversammlung Ende Juni 1919 doch für die Unterzeichnung. Mit der Ratifikation trat das Vertragswerk am 10.1.1920 in Kraft.
Vertragsbestimmungen
Als klassisches Element europäischer Friedensschlüsse enthielt der Versailler Vertrag territoriale Bestimmungen zu Lasten des besiegten Staates: Neben allen Kolonien und dem 1871 annektierten Elsaß-Lothringen musste das Deutsche Reich auf Teile Ost- und Westpreußens sowie das Saarland verzichten; der Verlust dieser industriell z.T. hoch entwickelten Gebiete traf in Kombination mit der vorübergehenden Besetzung aller linksrheinischen Gebiete besonders die Wirtschaft schwer. Ohne Vorbild waren hingegen die Volksabstimmungen, die über die staatliche Zugehörigkeit einiger Grenzregionen entscheiden sollten. Des weiteren hatte Deutschland seine Streitkräfte auf 100.000 Mann zu reduzieren, die Wehrpflicht abzuschaffen sowie seinen Gegnern zumindest in der Theorie alle Kriegsverluste zu ersetzen: Der Vertrag sah daher die Leistung von Reparationen vor, deren Gesamthöhe allerdings noch nicht feststand.
Mehr als die hier nur angedeuteten Bestimmungen löste jedoch der sog. Kriegsschuldartikel 231 erbitterten Protest aus: Er war in erster Linie zur Legitimation der auferlegten Bedingungen gedacht und wies den Mittelmächten verkürzt und einseitig die Alleinschuld am Kriegsausbruch zu. Entsprechend dieser Logik mussten sie für alle Folgen aufkommen.
Bewertung des Vertrags
Die explizite moralische Verurteilung gehört deshalb auch zu den immer wieder kritisierten Schwächen des Friedens: Diese Demütigung des besiegten Feindes erschwerte nicht nur eine sachliche Bewertung des Vertrages, sondern beförderte in Deutschland zugleich die revisionistische Stimmung.
Noch problematischer erwies sich indes der Modus der Vertragsdurchführung: So verständigten sich die Alliierten bei komplexen Fragen zunächst nur auf Interimslösungen und verschoben deren endgültige Regelung auf einen späteren Zeitpunkt. In Verbindung mit den z.T. ausgedehnten Fristen für Gebietsbesetzungen und Volksabstimmungen führte dies dazu, dass das Reizthema Versailles immer wieder auf die tagespolitische Agenda zurückkehrte. Der Vertrag stellte also den internationalen Rechtsfrieden nicht dauerhaft, sondern nur unter Vorbehalt wieder her und machte somit das Entstehen neuer zwischenstaatlicher Konfliktherde von vorneherein wahrscheinlich.
Demgegenüber gingen die ebenso vorhandenen positiven Aspekte in der öffentlichen Debatte fast unter: Hier ist etwa hervorzuheben, dass der Vertrag keineswegs ein „Vernichtungsfriede“ war, der dem Reich auf Dauer jede Möglichkeit zur politischen und ökonomischen Entfaltung verschlossen hätte. Deutschland blieb vielmehr der größte und bevölkerungsreichste Staat in West- und Mitteleuropa und verfügte daher über das Potenzial, mittelfristig wieder zur Großmacht aufzusteigen. Die Friedenskonferenz begründete mit dem Völkerbund außerdem eine Institution, die als Basis für eine stabile Friedensordnung konzipiert war und als Forum der internationalen Kooperation dienen konnte.
Die deutsche Reaktion - „Der Kampf gegen Versailles“
Der ohnehin sofort eingeleitete deutsche „Kampf gegen Versailles“ erlebte dann auch infolge der im Vertrag vorgesehenen Ausführungsverfahren regelmäßig wiederkehrende Höhepunkte: Der Konflikt um Zahlung und Höhe der Reparationen schwelte etwa von der Festlegung einer kaum zu erbringenden Gesamtschuld 1921 - der Protest gegen dieses „Pariser Diktat“ war Anlass der ersten Massenversammlung Hitlers im Circus Krone - bis zum alliierten Verzicht auf weitere Leistungen im Jahre 1932. Er verursachte in der Zwischenzeit mehrere Regierungskrisen, die französische Besetzung des Ruhrgebietes 1923 und Kampagnen gegen neue Zahlungsvereinbarungen, die 1929 im von der NSDAP mit initiierten Volksbegehren gegen den Young-Plan mündeten.
Das tatsächliche Destabilisierungspotenzial solcher Konfrontationen wird jedoch erst deutlich, wenn man berücksichtigt, dass der „Kampf gegen Versailles“ im Grundsatz ein Anliegen fast aller deutschen Parteien darstellte: Extreme Gruppierungen erhielten also die Gelegenheit, sich als wahre Verfechter*innen eines nationalen Anliegens zu präsentieren und gemäßigte Politiker*innen einer zu kompromissbereiten Haltung („Erfüllungspolitik“) zu verdächtigen. Die politische Mitte übernahm darüber hinaus oft zu unkritisch die provokante Rhetorik der radikalen Kreise und versäumte somit, sich auch öffentlich vom „unbedingten Nein“ und dem Denken in Erbfeindschaften klar zu distanzieren.
Dagegen wurden die Erfolge der 1924 eingeleiteten Annäherungspolitik kaum betont. Von der Verwischung dieser Unterschiede profitierend, sicherte der „nationale“ Kampf gegen den Versailler Vertrag dem NS-Regime nach 1933 die Zustimmung vieler Bürger*innen: Die Siegermächte nahmen nun die einseitige Revision des Vertrags lange unentschlossen hin und ermöglichten es damit Hitler, sich als „Befreier Deutschlands“ zu inszenieren. Der NS-Propaganda fiel es also leicht, die Wiedereinführung der Wehrpflicht (1935), die Remilitarisierung des Rheinlands (1936) oder den sog. Anschluss Österreichs (1938) als Erfolge des „Führers“ zu feiern; sie verschwieg freilich, dass die vermeintliche Tilgung der „Schmach von Versailles“ inzwischen der Vorbereitung eines neuen Krieges diente.
Conze, Eckart: Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt. Frankfurt 2018.
Kolb,
Eberhard: Der Frieden von Versailles, München 2011.
Niedhart,
Gottfried: Die Außenpolitik der Weimarer Republik, München 2012.