Hermann Göring (1.1.1893 Rosenheim – 15.10.1946 Nürnberg)

Biographies
Verfasst von Peter Longerich

Führender nationalsozialistischer Politiker, designierter Nachfolger Hitlers

Gründung der Harzburger Front, Bad Harzburg, Göring (3.v.r.) | Bundesarchiv, Bild 102-02134, Foto: Georg Pahl

Göring war der Sohn des Diplomaten und ehemaligen Reichskommissars für die Kolonie Deutsch-Südwestafrika, Ernst Heinrich Göring, und seiner Frau Franziska (geb. Tiefenbrunn). Die Familie lebte mit ihren insgesamt fünf Kindern seit der Pensionierung des Vaters im Jahre 1896 in verschiedenen Anwesen, die dem Patenonkel Hermann Görings, Hermann von Epenstein, gehörten, unter anderem in der fränkischen Burg Veldenstein. Hermann Göring besuchte zunächst verschiedene Schulen in Fürth und Ansbach und trat 1905 in die Kadettenanstalt in Karlsruhe ein, von der er 1909 an die Hauptkadettenanstalt in Lichterfelde bei Berlin wechselte. 1913 machte er das Abitur und wurde anschließend Offizier in der kaiserliche Armee.

Am Ersten Weltkrieg nahm er zunächst als Leutnant der Infanterie teil. Ende 1914 wurde er Angehöriger der Fliegertruppe, zunächst als Beobachter, dann als Kampfpilot. Er erzielte insgesamt 22 Luftsiege und wurde mit dem Orden Pour le Mérite ausgezeichnet; am Ende des Krieges war er als letzter Kommandeur des Richthofens-Jagdgeschwaders einer der bekanntesten deutschen Jagdflieger. 1920, anlässlich seiner Verabschiedung aus der Reichswehr, wurde er zum Hauptmann befördert. Göring hielt sich seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in Dänemark und Schweden auf, wo er unter anderem als Pilot arbeitete. In Schweden lernte er Carin Freifrau von Kantzow kennen, die ihren Ehemann seinetwegen verließ. 1921 zog das Paar nach München und heiratete im darauffolgenden Jahr.

In München, wo er sich an der Universität in den Fächern Geschichte, Volkswirtschaft und Staatswissenschaften immatrikulierte, stieß er im Herbst 1922 zu den Nationalsozialisten. Im Dezember 1922 ernannte Hitler den bekannten Fliegeroffizier zum Führer der ‚Sturmabteilung‘ der Partei, der SA. Am 8. und 9.11.1923 nahm Göring am Putschversuch der Nationalsozialisten teil und wurde an der Feldherrnhalle beim gewaltsamen Vorgehen der Landespolizei gegen die Aufrührer durch einen Schuss schwer verletzt. Ihm gelang dennoch die Flucht nach Österreich, wo er aufgrund der Schmerzmittelbehandlung eine Morphiumsucht entwickelte, mit der er trotz Entziehungsbehandlungen über zwei Jahrzehnte lebte. Als er Ende April 1924 zum Verlassen Österreichs aufgefordert wurde, ging er zunächst nach Italien, 1925 nach Stockholm.

Nach einer Amnestie kehrte er 1927 auf Dauer nach Deutschland zurück und schloss sich wieder der NSDAP an, die er ab 1928 als Abgeordneter im Reichstag vertrat. Nach dem großen Erfolg der Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen vom 14.9.1930 ernannte Hitler Göring zu seinem ‚politischen Beauftragten in der Reichshauptstadt‘. Görings Rolle bestand vor allem darin, Kontakte zu Angehörigen der konservativen Eliten sowie zu Industriekreisen herzustellen. Nachdem die NSDAP bei der Wahl vom Juli 1932 stärkste Fraktion geworden war, wurde Göring am 30.8.1932 mit Unterstützung der bürgerlichen Parteien zum Reichstagspräsidenten gewählt.

Bei der Reichstagssitzung vom 12.9.1932 ignorierte Göring die ihm vom Reichskanzler Papen vorgelegte Verfügung des Reichspräsidenten zur Auflösung des Reichstages und ließ über ein Misstrauensvotum gegen den Kanzler abstimmen, das dieser mit 513 zu 42 Stimmen verlor. Zwar war die Auflösung des Parlaments rechtskräftig, Göring hatte jedoch durch sein Verhalten dem Kanzler eine schwere Prestigeeinbuße zugefügt. Bei den daraufhin am 4.11.1932 stattfindenden Neuwahlen wurde die NSDAP trotz Stimmenverlusten wiederum stärkste Fraktion, und Göring wurde erneut zum Reichstagspräsidenten gewählt.

In der am 30.1.1933 bestellten Regierung unter Kanzler Adolf Hitler wurde Göring Reichsminister ohne Geschäftsbereich und Reichskommissar (ab Mai 1933 Reichsminister) für Luftfahrt sowie Reichskommissar für das preußische Innenministerium, im April preußischer Ministerpräsident. Als kommissarischer Innenminister spielte er im Rahmen der nationalsozialistischen Machtübernahme eine wesentliche Rolle, da er die preußische Polizei von demokratischen Kräften ‚säuberte‘, sie mit SS und SA-Männern als ‚Hilfspolizei‘ verstärkte und konsequent zur Unterdrückung der Opposition einsetzte. Er systematisierte und intensivierte die Verfolgung politischer Gegner des Regimes, indem er die preußische Geheime Staatspolizei als eine aus der allgemeinen Verwaltung herausgelöste Sonderbehörde sowie zahlreiche Konzentrationslager errichten ließ.

Am 30.6.1934 spielte er eine wesentliche Rolle im Rahmen der sogenannten ‚Röhm-Affäre‘, als der in Berlin für zahlreiche Verhaftungen und Morde verantwortliche Mann. Sein Versuch, die Regierung Preußens zu einem eigenständigen, von ihm kontrollierten Machtzentrum auszubauen, wurde durch Hitler verhindert, der 1934 die Zusammenlegung der meisten preußischen Ressorts mit den Reichsministerien verfügte. Göring wurde mit der Leitung des Reichsforstamts als Oberster Reichsbehörde entschädigt und behielt außerdem das Amt des preußischen Ministerpräsidenten, eine allerdings im wesentlichen repräsentative Funktion. Im Dezember 1934 bestimmte Hitler in einem nicht veröffentlichten Führererlass Göring zu seinem Nachfolger im Falle seines Todes.

Nach der offiziellen Bekanntgabe der Existenz deutscher Luftstreitkräfte wurde Göring im Mai 1935 der Oberbefehl über die Luftwaffe übertragen. Im April 1936 erteilte Hitler Göring Sondervollmachten zur Lösung der infolge der forcierten Aufrüstung prekären Rohstoff- und Devisenfragen. Am 18.10.1936 wurde Göring zum Beauftragten für den Vierjahresplan ernannt. Damit war er faktisch Wirtschaftsdiktator in Deutschland. Seine Hauptaufgaben bestanden in der Ausbeutung heimischer Rohstoffvorkommen und der industriellen Erzeugung von Rohstoffen.

Seit 1933 nahm Göring daneben im Auftrag Hitlers diverse außenpolitische Sonderaufgaben wahr. Hierzu gehörten häufige Besuche bei Mussolini sowie Missionen nach Südosteuropa und Polen, häufig im Rahmen von offiziösen Jagdeinladungen. Göring spielte eine herausragende Rolle bei der deutschen Intervention im spanischen Bürgerkrieg 1936 sowie bei der Annexion Österreichs 1938.

Göring, der am 4.2.1938 zum Generalfeldmarschall befördert wurde, stand Hitlers Kriegsplänen 1938/39 skeptisch gegenüber, da er nicht, wie sein ‚Führer‘, davon ausging, dass sich ein Krieg gegen die Westmächte bei einem deutschen Angriff gegen die CSR oder Polen vermeiden oder nötigenfalls auch durchstehen ließe. Diese Skepsis schlug sich in einer Reihe eigenständiger außenpolitischer Initiativen nieder; seine unbedingte Loyalität gegenüber Hitler gab er jedoch nicht einmal ansatzweise auf. 1938, in der Sudetenkrise, spielte er, gemeinsam mit Mussolini, eine maßgebliche Rolle bei der Vorbereitung der Münchner Konferenz, durch die die von Hitler bevorzugte militärische Lösung der Sudetenkrise im letzten Moment verhindert wurde. Dies führte zu einem erheblichen Vertrauensverlust bei Hitler, der in seiner Außenpolitik nun ganz auf seinen Außenminister Ribbentrop setzte.

Görings eigene Konzeption, die Balkan-Staaten durch eine Einbeziehung in eine deutsche ‚Großraumwirtschaft‘ vom Deutschen Reich abhängig zu machen, scheiterte 1938/39 vor allem aus außen- und handelspolitischen Gründen. Seit Anfang 1939 zog sich Göring zunehmend aus der Außenpolitik zurück. Seine Bemühungen, den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im Spätsommer 1939 durch eine Verhandlungslösung zu verhindern, ordnete er in den entscheidenden Tagen eindeutig Hitlers Kriegskurs unter.

Göring pflegte einen äußerst aufwendigen repräsentativen Lebensstil. Er gefiel sich in der Anhäufung von Titeln und Orden sowie pompösen Auftritten in Phantasieuniformen, erbaute in der Schorfheide nördlich von Berlin ein üppiges Jagdschloss als seine Residenz, die er zur Erinnerung an seine 1931 verstorbene Frau ‚Carinhall‘ nannte, und er eignete sich, vor allem während des Krieges, auf hemmungslose Weise eine riesige Sammlung von Kunstwerken an. Aufrechterhalten konnte er diesen luxuriösen Lebensstil nur durch Dotationen und Zuwendungen, durch die Zweckentfremdung öffentlicher Gelder sowie während des Krieges durch Raubzüge in den besetzten Gebieten. 1935 heiratete er mit großem Pomp die Schauspielerin Emmy Sonnemann, mit der er eine Tochter hatte.

In seiner Reichstagsrede vom 1.9.1939 machte Hitler die schon 1934 getroffene Nachfolgeregelung öffentlich. Zuvor hatte er Göring als ‚zweiten Mann‘ bereits zum Vorsitzenden des Ministerrats für die Reichsverteidigung ernannt, doch weder Göring noch Hitler waren daran interessiert, dieses Gremium zu einem funktionierenden Kriegskabinett auszubauen. Nach den Erfolgen der deutschen Luftwaffe im Rahmen der ‚Blitzkriege‘ in Polen, Skandinavien sowie in Westeuropa ernannte Hitler Göring zum Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches, ein eigens geschaffener höchster militärischer Rang. Doch Görings Prestige sank, nachdem die deutsche Luftwaffe nach Erfolgen im ersten Kriegsjahr die ‚Luftschlacht‘ um Großbritannien nicht gewinnen konnte und ab 1941/42 bei der Verteidigung des Reichsgebiets gegen alliierte Luftangriffe zunehmend in die Defensive geriet und Stadt um Stadt in Deutschland aus der Luft zerstört wurde.

Eine Reihe von einschlägigen Ermächtigungen, die er dem Chef der Sicherheitspolizei Heydrich zwischen 1936 und 1941 ausstellte, macht deutlich, dass Göring auch in der ‚Judenpolitik‘ des Regimes eine zentrale Rolle spielte. Bereits 1936, als Sonderkommissar für Rohstoffe und Devisen bzw. als Beauftragter für den Vierjahresplan, schaltete sich Göring maßgeblich in die wirtschaftliche Ausplünderung der Juden*Jüdinnenen ein; nach den Novemberpogromen bedurfte die erzwungene ‚Auswanderung‘ der Juden*Jüdinnen seiner Autorisierung, und 1941 ermächtigte er in Hitlers Auftrag Heydrich, ‚Vorbereitungen zur Endlösung"‘ zu treffen.

In seiner Funktion als Beauftragter für den Vierjahresplan besaß Göring besondere Befugnisse bei der wirtschaftlichen Ausbeutung aller besetzten Gebiete. So richtete er insbesondere 1939 für das besetze Polen die ‚Haupttreuhandstelle Ost‘ ein und trug als Vorsitzender des Wirtschaftsführungsstabes für die deutsche Raub- und Aushungerungspolitik in den besetzten sowjetischen Gebieten die Verantwortung. 1942, nach dem Ende der ‚Blitzkriege‘, zeigte sich jedoch, dass hinter der rigorosen Ausplünderungspolitik des Vierjahresplans kein längerfristig taugliches ‚wehrwirtschaftliches‘ Konzept stand, und die Organisation zerfiel in eine Vielzahl von Stäben und Sonderbevollmächtigten, die wiederum überwiegend vom Ministerium Speer absorbiert wurden.

Angesichts seines zunehmenden Verlusts an Macht und Einfluss verfiel Göring in der zweiten Kriegshälfte in zunehmende Lethargie, zog sich vom Machtzentrum weitgehend zurück und widmete sich hauptsächlich seinen privaten Interessen. Er behielt seine Ämter trotzdem vor allem wohl deshalb, weil Hitler in einer Entlassung des ‚zweiten Mannes‘ eine Beschädigung seines eigenen Prestiges gesehen hätte.

Erst am 23.4.1945 enthob Hitler Göring, der sich aus Berlin nach Berchtesgaden abgesetzt hatte, aller seiner Ämter und ließ ihn wegen Hochverrats in Haft nehmen, nachdem Göring ihm telegraphisch mitgeteilt hatte, er betrachte sich als sein Nachfolger, falls ihm bis zum Abend desselben Tages keine anderslautende Mitteilung zuginge.

Göring geriet am 8.5.1945 in amerikanische Gefangenschaft und war nach ausgiebigen Verhören der ranghöchste Angeklagte in dem im November 1945 beginnenden Nürnberger Kriegsverbrecherprozess. Durch eine Entziehungskur gewann er nach dem allgemeinen Eindruck der Prozessbeteiligten seine frühere Spannkraft zurück und übernahm eine Art Chefrolle unter den Angeklagten. Göring wurde in allen vier Anklagepunkten für schuldig gesprochen und zum Tod durch Erhängen verurteilt. Der Vollstreckung des Urteils, die für den 15. Oktober vorgesehen war, entzog er sich, indem er sich in der Nacht zuvor durch die Einnahme einer Zyankalikapsel tötete, die er vor seinen Bewachern hatte verbergen können.

Quellen

Kube, Alfred: Pour le mérite und Hakenkreuz. Hermann Göring im Dritten Reich. München 1987.
Martens, Stefan: Hermann Göring. „Erster Paladin des Führers“ und „Zweiter Mann im Reich“, Paderborn 1985.
Overy, Richard: Hermann Göring. Machtgier und Eitelkeit, München 1986.

Empfohlene Zitierweise

Peter Longerich: Göring, Hermann (publiziert am 12.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/goering-hermann-277