Die Stadt unter der Erde, die einst das Warschauer Ghetto war, lässt es nicht zu, dass wir sie vergessen. Immerzu gibt sie Bruchstücke der Erinnerung an sich preis. Jedes Mal, wenn die Baumaschinen der Stadtentwickler die Oberfläche aus Beton und Asphalt aufreißen, legen sie Umrisse der alten Gebäude und Pflastersteinstraßen jener Stadt frei – der Stadt, wie sie vor der Zeit zwischen 1939 und 1945 existierte. Materielle Hinweise auf das alte Leben drängen inmitten der Grabungsarbeiten der Bulldozer ans Tageslicht hervor und verlangen unübersehbar nach Aufmerksamkeit.
Jenes Leben fand ein abruptes Ende, wurde zermalmt, durch Flammen zerstört. Was übrig blieb – neben fragmentarischen Erinnerungen – sind die Bruchstücke von materiellen Dingen, die die mit der urbanen Entwicklung beschäftigten Planer*innen nur allzu gern umstandslos beseitigt sehen oder zumindest gleich wieder in die Erde versenken würden. Doch die Relikte sind eine Tatsache. Und als solche rufen sie Künstler*innen, Autor*innen, Museen und andere mit Erinnerungskultur verbundene Institutionen auf, sich ihrer anzunehmen, sie öffentlich zu machen, damit sie Zeugnis ablegen können von der kompletten Zerstörung jener Welt – deren materielle Beweise wir nun mit eigenen Augen zu sehen vermögen.
Tatsächlich gilt es bei der Betrachtung dieser in Schutt und Asche gelegten Stadtlandschaft zwischen zwei Teilen zu unterscheiden – dem polnischen Teil und einem Sektor in seinem Inneren, der als jüdisch ausgewiesen war. Von 1940 bis 1943 waren die zwei Bereiche durch eine Mauer getrennt; sie diente dem Zweck, Jüdinnen und Juden von Pol*innen zu trennen. Die einen waren ‚lebensunwertes Leben‘, zu mühseliger Plage und am Ende schließlich zum qualvollen Tod verdammt. Die anderen, deren selektive Vernichtung ihnen ihre Eliten und die Kraft zum Widerstand nahm, sollten auf die Kategorie ‚Untermensch‘ gestuft und auf ihre Arbeitskraft reduziert werden. Beide Teile sind vom Tod und durch ein Fundament dunkler, urbaner Erinnerungen gekennzeichnet – und sind davon doch in unterschiedlichem Ausmaß geprägt. Nicht zuletzt, da am Ende das Gebiet des gesamten Ghettos in einen einzigen Friedhof verwandelt wurde.