[…] Gut zwölf Jahre alt war Ernst Grube, als er im Juni 1945 mit Mutter Clementine und der kleineren Schwester Ruth in einem Sammeltransport aus dem KZ Theresienstadt in die Heimatstadt München zurückkehrte. Sein älterer Bruder Werner hatte sich mit einigen anderen eigenständig nach München durchgeschlagen. Das Leben lag nun vor dem Jungen – freilich beladen mit der großen Bürde seiner Erlebnisse. Aber immerhin hatte er seine Familie, die ersten Schutz bot. Der Schulbesuch musste nachgeholt werden, etwas widerwillig erlernte er beim Vater das Malerhandwerk und war auf der Suche nach Antworten und Vorstellungen für die Zukunft. Den Alltag sichern, sich um überlebende Familienangehörige zu kümmern, Ausbildung und Berufsfindung – diese Dinge standen zunächst im Vordergrund des Lebens aller ehemals Verfolgten.
Für viele war das eigene Schweigen der notwendige Schutz vor Qualen der Erinnerung. Aber es gab auch das Bedürfnis nach Erzählen und Zuhören. Aus der Erinnerung heraus fällt bei Ernst Grube in diesem Zusammenhang immer wieder der Satz: „Es fragte einfach niemand, nicht in der Schule, nicht in der Arbeit.“ Denn dieses Bedürfnis traf auf eine überwiegend schweigende Gesellschaft, die aus unterschiedlichen Gründen die zwölf Jahre der Diktatur tabuisierte oder das eigene Leid schnell in den Vordergrund schob. In den ersten Jahren nach der Befreiung gab es immerhin in den Zeitungen und im Rundfunk große Berichte über das Schicksal der Überlebenden. So konnten im März 1946 auf Seite 1 der Süddeutschen Zeitung ehemals Verfolgte unter dem Titel Dem Vermächtnis der Opfer über ihre Erfahrungen in den Konzentrationslagern schreiben, und es gab Rundfunkbeiträge und Gedenkveranstaltungen.1
Nur ein gutes Jahr währte die Hoffnung auf wirkliche Anteilnahme und Solidarität. Bereits zum Tag der Opfer des Faschismus im September 1947 formulierte jedoch der Staatskommissar Philipp Auerbach im Hinblick auf rassisch, religiös und politisch Verfolgte: „Wir stehen fassungslos vor einer Masse Menschen, die nicht begriffen haben, was KZ bedeutet.“2