Natalia Romik, Hideouts. The Architecture of Survival, 2022, Foto: Daniel Chrobak

Artikel
von Piotr Rypson

In materieller Form – nach dem Holocaust

Ein Essay von Kurator Piotr Rypson zur Ausstellung Materializing. Zeitgenössische Kunst und die Shoah in Polen (20.10.2023 bis 25.02.2024)

„Ich denke, der Hauptunterschied, den wir zwischen der Postmoderne und dem gerade Entstehenden erkennen, ist eine Verlagerung des Fokus vom Text zur Materialität. Unser Interesse ist nicht länger so sehr auf das gerichtet, was nicht mehr da ist, sondern auf das, was noch ist.“1

Jacek Leociak im Gespräch mit Ewa Domańska über die Postmoderne, das Hoffen auf die Macht der Kritik und das Vermächtnis des Holocaust.

Die Stadt unter der Erde, die einst das Warschauer Ghetto war, lässt es nicht zu, dass wir sie vergessen. Immerzu gibt sie Bruchstücke der Erinnerung an sich preis. Jedes Mal, wenn die Baumaschinen der Stadtentwickler die Oberfläche aus Beton und Asphalt aufreißen, legen sie Umrisse der alten Gebäude und Pflastersteinstraßen jener Stadt frei – der Stadt, wie sie vor der Zeit zwischen 1939 und 1945 existierte. Materielle Hinweise auf das alte Leben drängen inmitten der Grabungsarbeiten der Bulldozer ans Tageslicht hervor und verlangen unübersehbar nach Aufmerksamkeit.

Jenes Leben fand ein abruptes Ende, wurde zermalmt, durch Flammen zerstört. Was übrig blieb – neben fragmentarischen Erinnerungen – sind die Bruchstücke von materiellen Dingen, die die mit der urbanen Entwicklung beschäftigten Planer*innen nur allzu gern umstandslos beseitigt sehen oder zumindest gleich wieder in die Erde versenken würden. Doch die Relikte sind eine Tatsache. Und als solche rufen sie Künstler*innen, Autor*innen, Museen und andere mit Erinnerungskultur verbundene Institutionen auf, sich ihrer anzunehmen, sie öffentlich zu machen, damit sie Zeugnis ablegen können von der kompletten Zerstörung jener Welt – deren materielle Beweise wir nun mit eigenen Augen zu sehen vermögen.

Tatsächlich gilt es bei der Betrachtung dieser in Schutt und Asche gelegten Stadtlandschaft zwischen zwei Teilen zu unterscheiden – dem polnischen Teil und einem Sektor in seinem Inneren, der als jüdisch ausgewiesen war. Von 1940 bis 1943 waren die zwei Bereiche durch eine Mauer getrennt; sie diente dem Zweck, Jüdinnen und Juden von Pol*innen zu trennen. Die einen waren ‚lebensunwertes Leben‘, zu mühseliger Plage und am Ende schließlich zum qualvollen Tod verdammt. Die anderen, deren selektive Vernichtung ihnen ihre Eliten und die Kraft zum Widerstand nahm, sollten auf die Kategorie ‚Untermensch‘ gestuft und auf ihre Arbeitskraft reduziert werden. Beide Teile sind vom Tod und durch ein Fundament dunkler, urbaner Erinnerungen gekennzeichnet – und sind davon doch in unterschiedlichem Ausmaß geprägt. Nicht zuletzt, da am Ende das Gebiet des gesamten Ghettos in einen einzigen Friedhof verwandelt wurde.

Die großformatige Karte, die nach dem Krieg vom Capital Reconstruction Office, dem Büro zum Wiederaufbau der Hauptstadt, angefertigt worden war, um die Zerstörung der urbanen Strukturen Warschaus zu dokumentieren, weist nahezu alle Gebäude im zentralen Teil der Stadt als niedergebrannt oder zu beschädigt zum Wiederaufbau aus. Lediglich ein einziges Gebiet ist nicht erfasst, und zwar das ehemalige Warschauer Ghetto. Dort war einfach nichts mehr vorhanden, das kategorisiert werden konnte. Es war eine Wüste voller Ruinen – und doch wurden sogar diese, noch während sich der Krieg dem Ende zuneigte, verwertet und systematisch wiederaufbereitet. Die Arbeit wurde von KZ-Häftlingen verrichtet; dies war der Ort, wo Max Mannheimer (später ein berühmter Münchner) im Herbst 1943 an der Seite seines Bruders Edgar Zwangsarbeit leisten musste. So unglaublich es aus heutiger Sicht auch klingen mag, die damals zusammengeklaubten Backsteine wurden noch abtransportiert und ins ‚Reich‘ gebracht.

Das gleiche leere Gebiet ist auf fotografischen Luftaufnahmen zu erkennen, die vermutlich im Anschluss an die Liquidierung des Ghettos entstanden sind; möglicherweise stammen sie aber auch aus der Zeit nach dem Warschauer Aufstand im August 1944, im Zuge dessen ein Großteil Warschaus zerstört wurde. Die Stadt Warschau allerdings wurde nach und nach wiederaufgebaut, wohingegen vom jüdischen Viertel nurmehr kärgliche Spuren übrig waren. In der erwähnten Luftaufnahme sieht es aus, als habe jemand mit einem Stock Linien in den Sand gezeichnet. Nach Kriegsende wurde über das Linienraster dann ein neues Straßennetz mit neuen Gebäuden gelegt und von 1949 bis1956 der Bezirk Muranów erbaut.

Luftaufnahme des zerstörten Warschauer Ghettos, nach 16. Mai 1943 | © United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of National Archives and Records Administration, College Park, Maryland, USA

Manche der Trümmer wurden verwendet, um Warschau nach dem Krieg wieder aufzubauen. Bevor neue Wohnprojekte auf den verbliebenen Schuttbergen hochgezogen wurden, bot die Trümmerlandschaft einen schmerzlichen, tief erschütternden Anblick. Was daraus entstand, war eine frühe Welle von künstlerischen Werken, die den Horror der nicht lange zurückliegenden Zeit heraufbeschworen und – mitunter auch ohne willentliche Absicht – symbolisch für den Tod der Menschen standen, die dort noch wenige Jahre zuvor gelebt hatten.

Der Architekt Bohdan Lachert, ein Vertreter des Modernismus, nach dessen Entwurf das Wohnviertel Muranów auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Ghettos errichtet werden sollte, plante, die neuen Gebäude auf Terrassen hochzuziehen, die aus den Trümmern aufgeschüttet werden sollten – das eigenwillige Konzept sollte als Denkmal in Erinnerung an die Märtyrer*innen dienen.2 Man ging dabei sogar so weit, den frischen roten Backstein der Gebäude mit der Farbe des dort vergossenen Blutes zu vergleichen. Während der kommunistischen Ära Polens tat die offizielle Sprache der Politik und die der polnischen Medien dann ihr Bestes, jede Erinnerung an die Sonderstellung des Ghettos auszulöschen, Unterschiede wurden verwischt und die wirkliche Natur der Tragödie verallgemeinert. Nur wenige Personen hielten die Erinnerung an das, was tatsächlich im Ghetto geschehen war, lebendig. Der Schriftsteller Jerzy Jurandot, ein Überlebender des Warschauer Ghettos, schrieb die folgenden Zeilen, nachdem der neue Wohnbezirk errichtet worden war:

„Warschaus Muranów steht heute als ein hoher Hügel da; um zu den neu gebauten Häusern zu gelangen, muss man Stufen hochsteigen. Dieser Hügel entstand aus den Überresten von Gebäudemauern und den Knochen der Menschen, die dort von 1940 bis 1945 gewohnt haben. Ich denke, dieser Hügel sollte den vielen Touristen, die nach Warschau kommen, zur Kenntnis gebracht werden, denn sehr wahrscheinlich gibt es nirgendwo auf der ganzen Welt etwas, das damit vergleichbar wäre.“3

Welche Absichten auch immer bestanden haben mögen, dem Ghetto in diesem Bezirk ein Denkmal zu setzen, so waren sie schon bald im Sande verlaufen – zunichte gemacht von der Politik, einem Gefühl allgemeiner Verdrängung der toten Bewohner*innen und nicht zuletzt von den Dynamiken des neuen Lebens, das in Muranów Einzug gehalten hatte.

Für die Kunst in Polen war der Holocaust schon zur Zeit der deutschen Besetzung des Landes ein Thema. Holocaust-Kunst wurde zum einen von jüdischen Künstler*innen in den Ghettos von Warschau (Roman Kramsztyk, Witold Lewinson, Halina Ołomucka und Gela Seksztajn) und Łódź (Wincenty Brauner) geschaffen. Doch auch polnische Künstler*innen widmeten sich dem Thema, etwa Felicjan Szczęsny Kowarski, Bronisław Linke, Władysław Strzemiński, Mieczysław Wejman. Später kamen dann Werke von prominenten jüdischen Künstler*innen hinzu, die überlebt hatten. Die Sprache, die in diesen frühen Werken zum Ausdruck kam, rief starke Emotionen hervor; sie war hauptsächlich expressiv und zugleich darauf bedacht, jeden Pathos zu vermeiden. Der schöpferische Akt war eine Form der Selbsttherapie. Andere Werke wiederum standen in Beziehung zu tragischen Ereignissen, die die Künstler*innen selbst erlebt hatten – und dabei der eigenen Vernichtung häufig nur um Haaresbreite entgangen waren. Unter solchen Eindrücken entschieden sich manche gar für das Mittel der fratzenhaften Übersteigerung. Zeichnungen und Drucke, die in den Konzentrationslagern im besetzten Polen oder dem ‚Reich‘ entstanden, verfolgten eine ähnliche Richtung. Ihre künstlerische Sprache hatte sich inmitten einer Welt entwickelt, die von den erbarmungslosen Akten der Zerstörung ganz und gar aus den Fugen geraten war.

Die Werke, die nach dem Krieg entstanden, waren anders. Ihr Zweck war es, die begangenen Verbrechen zu dokumentieren, die heroischen Widerstandskämpfer*innen zu würdigen und Symbole und Metaphern zu ersinnen, die – wie nüchtern dies auch immer geschehen mochte – geeignet waren, einen Eindruck von der Katastrophe zu vermitteln. Eine Katastrophe, die das allgemeine Vertrauen in die menschliche Natur zutiefst erschüttert und alle zuvor selbstverständlichen Wahrheiten, seien sie moralischer, religiöser oder zivilisatorischer Art, zunichte gemacht hatte. Im Schatten großer Themen der Ethik wie etwa der Frage, ob man nach Auschwitz überhaupt noch ein Gedicht schreiben kann, und der impliziten Aufforderung zum Stillschweigen, tauchten Hunderte oder gar Tausende von Darstellungen auf, die versuchten, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. Während die Zeit verging – und ich werde nun die folgende Verallgemeinerung wagen – wurde die Sprache der Kunst zunehmend erweitert; der Fokus richtete sich allgemeiner auf die menschliche Natur, während die Diskussion darüber, ob es überhaupt möglich ist, ein Ereignis wie die Shoah darzustellen, ein integraler Teil dieses neuen, auf allgemeinerer Ebene geführten Diskurses wurde.

Der Fall Warschau bleibt nichtsdestotrotz ein spezieller. Das Ghetto, ein Ort im Herzen einer lebenssprühenden Großstadt, an dem nahezu eine halbe Million Menschen eingeschlossen waren, um am Ende brutal ermordet zu werden, wurde schließlich dem Erdboden gleichgemacht und nach dem Krieg mit neuen Bauprojekten überzogen. Und doch bringt sich jene Stadt unablässig in Erinnerung; sie begegnet uns in materieller Form, aber auch durch die Arbeit von Historiker*innen, Schriftsteller*innen und Künstler*innen. Der Holocaust kehrte in Polen als Thema zurück, nachdem das Massaker von Jedwabne4 (verübt oder mitverübt von den polnischen Nachbar*innen der Opfer) aufgedeckt worden war. Es war eine Enthüllung, die große Teile der polnischen Gesellschaft in einen tiefen Schockzustand versetzte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lösten dann Agnieszka Arnolds Filme, Jan Tomasz Gross’ Bücher und nachfolgende akademische Publikationen eine heftige Kontroverse über eine polnische Mittäterschaft am Holocaust aus – ein Disput, der bis zum heutigen Tag ungebrochen weitergeht.

Gedenkstein in Jedwabne, 2009 | © Wikimedia Commons / Fczarnowski

Ein Schlüsselmoment, wenn es um das Gedenken an den Ort des Warschauer Ghettos im städtischen Umfeld geht, war im Jahr 2001 das Erscheinen des monumentalen historischen Guides Getto warszawskie. Przewodnik po nieistniejącym mieście (‚Warschauer Ghetto. Ein Guide durch die nichtexistente Stadt‘) von Barbara Engelking und Jacek Leociak.5 Beide, die Autorin und der Autor, sind in wissenschaftlicher Funktion am Polnischen Zentrum zur Erforschung des Holocaust an der Polnischen Akademie der Wissenschaften tätig. Dank ihrer beeindruckend detaillierten Publikation fanden wir uns schließlich in die Lage versetzt, mit Untersuchungen zur materiellen Substanz der ehemaligen Stadt zu beginnen. Das Ghetto verschaffte sich nicht länger nur auf symbolische Art Präsenz, sondern zunehmend auch in materieller Form. In den Worten von Jacek Leociak:

„Die Zerstörung des Ghettos ist nicht die Zerstörung eines Ortes. Der Ort bleibt bestehen; er ist nun allerdings leer (ungeachtet der darauf gesetzten Gebäude), ist öde und tot (obgleich voller Leben). Das Ghetto, das sich hier befand, wurde ausgelöscht, doch das ‚Hier‘ bleibt bestehen, nur dass es nun unter einer anderen materiellen Substanz verborgen ist. Der Nachhall des Ghettos ist ein paradoxes Erleben. Es macht die Gegenwart zu einer leeren Wüste und bringt Spuren aus der Nichtexistenz ans Tageslicht, zerrt sie unter Bergen an Ignoranz, Gleichgültigkeit, Vergessen, Unwissenheit hervor. Die Erfahrung wird von einer besonderen Öffnung oder Erweiterung des Sehens begleitet, einer Dopplung der Perspektive. Hier beginne ich das zu sehen, was ich nicht zu sehen vermag (ein in der Vorstellung wiederauferstandenes Ghetto); und zur gleichen Zeit vermag ich das, was ich eigentlich sehe, nicht länger zu sehen (die Realität des Hier und Jetzt). Die Topografie des heutigen Muranów wird ausgeklammert, verwandelt sich in eine Art durchlässigen Schleier, der das eigentliche Objekt der Betrachtung umhüllt. In unserer Wahrnehmung bewegen wir uns durch die Straßen, auf den Bürgersteigen und über die Plätze von Muranów, als würden wir auf einer mit schwarzer Farbe bemalten Glasplatte gehen, wobei das Darunterliegende durch den Farbanstrich hindurch erkennbar bleibt. Und was sich unter unseren Füßen erstreckt, ist das Ghetto – eine Phantomstadt.“6

Eben diese Stadt klopft an die Türen der Lebenden in Piotr Pazińskis exzellenter Sammlung von Kurzgeschichten Ptasie ulice (2013) (‚Vogelstraße‘).7 Der Erzähler begibt sich auf die Fährten ephemerer Figuren, die in der anderen Stadt existieren, sich aber irgendwie in unsere Welt verirrt haben. In Wahrheit jedoch führt kein Weg von der einen in die andere Stadt.

„Wir sind nie durch jene Straßen gegangen. Für niemanden war das überhaupt vorstellbar; es war, als hätten wir uns selbst den Zutritt verboten […] Wir haben nie jemanden dort besucht. Es gab keine Freunde oder Bekannten. Die Oma, meine Onkel und Tanten, Tecia and Roma, Leon, Abram und Doctor Kamińska hatten dort nicht lange gelebt. Das Leben in unserer Stadt ging nun an anderer Stelle weiter und es gab für uns keine Belange in unserer Zeit, die sich mit jenen Bezirken verbanden. Weder war die Möglichkeit zur Rückkehr gegeben, noch gab es irgendwelche Orte, an die man überhaupt zurückkehren konnte. Dass die Namen jener einstigen Straßen auf den Karten von Warschau noch immer verzeichnet waren, wurde als absurd empfunden, galt als Verfälschung, wenn nicht gar schamlose Verhöhnung der Geschichte. War doch das zeitgenössische Straßennetz willkürlich darübergelegt worden, so als habe es dort nie ein anderes gegeben. Oder zumindest konnte es keines gewesen sein, das fest im Boden verankert war; vielleicht hatte es irgendwie im leeren Raum gehangen, das Nichts nur unzulänglich kaschierend.“8

Die Ausstellung Materializing. Zeitgenössische Kunst und die Shoah in Polen im NS-Dokumentationszentrum München wurde von uns im Geist des soeben beschriebenen Gedankenspiels konzipiert. Die unterschiedlichsten Techniken und Stile sind in den Werken zum Ausdruck gebracht. Was sie jedoch alle gemeinsam haben, ist die von den Künstler*innen verwendete Strategie: Der Gestaltung der Struktur und der Entscheidung über die finale Form des Werkes ging in jedem Fall eine gründliche Recherche des Themas voraus. Damit erschließen die Künstler*innen geschichtswissenschaftliche und archäologische Terrains für sich, wobei sie die Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit anderen Mitteln veröffentlichen und zwar solchen, die besonders wirkmächtig sind. Die meisten Werke stellen die im Titel genannte materielle Form in einen zeitgemäßen Kontext. Statt auf symbolische Darstellungen oder Metaphern zurückzugreifen, werden verschiedenste Formen der Konkretisierung untersucht. Die auf den nächsten Seiten folgenden kurzen Erläuterungen gewähren Einblicke in die einzelnen Werke.

Wir präsentieren die Werke der polnischen Künstler*innen im Kontext der permanenten Ausstellung des NS Dokumentationszentrums München, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und den Nachwirkungen dieses verbrecherischen, totalitären Regimes auseinandersetzt. Jede der Arbeiten hat einen Bezug zur Shoah auf polnischem Boden. Manche der Künstler*innen haben sich sogar daran gemacht, physisch in der Erde nach Erinnerungen zu graben.

Zuzanna Hertzberg, Mechitza: Individual and Collective Resistance of Women During the Shoah, 2019–2022 | Courtesy of the artist | © nsdoku, Foto: Connolly Weber

Elżbieta Janicka & Wojciech Wilczyk, The Other City (Inne Miasto), 2011–2013 | Courtesy of the artists & Zachęta National | © nsdoku, Foto: Connolly Weber

Paweł Kowalewski, Strength and Beauty. A Very Subjective History of Polish Mothers (Polnishe Mame), 2015 | Courtesy of the artist | © nsdoku, Foto: Connolly Weber

Agnieszka Mastalerz, UZ, 2020 | Courtesy of the artist & eastcontemporary gallery | © nsdoku, Foto: Connolly Weber

Natalia Romik, Hideouts. The Architecture of Survival. Vacant lot in the Jewish Cemetery (Warsaw, Poland), 2022 | Courtesy of the artist & TRAFO Center for Contemporary Art & Zachęta National Gallery | © nsdoku, Foto: Connolly Weber

Wilhelm Sasnal, First of January, 2021 | Courtesy of the artist & Foksal Gallery Foundation | © nsdoku, Foto: Connolly Weber

Artur Żmijewski & Zofia Waślicka-Żmijewska, We've Been Looking in Ashes, 2021–2022 | Courtesy of the artists | © nsdoku, Foto: Connolly Weber

Zum Abschluss dieser Ausführungen gestatte ich mir, den Blick auf einen weiteren Vorfall zu lenken, der sich, historisch betrachtet, unlängst auf gleichem Terrain ereignet hat – noch während wir mit dieser Auseinandersetzung befasst sind. Am 1. März 2022 wurde die Welt von Nachrichten über den Angriff eines russischen Raketengeschosses auf Babyn Jar erschüttert – dem Ort in Kyjiw, an dem die deutschen Nationalsozialisten den Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden in gigantischem Maßstab begingen. Im September 1941 wurden dort im Verlauf von nur wenigen Tagen mehr als 33.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder erschossen. Ihre Leichname wurden neben denen von zehntausenden anderen Opfern am Schauplatz des Verbrechens vergraben. Ein Gedenkprojekt zur Erinnerung an die Opfer, das, wenngleich kontrovers debattiert, über mehrere Jahre bestanden hatte, wurde durch den russischen Raketenangriff unterbrochen. Wie der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj zu der Zeit schrieb:

„Was ist der Sinn, 80 Jahre lang ‚nie wieder‘ zu sagen, wenn die Welt stillschweigend zuschaut, während eine Bombe auf dieselbe Stelle in Babyn Jar fällt?“9

Wenn Worte nicht ausreichen, greifen wir auf die materielle Form zurück. Damit die Erinnerung nicht ganz und gar verschwindet.

Aus dem Englischen übersetzt von Tim Beeby & Sabine Bürger

Quellen

1 Zagłada Żydów. Studia i Materiały 10 (2011), S. 513.

Bohdan Lachert, Muranów – Dzielnica mieszkaniowa, Architektura (1949) Nr. 5, S. 129-132: „[…] die Konstruktion eines neuen Wohnbezirks […] auf den Trümmerhaufen wird ein Zeugnis neuen Lebens auf den Ruinen der alten Sozialbeziehungen sein, in einer Gegend, die ein mahnendes Andenken an die noch nie dagewesene Barbarei des Hitlerregimes sowie den Heldenmut der Widerständigen im Ghetto darstellt. Das Museum des Kampfes gegen den Faschismus […] im Gefängnis Gęsiówka, das Denkmal zur Erinnerung an die Held*innen des Ghettos, das Gebiet des Warschauer Martyriums […] verbleibt auf gleicher Höhe wie vor der Katastrophe; die neuen Gebäude hingegen werden auf Terrassen errichtet, die aus den Schutthaufen aufgeschüttet worden sind.“ Weitere Beschreibungen zitiert nach: Piotr Matywiecki, Kamień graniczny, Warschau 1994, S. 489-494. Mein Dank gilt Adam Przywara, der mich auf diese Quellen aufmerksam gemacht hat.

Jerzy Jurandot, Stefania Grodzieńska, City of the Damned: Two Years in the Warsaw Ghetto. Ghetto Children, übers. v. Jolanta Scicińska, Warschau 2015, S. 411.

4 Das Massaker von Jedwabne war ein Pogrom in Jedwabne und der Umgebung an jüdischen Einwohner*innen der Kleinstadt im nordöstlichen Polen am 10. Juli 1941, bei dem mindestens 340 Menschen ermordet wurden.

5 Barbara Engelking, Jacek Leociak, Getto warszawskie. Przewodnik po nieistniejącym mieście, Warschau 2001. Englische Ausgabe: The Warsaw Ghetto: A Guide to the Perished City, übers. v. Emma Harris, New Haven 2009.

6 J. Leociak, „Boże, gdzie jest Gęsia?“, www.dwutygodnik.com (Zugang am 10.07.2023).

7 Piotr Paziński, Ptasie ulice, Warschau 2013.

8 Piotr Paziński, Izaak Feldwurm’s Manuscript, in: Bird Streets, übers. v. Ursula Phillips, wird in Kürze bei Vine Editions, Detroit, erscheinen. Ich danke Piotr Paziński für sein Entgegenkommen, den Text vorab verfügbar zu machen.

9 Jeffrey Veidlinger, A brief history of Babi Yar, where Nazis massacred Jews, Soviets kept silence and now Ukraine says Russia fired a missile, The Conversation, 8. März 2022, theconversation.com (Zugang am 10.07.2023); siehe auch: Masha Gessen, The Holocaust Memorial Undone by Another War, (Zugang am 10.07.2023).