Wiederbewaffnung und Friedensbewegung (nach 1945)

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Verfasst von Detlef Bald

1955 beginnt der Wiederbewaffnungsprozess der Bundesrepublik Deutschland. Er wird begleitet von vehementen Protesten.

Demo der Gewerkschaftsjugend gegen die Wiederbewaffnung Münchens, Januar 1958 | SZ- Photo, ID: 118228

Chronologie der Wiederbewaffnung
Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland erfolgte zehn Jahre nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 in mehreren Etappen. Ihre Voraussetzung war der Deutschlandvertrag, in Kraft getreten am 5.5.1955. Dieser Vertrag mit den USA, Frankreich und Großbritannien beendete die Besatzungszeit und übertrug der Regierung in Bonn die „volle Macht“ eines souveränen Staates. Das Recht, Militärverbände aufzustellen, wurde am 9. Mai durch den Beitritt zur NATO dokumentiert.

Am 8.7.1955 wurde Theodor Blank zum ersten „Bundesminister für Verteidigung“ ernannt. Am 12.11.1955 erhielten die Generale Adolf Heusinger und Hans Speidel sowie einhundert Offiziere und Unteroffiziere ihre Ernennungsurkunden. Dieser Gründungstag der „neuen Wehrmacht“, wie die Bundeswehr noch Jahre genannt wurde, war gewählt worden, um am 200. Geburtstag von Gerhard von Scharnhorst die Tradition einer Reform des Militärs aufzugreifen. Die ersten freiwilligen Rekruten der Bundeswehr wurden im Januar 1956 eingestellt. Am 20.1.1956 rief Bundeskanzler Konrad Adenauer in einem mit traditionellem militärischen Zeremoniell begangenen Festakt des Heeres in Andernach den „Tag der deutschen Streitkräfte“ aus. Ab April 1957 traten im Rahmen der Wehrpflicht erstmals nach dem Weltkrieg junge Männer ihren militärischen Dienst an. Der Friedensumfang der Bundeswehr wuchs rasch an, bis dann um 1965 die Größenordnung von 500.000 Soldaten erreicht wurde.

Internationale Einbindung des deutschen Militärs
Im Mai 1945 bestand das Ziel der alliierten Politik darin, eine „Bedrohung des Weltfriedens“ durch Deutschland zu verhindern und „Nazismus und Militarismus in jeder Form“ auszuschalten. Das bedeutete zunächst völlige Entmilitarisierung. Der politisch-ideologische Konflikt zwischen Ost und West und die Spannungen des Kalten Krieges schufen mit Beginn des Korea-Krieges 1950 die Voraussetzungen für die Wiederbewaffnung. Als Lehre aus der Geschichte entwickelten die West-Alliierten das System der „doppelten Eindämmung“ (Rolf Steininger): Schutz gegenüber dem Kommunismus und Sicherheit vor den Deutschen. Dies bildet den politisch-historischen Kontext, in dem die Wiederbewaffnung ermöglicht wurde. Dies hatte zweierlei zur Folge: Zum einen fand die Kontrolle des deutschen Militärs im Rahmen der NATO-Struktur statt. Über Jahrzehnte hatte die Führung der Bundeswehr keine eigenständige Einsatzkompetenz über die Soldaten. Die deutsche Sicherheitspolitik musste stattdessen die 1955 vertraglich vereinbarten „Vorbehaltsrechte“ der Alliierten berücksichtigen. Die Bundeswehr wurde vollständig international integriert, eine grundsätzliche Lösung, die bis in die Gegenwart Geltung hat. Zum anderen wurde eine gewisse Transparenz der Bundeswehr durch die WEU (Westeuropäische Union) hergestellt, deren weitreichende Kompetenzen sowohl die Auflagen für die Rüstungsindustrie als auch die Kontrolle aller Waffenbestände und Kasernen, der Depots und Geräte der Bundeswehr selbst betrafen. In Hunderten von Vor-Ort-Inspektionen wurden die deutschen Streitkräfte durch Verifikation überprüft.#
Deutsche Initiativen zur Aufstellung von Streitkräften
Auf deutscher Seite war Adenauer der maßgebliche politische Motor der Wiederbewaffnung. Sein politischer Ansatz basierte auf der klassischen Konzeption eines Nationalstaats mit Militär als Attribut souveräner Macht. Seit 1947 hatten ihm ehemalige Generale Studien zur „Sicherheit Westeuropas“ geliefert; ein Memorandum vom Juni 1948 forderte, unter US-Oberbefehl deutsche „Panzertruppen […] anstelle von Besatzungstruppen“ (Hans Speidel) aufzustellen. Nach der Gründung der Bonner Republik im September 1949 startete Adenauer seine Aufrüstungsinitiativen. In Interviews bereitete er sein Konzept vor, das er mit den Hohen Kommissaren, an der Spitze der Amerikaner John McCloy, abklärte. Den entscheidenden Erfolg verbuchte der Kanzler Anfang September 1950 mit offiziellen Noten an die Westmächte. Darin präsentierte er die zwei Säulen seiner Politik: „Erlangung der Souveränität“ nur „als Folge der Wiederbewaffnung“ (Konrad Adenauer). Die Aufrüstung ist also ein zentrales Element der Politik der Westintegration. Die Vorbereitung dieses Konzepts lag seit Beginn des Jahres 1950 in den Händen des ehemaligen Generals Gerhard Detlef Graf von Schwerin; er leitete das Militärreferat im Kanzleramt, getarnt als „Zentrale für Heimatdienst“. Von hier aus arrangierte man in intensiven Besprechungen vor allem mit dem US-General George Hays die Wiederbewaffnung. Ein erster praktischer Schritt in diese Richtung wurde am 6.10.1950 getan. Im Eifelkloster Himmerod entstand die entscheidende Planung: die „Magna Charta der deutschen Wiederbewaffnung“ (Hans-Jürgen Rautenberg). Die operativen Maximen des Ostfeldzugs der Wehrmacht standen Pate einer europaweiten „Gesamtverteidigung von den Dardanellen bis nach Skandinavien“. Man verstand Verteidigung ganz im Geiste der Wehrmacht „von vornherein offensiv“ und sah auch die Bewaffnung mit Atombomben vor. Diese „Himmeroder Denkschrift“ kann als eigentliche Geburtsstunde der Bundeswehr bezeichnet werden. Sie enthielt auch den Keim der Militärreform. Wolf Graf von Baudissin hatte Elemente des „Staatsbürgers in Uniform“ mit dem Konzept der „Inneren Führung“ durchgesetzt. Das bedeutete: Anerkennung des Primats der Demokratie und des Pluralismus, daher keine Bildung eines „Staat-im-Staate“ wie im Militarismus. Die Wiederbewaffnung erzeugte Ambivalenz: Traditionalismus stand gegen Reform, zwei „Fronten“ entstanden – eine Last über Jahrzehnte.

Protest und Mahnung der Friedensbewegung – auch in München
Gegen diese Politik, die von ihren Kritikern als „Remilitarisierung“ bezeichnet wurde, formierten sich vehemente Proteste. Sie fanden hauptsächlich zwischen 1949 und 1955 statt; in der Phase danach stand die Atombewaffnung im Fokus der kontroversen Debatte. Bekannte Persönlichkeiten gingen an die Öffentlichkeit, etwa der Politiker Gustav Heinemann, der Friedens-Nobelpreisträger Albert Schweitzer, der katholische Priester Franziskus M. Stratmann, der evangelische Pastor Martin Niemöller oder auch der Philosoph Karl Jaspers. Große Resonanz fanden seit dem Frühsommer 1950 die Friedensaufrufe gesellschaftlicher Gruppen. Die Proteste der evangelischen Synoden und der kirchlichen Jugendverbände gegen die Aufrüstung und die Wehrpflicht wurden laut. Die Gewerkschaften waren in der Frage der Wiederbewaffnung gespalten. Gewerkschaftliche Proteste gab es vor allem auf lokaler Ebene. Eine einheitliche Ablehnung durch den DGB kam jedoch nicht zustande, u.a. weil Adenauer den prominenten Gewerkschaftsführer Theodor Blank (CDU) politisch eingebunden und ihm Ende 1950 die Aufgaben des entlassenen Beraters für Militär- und Sicherheitsfragen, Graf von Schwerin, übertragen hatte. Die „Ohne-mich-Bewegung“, die persönliche Verweigerung des Militärdienstes, fand Anhänger. Dann faszinierte, von England her, das Modell der Ostermarschierer; es gab die ersten Massendemonstrationen der Friedensbewegung.

Pax Christi, stark von französischer Seite geprägt, gewann Einfluss, überzeugte mit dem Friedensdiskurs und trug ihn in den zunächst zögerlichen deutschen Episkopat; bedeutsam waren Friedensgebete, die großen Wallfahrten und Friedensrouten nach Lourdes, an denen schon 1948 Kardinal Michael von Faulhaber teilnahm. In Kürze waren nahezu alle Diözesen beteiligt; diese breite Bewegung umfasste Kontakte zu dem Theologen Romano Guardini an der Universität München sowie zu dem katholischen Publizisten Walter Dirks in Frankfurt. Frieden und demokratische Erneuerung waren deren Ziele. In München trat Manfred Hörhammer wie ein Wanderprediger an die Öffentlichkeit; daneben agierte eine sehr aktive demokratische Frauenbewegung. Herausragend in Bayern war Ilse Reventlow, die über den Rundfunk wirkte; hinzu kamen Lisa Albrecht, die erste Vorsitzende der SPD, Renate Sprengel und die jüdische Emigrantin Jella Lepmann, die durch die internationale Jugendbibliothek bekannt wurde. Sie verstanden sich als Sprachrohr antimilitaristischer Frauen mit demokratischen Grundsätzen.

Die antimilitärischen Proteste spielten eine große Rolle in den Medien. Adenauer reagierte auf diese Bewegung mit intensiven Kampagnen. Personen und Proteste wurden diffamiert, mitunter sogar als Gehilfinnen Moskaus.

Quellen

Bald, Detlef: Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte, München 2005.
Bald, Detlef/Wette, Wolfram (Hg.): Friedensinitiativen in der Frühzeit des Kalten Krieges 1945-1955, Essen 2010.
Steiniger, Rolf u.a. (Hg.): Die doppelte Eindämmung. Europäische Sicherheit und deutsche Frage in den Fünfzigern, München 1993.
Stöver, Bernd: Der Kalte Krieg. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007.
von Schubert, Klaus (Hg.): Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumentation, 2. Bde., Bonn 1977/78.
Steininger, Rolf: Deutsche Geschichte seit 1945. Darstellung und Dokumente in vier Bänden 1948-1955, Frankfurt a.M. 1997.

Empfohlene Zitierweise

Detlef Bald: Wiederbewaffnung und Friedensbewegung (publiziert am 18.12.2023), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/wiederbewaffnung-und-friedensbewegung-886