Wehrmachtjustiz/Kriegsgerichte

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Verfasst von Dieter Pohl

Die deutsche Militärgerichtsbarkeit im Zweiten Weltkrieg

Die Militärgerichte wurden durch das „Gesetz über Wiedereinführung der Militärgerichtsbarkeit“ vom 12.5.1933 in Deutschland wieder etabliert; während der Aufrüstungsphase, besonders aber seit Kriegsbeginn 1939 expandierte die Wehrmachtsjustiz. Jede Division verfügte über ein Gericht, schätzungsweise gab es 1000 bis 1200 dieser Kriegsgerichte. Insgesamt waren etwa 3000 Juristen als Kriegsrichter und -ankläger tätig, im Laufe des Krieges zunehmend Personen mit immer geringerer Vorbildung.

Militärgerichte waren sowohl für Verfahren gegen Wehrmachtsangehörige als auch gegen Zivilist*innen, vor allem in besetzten Gebieten, zuständig. Bei der Besatzung in der Sowjetunion galt dies jedoch nur in Ausnahmefällen. Mit dem Erlass der Kriegssonderstrafrechtsverordnung und der Kriegsstrafverfahrensordnung von 1938/39 war den Militärgerichten die Handhabe für ein erbarmungsloses Vorgehen gegeben. Die Wehrmachtjustiz verstand sich als Straforgan im Nationalsozialismus, das radikal sowohl gegen vermeintlichen Defaitismus in den eigenen Reihen als auch gegen Widerstände von Ausländer*innen vorging. Insgesamt, so schätzt man, haben deutsche Kriegsgerichte etwa 40.000 Todesurteile verhängt, von denen ein erheblicher Teil vollstreckt worden ist.

In München befanden sich während des Krieges Militärgerichte des Ersatzheeres, so das Heeresgericht in der Artilleriestraße, das auch für Einheiten in Garmisch und Mittenwald zuständig war, sowie das Luftwaffengericht in der Prinzregentenstraße. Neben Alltagskriminalität in den Ersatzeinheiten sanktionierten diese Gerichte Vergehen gegen die Disziplin drakonisch. Bisher sind 32 Verurteilungen Münchner Wehrmachtsgerichte wegen Fahnenflucht, unerlaubter Entfernung oder Selbstverstümmelung ermittelt worden, darunter 26 Todesurteile, die alle zur Vollstreckung kamen. Darüber hinaus sind in München mindestens 69 Deserteure aus dem ganzen Reichsgebiet hingerichtet worden, Hunderte wurden dort inhaftiert.

In München amtierte zudem ein SS- und Polizeigericht in der Wagmüllerstraße, das vor allem für Angehörige der Waffen-SS und Polizei zuständig war, ebenso wie das Oberste SS- und Polizeigericht in der Karlstraße 10. Bei Kriegsende richteten SS und Polizei Standgerichte ein, die drakonisch gegen angebliche Defätist*innen vorgingen. Erst 2009 wurden die wegen ‚Kriegsverrat‘ Angeklagten pauschal rehabilitiert.

Quellen

Baumann, Ulrich/Koch, Magnus: „Was damals Recht war…“ – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht, Berlin 2008.
Gritschneder, Otto: Furchtbare Richter. Verbrecherische Todesurteile deutscher Kriegsgerichte. München 1998.
Kalmbach, Peter: Wehrmachtjustiz. Militärgerichtsbarkeit und totaler Krieg, Berlin 2012.
Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmachtjustiz 1933-1945, Paderborn 2005.
Reichelt, Stefanie: „Für mich ist der Krieg aus!“ Deserteure und Kriegsverweigerer des Zweiten Weltkriegs in München, München 1995.
Theis, Kerstin: Wehrmachtjustiz an der „Heimatfront“. Die Militärgerichte des Ersatzheeres im Zweiten Weltkrieg, Berlin 2016.

Empfohlene Zitierweise

Dieter Pohl: Wehrmachtjustiz/Kriegsgerichte (publiziert am 13.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/wehrmachtjustizkriegsgerichte-875