Münchner Sozialdemokrat*innen in Widerstand und Verfolgung

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Verfasst von Margrit Grubmüller und Kurt Lehnstaedt

Widerstandsaktivitäten von sozialdemokratischen Gesinnungsfreund*innen sowie von aus der SPD hervorgegangenen Gruppierungen

Klebezettel von Sozialdemokraten in einem Polizeibericht vom Oktober 1934 | Staatsarchiv München, Gestapo 31

Anders als die KPD war die SPD im Jahre 1933 mit ihrer strikt legalistischen und verfassungstreuen Einstellung auf Arbeit in der Illegalität nicht vorbereitet. Aufgrund ihrer langjährigen Reform-Tradition waren der SPD die radikale Opposition und der Kampf gegen die Regierung fremd. Widerstandsaktionen in München gingen von engagierten Menschen aus, die mit sozialdemokratischen Gesinnungsfreund*innen Gruppen bildeten. Diese sind nachfolgend mit ihren Aktivitäten aufgeführt, ebenso die Widerstandsaktivitäten der aus der SPD hervorgegangenen linken Gruppierungen des ISK und der SAPD.

Widerstandsaktionen des ISK (Internationaler Sozialistischer Kampfbund)
Der ISK, 1926 gegründet, trat für einen ethisch motivierten, antiklerikal, antimarxistisch und demokratisch ausgerichteten Sozialismus ein. An Ostern 1933 löste der Vorstand den ISK auf. Man beschloss, die Arbeit illegal fortzuführen. Den Kern der Münchner Gruppe bildeten Hans Lehnert, Ludwig Koch und das Ehepaar Linsert, die ab 1935 mit der Augsburger Gruppe zusammenarbeiteten. Das Linsertsche Lebensmittelgeschäft in München-Laim war der Treffpunkt; hier wurden Informationen und Literatur ausgetauscht. Seit 1936 verstärkte die Gruppe ihre Flugblattaktionen. Vor der Reichstagswahl vom 29.3.1936, bei der nur eine Einheitsliste er NSDAP zugelassen war, verteilten sie Zettel mit Parolen wie: „Wählt nicht Hitler“ oder „Zerreißt die Stimmzettel“. Sie stellte Flugblätter her u.a. gegen die Kriegshetze, das NS-Unrechtssystem oder die Bevölkerungspolitik. Mit Gummistempeln und einer Silbernitrat-Lösung brachten sie Inschriften und Symbole - z.B. ein Hakenkreuz am Galgen - auf Gehwegen und an Hauswänden an. Die Lösung war beim nächtlichen Aufbringen unsichtbar, wurde aber bei Tageslicht sichtbar und ätzte sich ein. Anders als die norddeutschen blieben die süddeutschen ISK-Gruppen bis Spätsommer 1938 unentdeckt.

Widerstandsaktionen der SAPD (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands)
Diese Partei konstituierte sich 1931 aus oppositionellen Sozialdemokrat*innen und Mitgliedern anderer linker Gruppen und setzte sich für eine Vereinigung der Organisationen der Arbeiterbewegung (etwa ADGB, SPD, KPD) gegen den Nationalsozialismus ein. Der Vorstand hatte den Mitgliedern im März 1933 die Auflösung der Partei und den Übertritt zur SPD nahe gelegt, doch nur wenige kamen dem nach. Auf einem illegalen Parteitag beschlossen Delegierte später, die Arbeit der Partei fortzusetzen. Bis 1937/38 waren die meisten konspirativ arbeitenden Gruppen der SAPD aufgedeckt und zerschlagen worden. Am 30.04.1933 stellte der Münchner SAPD-Vorsitzende Fritz Vogel die Schrift Der Marxist/Mai 1933 mit der Aufforderung her, dem von Hitler eingeführten ‚Tag der nationalen Arbeit‘ fernzubleiben. Darin waren u.a. enthalten:
- Anschuldigungen über von den Nazis begangene Gräueltaten,
- Überlegungen, durch Eintritt in die SA diese zu unterwandern und von innen heraus zu zersetzen,
- die Aufforderung, im Kriegsfall „die Gewehre umzudrehen“.

Eine Denunziation führte im Mai 1933 zur Schutzhaft der meisten an Herstellung und Verteilung Beteiligten; Vogel und ein Mitvorstand konnten fliehen. Vom Sondergericht München wurden zehn Mitglieder der Gruppe von der Anklage eines Vergehens gegen die Reichstagsbrandverordnung freigesprochen, „weil es sich nicht beweisen lässt, dass sich die Angeklagten bewusst waren, dass es sich bei der Schrift ‚Der Marxist/Mai 1933‘ um eine kommunistische Schrift handelt, da der Verfasser der Vorsitzende der Münchner SAP war, einer Organisation also, die den Kommunismus bekämpfte.“ (StAM, Stanw 7473) Es bildete sich ein fünfköpfiger Vorstand, dem der Zusammenhalt der verbliebenen Mitglieder gelang. Die Gruppe verteilte Druckschriften wie Das Banner der revolutionären Einheit, Sozialistische Aktion oder Neuer Vorwärts. Im Frühjahr 1935 schleuste die Bayerische Politische Polizei (BPP) einen Spitzel ein, auf den die Zerschlagung der Gruppe im April 1937 zurückzuführen ist. Die Anklageschrift vom Februar 1938 beschuldigte 18 Personen, ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitet zu haben, „wobei die Tat auf Herstellung und Aufrechterhaltung eines organisatorischen Zusammenhalts (…) gerichtet war.“(BArch, NJ 12685) Gegen neun Angeklagte verhängte das Oberlandesgericht München Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu zwei Jahren und sechs Monaten. Gegen weitere Gruppenmitglieder wurde das Verfahren eingestellt, eine Verhandlung abgelehnt oder sie wurden freigesprochen.

Neu Beginnen
Die Gruppe entstand schon 1929 als Versuch, der Spaltung der Arbeiterbewegung durch konspirative Arbeit in SPD und KPD entgegenzuwirken. Der Name leitet sich ab von einer 1933 erschienenen Schrift. Unter diesen Begriff sammelten sich einige Gruppen, die getrennt und ohne organisatorischen Zusammenhang operierten. Schwerpunkte der Arbeit waren Schulung, Organisationsaufbau und Kurierdienste. Das Auslandsbüro von Neu Beginnen, das 1938 von Prag nach Paris und im Sommer 1939 nach London verlegt wurde, erhielt bis zum Kriegsausbruch Informationen aus Deutschland und versorgte die deutschen Widerstandsgruppen mit Informationen zur internationalen Lage. In München gab es drei Gruppen von Neu Beginnen um Gottfried Branz, Karl Dörschuck und Hermann Frieb. Die Gruppe von Hermann Frieb hieß Revolutionäre Sozialisten und stand mit der Augsburger Gruppe um Bebo Wager und Eugen Nerdinger in Verbindung. Beide Gruppen der Revolutionären Sozialisten blieben bis in die Kriegszeit aktiv.

Widerstand der Revolutionären Sozialisten
Die Revolutionären Sozialisten sammelten Nachrichten politischer, militärischer und wirtschaftlicher Art und leiteten diese weiter an die Sopade. Nach Beginn des Russlandfeldzugs verstärkten sie ihre Aktivitäten. Die Stützpunkte standen miteinander in Kontakt; Sabotageakte wurden geplant und vorbereitet. Seit 1936 beobachteten Spitzel der BPP bzw. Gestapo die Münchner Gruppe, die Hermann Frieb anführte. Nach dem Verbot der SPD 1933 war es zunächst ein Gesprächszirkel, um die Kontakte unter den ehemaligen Mitgliedern aufrecht zu erhalten. Im Februar 1934 wurde Frieb verhaftet und ausgewiesen. In Prag nahm er Verbindung zur Sopade auf und wurde für Neu Beginnen gewonnen. Nach der Rückkehr nach Deutschland 1935 baute er die Kontakte zu früheren Parteimitgliedern wieder auf und lieferte Informationen an Waldemar von Knoeringen, der die Verbindung zur Augsburger Gruppe um Bebo Wager herstellte. Ab Herbst 1937 gab es einen regelmäßigen Austausch zwischen beiden Gruppen. Nach Kriegsausbruch wurden die Aktivitäten der Gruppe militanter. In seinem Wochenendhaus am Ammersee legte Frieb ein Waffendepot an; dort fanden auch zahlreiche Treffen der Gruppenmitglieder statt. Im August 1941 wurde Frieb zur Wehrmacht eingezogen. Bebo Wager übernahm die Leitung der süddeutschen Revolutionären Sozialisten und Friebs Mutter Paula betreute die Treffen am Ammersee. Die Gestapo verhaftete Frieb und seine Mutter im Frühjahr 1942. Anklagepunkte gegen ihn waren u.a. die Vorbereitung zum Hochverrat, um gemeinschaftlich mit anderen mit Gewalt die Verfassung des Reichs zu ändern; der Verrat von Staatsgeheimnissen; der Vorwurf, während des Krieges der feindlichen Macht Vorschub zu leisten und der Kriegsmacht des Reiches einen Nachteil zu bringen. Er sei als Leiter der Revolutionären Sozialisten in München führend in der illegalen Arbeit gegen den NS-Staat tätig gewesen. Er habe Waffen und Munition beschafft und verteilt. Frieb und Wager wurden zum Tode verurteilt. Das Todesurteil wurde am 12.8.1943 im Gefängnis München Stadelheim vollstreckt.

Widerstandsaktionen der Gruppe Aschauer
In Ramersdorf hatte der SPD-Sektionsführer Anton Aschauer bereits kurz vor der Machtergreifung der NSDAP begonnen, eine Weiterarbeit der SPD in der Illegalität vorzubereiten. Ehemalige SPD-Mitglieder kamen zu politischen Gesprächen zusammen, die als Familienausflüge getarnt waren. Im Frühjahr 1933 verfasste die Gruppe zwei Flugblätter: „21 Thesen gegen den Nationalsozialismus“ und „Hitler sägt sich den Ast ab, auf dem er sitzt.“ Anfang 1934 nahm Aschauer Kontakt mit Waldemar von Knoeringen und der Sopade auf. Im August 1934 wurden Aschauer und zwei weitere Mitglieder der Gruppe verhaftet, was ihr Ende bedeutete.

Widerstandsaktionen der Gruppe Dörschuck
Diese Gruppe im Münchener Osten bestand v.a. aus Mitarbeiter*innen der Post, angeführt von Karl Dörschuck und Lorenz Peisl. Von Knoeringen sah in der Gruppe einen Münchner Stützpunkt von Neu Beginnen, ebenso verstand sich auch die Gruppe. Die damalige Stimmung beschreibt ein Brief von Knoeringens vom Dezember 1933: „Der Fanatismus und die Begeisterung, die aus den Augen dieses Genossen [gemeint: Dörschuck] leuchteten, und die Berichte, die er mir von seinesgleichen überbrachte, haben mich tief bewegt. Wir wären nicht wert, dass die Erde uns trägt, wenn wir es nicht zuwege brächten, diesen Genossen in ihrem Kampf zu helfen.“ (Mehringer, Waldemar von Knoeringen, S. 95). Mit einem Mitglied der Gruppe stellte Dörschuck ein Flugblatt anlässlich der Rede Hitlers zum Ermächtigungsgesetz her, das er in Dienstumschlägen der Post an offizielle Stellen schickte. Die Gruppe war aktiv bei den Widerstandsaktionen vor der Volksabstimmung am 19.08.1934, für die die Sopade Flugblätter und Klebezettel gedruckt und diese auch nach München hatte bringen lassen. Hier wurden sie v.a. von der Gruppe Faltner, der Gruppe Aschauer und der Gruppe um Dörschuck verteilt. Die Aktivitäten der Gruppe wurden von der Polizei nicht entdeckt, ein Arbeitsunfall Dörschucks beendete sie in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre.

Widerstandsaktionen der Gruppe Faltner (‚Rote Rebellen‘)
Die Gruppe rekrutierte sich aus Mitgliedern des verbotenen Reichsbanners im Münchner Osten und Mitgliedern des Arbeiter- Turn- und Sportvereins in Aubing im Münchner Westen. Die Gruppe wuchs durch die persönlichen Bekanntschaften einiger Mitglieder zusammen; Franz Faltner wurde ihr Leiter. Josef Lampersberger jun. übernahm als Mitropakellner ab Sommer 1933 Kurierdienste für die Sopade. Einer Verhaftung entkam er durch Flucht in die Tschechoslowakei und versorgte von dort aus die Münchener mit illegalem Schrifttum. Nach verhaltenem Beginn wuchs die Versorgung mit Flug- und Klebezetteln ab Frühjahr 1934, als sich Lampersberger der Kurierdienste eines früheren Kollegen bediente, des Mitropakellners Georg Huber, eines Spitzels der BPP. Das Material verwendeten die ‚Roten Rebellen‘ zu einer umfangreichen, aber unvorsichtigen Werbearbeit, mit der sich die Gruppe stark vergrößerte. Damit spielte sie jedoch der BPP in die Hände. Außerordentlich riskant waren die Aktionen der ‚Roten Rebellen‘, nachdem die Gruppe um Fried, Linsenmeier und Schober verhaftet war, mit der loser Kontakt bestand. Z.B. streuten sie nach einem Fußballspiel im Stadion an der Grünwalder Straße Flugblätter aus, legten sie mit Werbeprospekten vor Geschäften ab und schickten sie an stadtbekannte Persönlichkeiten. Eine spektakuläre Aktion war das Anbringen von Klebezetteln und Verteilen von Flugblättern im ganzen Stadtgebiet bis in die Vorortgemeinden vor der Volksabstimmung am 19.08.1934. Die BPP ließ die Gruppe bis zur Verhaftung im Frühjahr 1935 unbehelligt, um ihr Netz umfassend auszukundschaften und ausheben zu können. 18 der 31 Mitglieder verurteilte das Oberlandesgericht München 1936 zu Strafen zwischen einem Jahr Gefängnis bis zu drei Jahren Zuchthaus. 12 wurden freigesprochen; in einem Fall wurde das Verfahren eingestellt. Bis auf einen wurden die Freigesprochenen in das KZ Dachau verbracht. Auch die Verurteilten wurden größtenteils nach der Strafverbüßung in das KZ Dachau überstellt. Das Strafverfahren gegen drei Mitglieder der Gruppe übernahm der Volksgerichtshof Berlin. Zwei Mitglieder starben noch vor dem Urteil unter ungeklärten Umständen.

Widerstandsaktionen der Gruppe Fried, Linsenmeier, Schober
Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1933 bildeten SAJ-Mitglieder im Münchener Westen eine Gruppe, die Verbindung zu anderen illegalen sozialdemokratischen Gruppen suchte. So entstand u.a. Kontakt zur Gruppe Faltner im Münchener Osten. Nachdem im Sommer 1933 die ersten illegalen Druckschriften vom Vorstand der Sopade ins Reich geschmuggelt worden waren, kamen der Neue Vorwärts und ab Januar 1934 die Sozialistische Aktion aus der Tschechoslowakei nach Nürnberg und Regensburg und von dort nach München. Hauptanliegen der Gruppe waren politische Diskussion und das Aufrechterhalten von Kontakten zu ehemaligen Parteifreunden, da eine groß angelegte Materialverteilung als zu gefährlich abgelehnt wurde. Das führte zu Differenzen mit der Regensburger Gruppe, so dass die Münchner Gruppe nun eine direkte Verbindung mit von Knoeringen suchten. Dieser warb für wissenschaftliche Schulungsarbeit und systematische Kaderbildung, da er nicht mit einem baldigen Ende des Nationalsozialismus rechnete. Zu dieser Arbeit kam es nicht mehr, da die Mitglieder der Gruppe von der BPP über die Verbindung zu der Regensburger Gruppe enttarnt, verhaftet und verurteilt wurden.

Quellen

Detjen, Marion: „Zum Staatsfeind ernannt“ Widerstand, Resistenz und Verweigerung gegen das NS-Regime in München, München 1998.
Grau, Bernhard: Das Schicksal der Münchner Sozialdemokraten in der NS-Zeit – Ein Überblick, in: Pilwousek, Ingelore (Hg.): Verfolgung und Widerstand. Das Schicksal Münchner Sozialdemokraten in der NS-Zeit, München 2012, S. 46 – 57.
Mehringer, Hartmut: Die Bayerische Sozialdemokratie bis zum Ende des NS-Regimes. Vorgeschichte, Verfolgung und Widerstand, in: Broszat, Martin/Mehringer, Hartmut (Hrsg.): Bayern in der NS-Zeit 5. Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Widerstand, München/Wien 1983, S. 287 – 432.
Mehringer, Hartmut: Waldemar von Knoeringen – eine politische Biographie. Der Weg vom revolutionären Sozialismus zur sozialen Demokratie, München/Wien 1989.
Pilwousek, Ingelore (Hg.): Verfolgung und Widerstand. Das Schicksal Münchner Sozialdemokraten in der NS-Zeit. München 2012.
Zarusky, Jürgen/Mehringer, Hartmut: Widerstand als ‚Hochverrat‘ 1933 - 1945. Die Verfahren gegen deutsche Reichsangehörige vor dem Reichsgericht, dem Volksgerichtshof und dem Reichskriegsgericht. Mikrofiche-Edition und Erschließungsband, München 1994.

Empfohlene Zitierweise

Margrit Grubmüller und Kurt Lehnstaedt: Sozialdemokrat*innen in Widerstand und Verfolgung (publiziert am 14.02.2024), in: nsdoku.lexikon, hrsg. vom NS-Dokumentationszentrum München, URL: https://www.nsdoku.de/en/lexikon/artikel/sozialdemokratinnen-in-widerstand-und-verfolgung-785